Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) hat sich in einem offenen Brief an den Kandidaten für das Bundespräsidentenamt Joachim Gauck gewandt und ihn um ein Gespräch gebeten. Es gebe Sorgen aufgrund von Gaucks Aussagen über eine mögliche Vorratsdatenspeicherung, man wolle sie aber „auf keinen Fall überinterpretieren“ oder „aus dem Zusammenhang gerissen sehen“.
Die beim AK Vorrat dokumentierten und unter anderem bei Spiegel Online von hunderten Nutzern diskutierten Aussagen Gaucks stammen vom 5. Dezember 2010. Sie fielen im Rahmen der österreichischen Diskussionsreihe „Europa im Diskurs“. Gauck sagte, ihm fehle „die geduldige Benennung hinreichend überzeugender Gründe“ für eine Vorratsdatenspeicherung. Die Auffassung, eine solche Speicherung wäre „der Beginn zu dem Spitzelstaat“, wie er die Position des Grünen-Politikers Christian Ströbele zusammenfasste, wollte er offenbar nicht teilen.
Die möglicherweise zentrale Aussage Gaucks lautete: „Ich sehe die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht in der Gefahr, zu einem Spitzelstaat zu werden. Umso mehr müssen die Regierungen dartun – und zwar wirklich mit tragfähigen Belegen -, wieviel mehr Kontrollmöglichkeiten, Speicherungsmöglichkeiten, Fahndungsmöglichkeiten uns tatsächliche Erfolge bringen. Denn sonst würde ich das doch als eine beginnende Gefahr dieses Sicherheitsmantras gegenüber der Freiheitsbotschaft sehen.“
Das Bundesverfassungsgericht hatte das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung Anfang März 2010 für verfassungswidrig erklärt. Die Regelung verstieß nach Ansicht der Karlsruher Richter gegen Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes – und damit gegen das Fernmeldegeheimnis. Alle gespeicherten Daten seien „unverzüglich zu löschen“. Die Verfassungsbeschwerde stammte vom AK Vorrat und war von 34.000 Menschen mitgezeichnet. Ihr war eine Petition an den Bundestag mit über 60.000 Unterschriften vorausgegangen.
Da eine solche Vorratsdatenspeicherung aber EU-Richtlinie ist, diskutieren die Ministerien längst überarbeitete Entwürfe. Die EU drängt auf eine Umsetzung. Sie befürchtet „negative Auswirkungen auf den Binnenmarkt für elektronische Kommunikation sowie auf die Fähigkeit von Justiz- und Polizeibehörden, schwere Straftaten aufzudecken, zu untersuchen und zu verfolgen“.
Gaucks Frage nach dem Nutzen der Maßnahme von 2010 hat inzwischen eine vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegebene Studie (PDF) des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht beantwortet. Dafür werteten die Autoren neben eigenen Quellen eine umfangreiche Datensammlung aus – etwa die Aufklärungsquoten von 1987 bis 2010 sowie Informationen aus Ländern, in denen eine Zeit lang Daten auf Vorrat gespeichert wurden. Ihr Fazit: Die Vorratsdatenspeicherung hat nicht zu höheren Aufklärungsquoten bei Ermittlungen geführt.
„Die Studie zeigt, dass die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung nicht empirisch belegt, sondern nur ein Gefühl der Praktiker ist“, sagte Justizstaatssekretär Max Stadler (FDP). Ermittler „verweisen auf Einzelfälle, die sie dann als typisch bezeichnen“. Solche Behauptungen seien weder belegt noch belegbar.
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