Jacob Appelbaum hat gestern bei einem Gastvortrag an der TU München die Zuhörer dazu aufgerufen, sich an die für ihren Wahlkreis zuständigen Bundestagsabgeordneten zu wenden und sie aufzufordern, die Ratifizierung des Anti-Piraterieabkommens ACTA zu verhindern. Der derzeit hauptsächlich beim TOR-Projekt beschäftigte Internetaktivist kritisierte es als eine „unerträgliche Einschränkung persönlicher Freiheiten und der freien Meinungsäußerung“.
Appelbaum verlieh in seinem Vortrag der Hoffnung Ausdruck, dass Deutschland dem Beispiel von Polen, der Tschechischen Republik und der Slowakei folgen und das Vertragswerk nicht ratifizieren werde. Hauptsächlich kritisierte er, dass es bislang als zivilrechtlich eingestufte Sachverhalte in strafrechtlich verfolgbare umwandle. Zudem ließen die vagen Formulierungen künftig weitreichende Maßnahmen zu, die Zensur zumindest sehr nahe kämen.
In seinem Vortrag referierte Appelbaum eigentlich über die Bemühungen von Regierungen, das zur Anonymisierung dienende TOR-Netzwerk zu blockieren oder dessen Nutzer auszuspionieren. Ausführlich ging er dabei auf Thailand, China, Tunesien, Ägypten, Libyen, den Iran und Syrien ein. Außerdem berichtete er von Erfahrungen der TOR-Aktivisten mit von diesen Regierungen eingesetzter Technologie westlicher Firmen. Namentlich nannte er Blue Coat, Cisco, Finfisher, Nokia, Smartfilter und Websense.
Laut Appelbaum können sich diese Unternehmen nicht darauf berufen, neutrale Technologie zu liefern, da sie den Behörden auch bei der Einrichtung und Anpassung ihrer Lösungen behilflich sind. Das zeigten die Erfahrungen der TOR-Betreiber ganz deutlich. Es handle sich um kriminelle Handlungen, und die Verantwortlichen gehörten ins Gefängnis. Für diese Äußerung erntete Applebaum spontanen und anhaltend Applaus der Zuhörer. „In Syrien kämpfen die Menschen nicht nur gegen die Maschinengewehre des Unrechtsregimes, sondern auch gegen Netzwerkingenieure aus Palo Alto.“
Das viel kritisierte ACTA ist in den vergangenen Tagen stärker in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Sowohl der polnische Ministerpräsident Donald Tusk als auch der tschechische Premierminister Petr Necas hatten sich nach heftigen Protesten und Angriffen auf staatliche Websites von dem Handelsabkommen distanziert. Tusk räumte ein, dass man ACTA zuvor aus der Perspektive des 20. Jahrhunderts gesehen habe. Der Vertrag sei auf Eis gelegt, solange man nicht alle Zweifel ausgeräumt habe. Außerdem sei zu prüfen, ob er überhaupt mit polnischem Recht vereinbar ist. Der tschechische Premier Necas erklärte, seine Regierung werde „niemals eine Situation zulassen, in der bürgerliche Freiheit und der freie Zugang zu Informationen bedroht sind.“ Auch er versprach eine Untersuchung der Auswirkungen von ACTA auf das praktische Leben.
Der slowakische Wirtschaftsminister Juraj Miskov begründet den Rückzieher seines Landes damit, dass ACTA eine Reihe vager Formulierungen enthalte und viele Interpretationen mit potenziell unerwünschten Folgen ermögliche. Er werde kein Abkommen unterstützen, das „grundlegende Menschenrechte in irgendeiner Weise einschränkt, insbesondere das Recht auf Freiheit und Privatsphäre, und das den Schutz von Urheberrechten über diese Rechte stellt.“
ACTA ermöglicht eine internationale Verfolgung von Urheberrechtsverstößen. Es wird als Handelsabkommen eingestuft, weshalb die 2007 aufgenommenen Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. Der Fachanwalt Thomas Stadler hat neben Bedenken wegen der mangelnden Transparenz bei den Vertragsverhandlungen auch erhebliche inhaltliche Einwände geäußert: Das Abkommen stärke in sehr einseitiger Weise die Interessen der Content-Industrie, schade aber dem Gemeinwohl der teilnehmenden Staaten.
Eine gegen ACTA gerichtete Petition an das EU-Parlament hat bisher rund 1,8 Millionen Unterstützer gefunden. Sie fordert alle Mitglieder des Parlaments auf, die Ratifizierung des Abkommens abzulehnen und es dadurch scheitern zu lassen. Für Samstag, den 11. Februar, ist außerdem ein europaweiter Aktionstag geplant, an dem auch Demonstrationen in zahlreichen deutschen Städten stattfinden sollen.
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