Karlsruhe erklärt Teile des TKG für verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat Teile des Telekommunkationsgesetzes (TKG) für verfassungswidrig erklärt. Konkret geht es um die Herausgabe von PIN-Codes und Passwörtern an Strafverfolgungsbehörden sowie die Rückverfolgung dynamischer IP-Adressen zur Identifizierung von Internetnutzern, die in Paragraf 113 Absatz 1 Satz 2 des TKG geregelt sind.

Bisher konnten Ermittlungsbehörden ohne richterliche Genehmigung ein beschlagnahmtes Handy auslesen und gespeicherte Daten durchsuchen, obwohl es für diese Nutzung der Daten keine Ermächtigungsregelung gibt. Gleiches galt für E-Mail-Konten oder Internetzugänge. Auskünfte über den Inhaber einer dynamischen IP-Adresse dürfen nach der Entscheidung der Karlsruher Richter (Az.: 1 BvR 1299/05) zwar auch in Zukunft erteilt werden, allerdings muss der Gesetzgeber dies ausdrücklich neu regeln.

„Bislang ist es gängige Praxis, Privatpersonen, die eine Straftat wie eine Urheberrechtsverletzung begangen haben, über die Rückverfolgung der dynamischen IP-Adresse zu ermitteln. Ob das rechtens ist, ist unter Juristen schon seit Jahren umstritten“, kommentiert Rechtsanwalt Christian Solmecke von der Kölner Medienrechtskanzlei Wilde Beuger Solmecke das Urteil. „Paragraf 113 Absatz 1 des TKG als dafür zuständige Norm ist so schwammig formuliert, dass bislang ein erheblicher Interpretationsspielraum bestand.“

Mit ihrem Urteil haben die Verfassungsrichter nun für Klarheit gesorgt. Sie werteten die Rückverfolgung einer dynamischen IP-Adresse als Eingriff in das grundrechtlich geschützte Telekommunikationsgeheimnis.

In der Vergangenheit wurden in Deutschland tausende Filesharing-Nutzer durch die Staatsanwaltschaften unter Berufung auf den nun gekippten TKG-Paragrafen ermittelt und später von der Musik- oder Filmindustrie abgemahnt. „Die auf diese Weise erteilten Auskünfte der Provider sind zwar allesamt aufgrund einer verfassungswidrigen Interpretation des Telekommunikationsgesetzes erstellt worden, aufatmen können die Betroffenen allerdings dennoch nicht. Denn nach der heutigen Entscheidung soll ein solches Vorgehen noch bis zum 30. Juni 2013 möglich sein“, erklärt Solmecke. „Hätte das Bundesverfassungsgericht keine Übergangsfrist eingeräumt, dann wären jetzt schwere Zeiten für die Strafverfolgungsbehörden in Deutschland angebrochen.“ Sollte der Gesetzgeber bis Ablauf der Frist keine neue Regelung schaffen, könnten die Behörden nur unter den strengen Vorgaben eines richterlichen Beschlusses dynamische IP-Adressen zurückverfolgen.

Hinsichtlich der Herausgabe von PIN und PUK beschlagnahmter Handys und Internetzugänge rügten die Richter, dass das TKG zwar regele, wann Zugangscodes herausgegeben werden müssen, aber nicht festlege, wie diese dann von den Behörden genutzt werden dürfen. Daher liege ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor.

Beschwerdeführer Patrick Breyer, der zugleich Listenkandidat der Piratenpartei Schleswig-Holstein ist, begrüßte die Entscheidung der Karlsruher Richter: „Es ist für uns ein großer Erfolg, dass das Bundesverfassungsgericht gegen die ausufernde staatliche Kontrolle der Telekommunikation und Internetnutzung einschreitet. Wir sind froh, dass die Anonymität der Nutzer im Netz künftig besser geschützt ist.“

Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, sieht sich durch die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in seiner Position bestätigt: „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts beschränkt das Speichern und Weitergeben von Telekommunikationsdaten an Ermittlungsbehörden, weil diesen bislang der Zugriff auf Passwörter und PIN-Codes ermöglicht worden ist, ohne dass sichergestellt war, ob eine Nutzung durch die Behörden überhaupt erlaubt sei. Auf diesen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit habe ich bereits in meiner damaligen Stellungnahme vor dem Bundesverfassungsgericht aufmerksam gemacht“, sagte Schaar. Das Urteil verdeutliche, dass ein Zugriff auf Telekommunikationsdaten immer nur unter Wahrung des Fernmeldegeheimnisses zulässig sei und der Gesetzgeber noch etliche Hausaufgaben zu erledigen habe. Dies betreffe auch die Auskunftserteilung von dynamischen IP-Adressen.

ZDNet.de Redaktion

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