CeBIT 2012: Die aufregende Entdeckung des Langweiligen

Die Vorbereitungen für den CeBIT-Besuch erinnern seit Jahren an einen Schulausflug: Die wichtigste Frage ist, ob alle noch da sind. Sie ist an die Hersteller und Aussteller ebenso zu richten, wie an die Hallen. Der Messeleitung geht diese Art der Berichterstattung wahrscheinlich schon gewaltig auf die Nerven, sie ist aber eben nun einmal nicht zu vermeiden, wenn man sich rasch einen ersten Überblick verschaffen will. Die Zahl der Aussteller ist kein echter Maßstab mehr, seitdem jeder, der auf irgendeinem Stand ein Plakat aufgehängt oder dafür einen Vertriebsmitarbeiter abgestellt hat, als Unteraussteller zählt und damit automatisch in der Liste der Aussteller auftaucht.

So gesehen ist die Messe dieses Jahr wieder ein bisschen geschrumpft: Halle 20 bleibt dieses Jahr leer. Möglicherweise ist aber genau das Gegenteil der Fall: Im vergangenen Jahr hatte SAP mit seiner „World Tour“ Halle 19 und 20 – zusätzlich zu seinen sonstigen Standflächen – ganz alleine in Beschlag. Die höflich gesagt großzügige räumliche Ausstattung der an die Messe angeflanschten SAP-Hausveranstaltung ließ die Messe voller aussehen, als sie es tatsächlich war.

Dieses Jahr muss man in Hannover ohne die freundliche Unterstützung aus Walldorf auskommen, hat Halle 19 aber trotzdem als belegt ausgewiesen. Unterm Strich belegt die CeBIT aus eigener Kraft also ein wenig mehr Raum als 2011. Mehr Platz haben auch die Forschungseinrichtungen, Institute und Kommunen bekommen, die sich traditionelle in der etwas abseits gelegenen, dafür aber freundlich hellen und modernen Halle 9 präsentieren durften. Die musste aber kurz vor Messebeginn wegen „technischer Unregelmäßigkeiten“ gesperrt werden. Die Aussteller des CeBIT lab genannten Bereichs wurden daher kurzerhand in die bis dahin leere Halle 26 umdirigiert.

Außerdem offenbart ein erster Blick auf den Hallenplan, dass man der Zerstückelung der Messe im Vorjahr etwas entgegengesteuert hat: Statt vieler bunter Flächen finden sich nur noch vier Bereiche: CeBIT life (grün, Halle 22 und 23) CeBIT lab (rot, Halle 26), CeBIT gov (gelb, Halle 8, 9 und 11) und CeBIT pro (blau, die restlichen zwölf Hallen). Das zeigt schon, dass sich die Messe bemüht, sich an ihr Kernpublikum, die professionellen Anwender, zu richten.

Richtig hilfreich ist es aber auch wieder nicht, da sich im CeBIT-pro-Bereich keinerlei thematische Gliederung erschließt. Aber wahrscheinlich ist das ohnehin nicht mehr so bedeutsam wie früher: Wer heute noch auf die CeBIT geht, wird größtenteils bereits im Vorfeld Termine vereinbart oder für ihn interessante Aussteller herausgesucht haben. Einfach einmal unverbindlich über die Messe zu schlendern, um den einen oder anderen Geheimtipp zu entdecken, werden sich nur die wenigsten leiten können.

Neben dem Ausstellungsbereich hat sich ohnehin schon eine Art Parallelmesse entwickelt. Einerseits ist die CeBIT immer noch eine attraktive Plattform für Politiker und Branchenprominenz. Zur Eröffnungsfeier sind natürlich Angela Merkel, der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister und Bitkom-Präsident Dieter Kempf vor Ort. Außerdem gehört Googles Verwaltungsratsvorsitzender Eric Schmidt zu den Rednern. Und natürlich ist auch das diesjährige Partnerland Brasilien mit seiner Staatspräsidentin Dilma Rousseff prominent vertreten. Bahnbrechendes scheint die Messe aber von keinem dieser Gäste zu erwarten: Als Highlight des Abends ist eine Liveschaltung in die Raumstation ISS angekündigt.

Leidiges Leitthema

Mit dem diesjährigen Leitthema der Messe, Managing Trust, scheint keiner der Aussteller richtig etwas anfangen zu können. Nur eine Handvoll von weit über hundert Einladungen und Gesprächsangeboten, die im Vorfeld in die ZDNet-Redaktion geflattert sind, nahm darauf Bezug. Allerdings waren die durchweg von Herstellern aus dem Security-Umfeld – und die hätten sich wahrscheinlich auch bei jedem anderen Leitthema ähnlich geäußert.

Daran zeigt sich auch ein Dilemma der Messe: Ihre früheren Kernkompetenzen – Unternehmenssoftware, PC-Komponenten, Ausrüstung für Netzbetreiber und Bürohardware – sind zwar nach wie vor wichtig, stehen aber nicht mehr im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Dass SAP und dessen Mitbewerber ihre Software weiterentwickeln, wird als selbstverständlich hingenommen. Dass Alcatel-Lucent, Ericsson, Huawei oder ZTE jedes Jahr bessere Basisstationen für Mobilfunknetzbetreiber vorstellen, dass sie die Bandbreite bei drahtlosen Funktechnologien verbessern oder Kupfer- und Glasfaserkabel leistungsfähiger machen ist schön, wird aber auch als gegeben hingenommen.

Die treibende Kraft der IT sind heute mobile Endgeräte, also Tablets und Smartphones. Ihre Einführung setzt zwar auf allen Ebenen viel „langweilige“ Infrastruktur und Software voraus, über die will sich aber kaum einer Gedanken machen. Smartphones und Tablets verlangen zumindest in Firmen neue Sicherheitskonzepte und -lösungen, ziehen die Anpassung von vorhandener Software oder die Erstellung neuer Apps nach sich und beflügeln den gesamten Cloud-Gedanken – sei es wegen den Möglichkeiten der mobilen Datennutzung, der Synchronisation oder des einfacheren Austauschs.

Bedauerlicherweise für die CeBIT haben sich aber als Ankündigungsplattformen für Tablets und Smartphones die CES in Las Vegas und der Mobile World Congress in Barcelona etabliert. Für die CeBIT bleibt nur noch eine Art Nachschau und Versionskontrolle: Manches, was die Hersteller – vor allem die kleineren – in Las Vegas angekündigt haben, darf man in Hannover nun anfassen. Andere Aussteller haben sich für schon länger vorhandene Produkte nun Einsatzszenarien im Firmen- und Behördenumfeld ausgedacht und stellen die exemplarisch vor, manchmal sogar schon mit Partnern, die die Umsetzung gewagt haben. Microsoft wird auf seinem traditionell großen Stand dieses Jahr viel zu Windows 8 sagen. Auch wenn das meiste nach der Vorstellung der Consumer Preview in Barcelona schon bekannt ist, wird das für den einen oder anderen noch lohnend sein. Unterm Strich ist das alles durchaus interessant, aber eben nicht mehr spektakulär.

Zu allem Unglück für die Messe hat Apple nun ausgerechnet für 7. März zu einer iPad-Veranstaltung eingeladen. Aller Voraussicht nach geht es dabei um das iPad 3 – wie immer das dann heißen mag. Damit dürfte dann ab Mitte der Messe klar sein, über was die Branche redet. Wer bis dahin seine Botschaften nicht unters Volk gebracht hat, braucht es eigentlich gar nicht mehr zu versuchen.

Wie die Messe damit umgeht, hat sie noch nicht bekannt gegeben: Mein Vorschlag: In einer der leer stehenden Hallen ein Public Viewing einzurichten oder eine Podiumsdiskussion stattfinden zu lassen, in der mehr oder weniger wichtige Experten die zu erwartende Live-Berichterstattung vom Apple-Event kommentieren. In einer Zeit, in der sich Menschen in Fußballstadien Übertragungen von Fußballspielen anschauen, lassen sich bestimmt auch Übertragungen von Veranstaltungen noch als Veranstaltung vermarkten.

Linux, Open Source und OS X

Für alle, die sich nur vorübergehend für die Abmessungen, das Design und die speziellen Gesten, mit denen man einen Tablet-Computer bedient, begeistern, hat die CeBIT trotz allem noch einiges zu bieten. Vieles davon sind erfolgreiche Formate, die sich in den vergangenen Jahren bewährt haben, und wieder aufgelegt wurden. Dazu gehört zum Beispiel der 2011 durch eine bessere Positionierung aufgewertet Open Source Park (Halle 2, Stand D58). In ihm haben sich wieder rund 30 Aussteller zusammengefunden, darunter auch Alfresco, Drupal, die Eclipse Foundation, die Open Source Business Alliance sowie der für Nagios und dessen Fork Icinga bekannte Dienstleister Netways.

Gleich nebenan findet das CeBIT Forum Open Source (Halle 2, Stand E56) statt. Dort stehen neben den Aussteller die Vorträge im Mittelpunkt. Als Keynote-Sprecher ist unter anderem Jon „Maddog“ Hall, Galionsfigur von Linux International für Mittwoch, Donnerstag und Freitag angekündigt. Knoppix-Erfinder Klaus Knopper stellt in einem täglichen „Knoppix-Talk“ Version 6.5 seines Betriebssystems vor. Neben einigen interessanten technischen Vorträgen spricht zudem am 8. März um 16 Uhr Jan Philipp Albrecht (Bündnis 90/Die Grünen) zur Vorratsdatenspeicherung.

Als Aussteller sind dort unter anderem die Projekte Uranos, Opengnsys, das LDAP-Administrationstool FusionDirectory, die Groupware-Suite Horde und Ffgtk, eine Software zur Steuerung der Fritz Box von AVM. Neu ist das Storage-Management-Werkzeug openAttic. Auch die grafische Arbeitsumgebung KDE, die Ubuntu Community und den Python Software Verband e.V. können Besucher dort entdecken. Außerdem werden der Verein Freies Office Deutschland e.V. (FrODeV) und The Document Foundation (TDF) Version 3.5 der freien Bürosoftware LibreOffice vorstellen, die aktuell als Release Candidate vorliegt.

Ein weiteres Highlight in Halle 2 ist auch dieses Jahr der OS X Business Park (Halle, 2, Stand A30). Der Bereich war bereits im vergangenen Jahr gut besucht, mit dem zunehmenden Vordringen von Apple-Geräten in Formen, wird sich das auch dieses Jahr nicht ändern. Auch hier setzen die Organisatoren, ähnlich wie im Open-Source-Bereich, auf eine enge Verknüpfung von Ausstellung und umfangreichem Vortragsprogramm. Letzteres bietet neben „klassischen“ OS-X-Themen wie den neuen Versionen von Kerio und Filenet, auch viel rund um die Trends BYOD und Tablets im Unternehmen.

Im vergangenen Jahr hatte die Messe stolz verkündet, dass die Druckerbranche auf die CeBIT zurückgekehrt sei. Dahinter verbarg sich aber lediglich ein neues, bescheidenes Format. Das war offensichtlich einigermaßen erfolgreich, sodass der Managed Print Services Park auch dieses Jahr wieder besucht werden kann (Halle 3, Stand A24).

Aus dem Vorjahr sind von den Herstellern wieder Canon/Océ und Xerox dabei. Außerdem sind dieses Jahr auch Brother, Samsung, Sharp, Triumph-Adler und Utax mit an Bord. Vermisst werden Hewlett-Packard und Konica-Minolta, beides vehemente Vertreter von Managed Print Services. Am Donnerstag, den 8. März wird im Tagungsbereich der Halle 2 im Saal Europa zudem mit zahlreichen Vorträgen und Diskussionsrunden das Thema MPS näher beleuchtet – vielleicht eine gute Gelegenheit für alle, die sich dem Thema erstmals nähern wollen, ohne sich gleich von einem Anbieter beschwatzen zu lassen.

Fazit

Die CeBIT hat also durchaus noch Angebote für IT-Profis, die einen Besuch wert sind. Man muss allerdings etwas gründlicher danach suchen. Neben den oben genannten Sonderbereichen gibt es auch noch viele Hersteller mit ihren individuellen Angeboten – sei es nun Microsoft, SAP oder die Deutsche Telekom. Bei Mircosoft gibt es sicher viel Neues zu Windows 8. Wer es nicht zur Messe schafft, kann am Dienstag ab 10 Uhr den Livestream verfolgen. Bei SAP und seinen Partnern stehen Cloud- und Mobility-Angebote und vor allem die HANA-Technologie im Mittelpunkt, seit rund zwei Jahren nun schon der ganze Stolz der Walldorfer – auch wenn sich die Anwender nur zögerlich begeistern lassen. Und die Telekom hat – neben anderen Neuheiten – auch Erweiterungen für ihre Videokonferenzlösung VideoMeet
im Gepäck.

Daneben wird es bei einigen asiatischen Anbietern spätestens am zweiten Messetag ein paar Standrazzien wegen Produktfälschungen geben, Politiker und Verbandsfunktionäre, die sich für bessere Breitbandversorgung, bessere Förderung und Ausbildung von IT-Fachkräften respektive Erleichterung der Einwanderungsbedingungen oder die bessere Bedingungen für den IT-Standort Deustchland fordern. Auch ein paar weitere abstruse Dinge, die man in einen USB-Port stecken kann, sowie allerlei Designsünden und Geschmacksverirrungen sind zu erwarten – sei es nun bei Telefonen, Notebooktaschen oder IT-Accesoires. Und dazwischen finden sich dann immer ein paar Perlen, wirklich ungewöhnliche, neue oder zukunftsträchtige Innovationen. Seien wir doch ehrlich: Wenn es die CeBIT nicht gäbe, würden wir sie alle doch sehr vermissen.

Update 5. März 17 Uhr 50: Leider ist bei der Zusammenstellung der am CeBIT Forum Open Source Beteiligten Projekte ein Fehler unterlaufen, so dass teilweise Aussteller von 2011 genannt wurden. Der Fehler wurde korrigiert. Danke an „Kalle Rakete“, der uns via Facebook darauf hingewiesen hat.

ZDNet.de Redaktion

Recent Posts

Studie: Ein Drittel aller E-Mails an Unternehmen sind unerwünscht

Der Cybersecurity Report von Hornetsecurity stuft 2,3 Prozent der Inhalte gar als bösartig ein. Die…

2 Tagen ago

HubPhish: Phishing-Kampagne zielt auf europäische Unternehmen

Die Hintermänner haben es auf Zugangsdaten zu Microsoft Azure abgesehen. Die Kampagne ist bis mindestens…

3 Tagen ago

1. Januar 2025: Umstieg auf E-Rechnung im B2B-Geschäftsverkehr

Cloud-Plattform für elektronische Beschaffungsprozesse mit automatisierter Abwicklung elektronischer Rechnungen.

3 Tagen ago

Google schließt schwerwiegende Sicherheitslücken in Chrome 131

Mindestens eine Schwachstelle erlaubt eine Remotecodeausführung. Dem Entdecker zahlt Google eine besonders hohe Belohnung von…

3 Tagen ago

Erreichbarkeit im Weihnachtsurlaub weiterhin hoch

Nur rund die Hälfte schaltet während der Feiertage komplett vom Job ab. Die anderen sind…

4 Tagen ago

Hacker missbrauchen Google Calendar zum Angriff auf Postfächer

Security-Experten von Check Point sind einer neuen Angriffsart auf die Spur gekommen, die E-Mail-Schutzmaßnahmen umgehen…

5 Tagen ago