Warum sich Open Source im ERP-Markt nicht durchsetzt

Während bei zahlreichen Office-Anwendungen und Betriebssystemen Open-Source-Projekte wie Linux, Open Office oder Mozilla starke Verbreitung finden, sind quelloffene Systeme im ERP-Bereich noch selten. Zwar gibt es auch hierzulande einige wenige ERP-Lösungen, die nach den Regeln der Open-Source-Initiative entwickelt und vertrieben werden – also quelloffen sind, keinerlei Nutzungsbeschränkungen unterliegen und veränderbar sind. In den Unternehmen in der DACH-Region finden diese jedoch noch keine nennenswerte Verbreitung.

Wurde vor fünf bis zehn Jahren Open-Source-ERP noch als kommender Trend auserkoren, hat sich in der Zwischenzeit Ernüchterung über die Erfolgsaussichten von quelloffener ERP-Software eingestellt. Allenfalls als ergänzende Bestandteile eines ERP-Systems, wie zum Beispiel als CRM-Modul, finden quelloffene Systeme in den Unternehmen Verwendung.


Michael Gottwald, Autor dieses Gastbeitrags für ZDNet, ist geschäftsführender Gesellschafter des Hamburger Beratungs- und Marktforschungshauses SoftSelect GmbH (Bild: SoftSelect).

Die wenigen, auch über Insider-Kreise hinaus bekannten, Open-Source-Anbieter im Business-Software-Umfeld nutzen quelloffene Software für eigene Weiterentwicklungen und vertreiben diese in gewohnter Weise inklusive Lizenzgebühren. Sie operieren damit ähnlich wie die bekannten Linux-Distributoren Ubuntu und Suse.

Drei Gründe sind für die geringe Verbreitung von Open-Source-ERP-Systemen zu nennen:

  1. Komplexität: ERP-Systeme gelten als Königsklasse der Softwareprogrammierung. In ihre Entwicklung sind viele Personenjahre an Programmierungsarbeit eingeflossen. Die ERP-Anbieter verfügen über langjähriges Know-how und einen großen technischen Entwicklungsvorsprung, den die Open-Source-Gemeinden bisher noch nicht einholen konnten. An die Funktionalität und Güte der bekannten ERP-Systeme reichen die Open-Source-ERP-Lösungen noch nicht heran. Gerade die Zuverlässigkeit eines ERP-Systems ist für Unternehmen ein herausragender und unternehmenswichtiger Faktor. Der reibungslose Ablauf der durch das ERP-System gestützten Prozesse muss garantiert sein.
  2. Anpassungsaufwand: Um Open-Source-Lösungen in einem Unternehmen funktionsfähig und effizient zum Laufen zu bringen, ist oftmals noch erheblicher individueller Anpassungsbedarf erforderlich. Wird dies von einem externen Softwaredienstleister bewerkstelligt, entstehen hohe zusätzliche Kosten. Die notwendigen Anpassungen inhouse durch die eigene IT-Abteilung durchzuführen, ist mit einem hohen Zeitaufwand verbunden, unter denen womöglich die alltäglichen IT-Aufgaben zu leiden haben. Insbesondere die Geschäftsleitung hat kein Interesse, vom „Herrschaftswissen“ der eigenen IT-Mitarbeiter abhängig zu sein und die Macht der IT weiter zu stärken. Aus diesem Grund werden in vielen Auswahlprojekten standardisierte Branchenlösungen favorisiert. Der Anpassungsbedarf hält sich zumeist in engen Grenzen und das Funktionieren wird vom ERP-Anbieter gewährleistet.
  3. Keine Sponsoren: Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Faktor ist der Mangel an solventen Sponsoren im Open-Source-ERP-Bereich. Viele der bekannten und erfolgreichen Open-Source-Projekte entstanden als Reaktion auf eine marktbeherrschende Stellung eines Softwareanbieters wie beispielsweise Windows im Bereich der Betriebssysteme und vieler Office-Anwendungen. Dabei wurden viele dieser Projekte stark von namhaften Großkonzernen unterstützt, die die Abhängigkeit zu einem Anbieter verringern wollten. So wurde Linux beispielsweise von Oracle unterstützt, um die Marktmacht von Microsoft zu brechen. Google wiederum förderte Mozilla, um so seine Suchmaschine weiter zu verbreiten.

Der Markt an ERP-Systemen unterscheidet sich in einem Punkt sehr deutlich von der sonstigen IT-Branche: Trotz der Marktführerschaft von Konzernen wie SAP, Microsoft, Oracle oder Infor ist der Markt für Business-Software-Anwendungen weit von einem Mono- oder Oligopol entfernt. Zahlreiche kleine und mittelständische Softwareunternehmen konkurrieren mit den etablierten Herstellern. Auf SoftSelect.de haben sich alleine über 300 Softwarehersteller mit ERP-Lösungen registriert. Die Notwendigkeit. unabhängige Open-Source-Projekte zu unterstützen, um so der Marktmacht und der damit verbundenen Abhängigkeit von einem monopolistischen Anbieter zu entgehen, besteht im ERP-Umfeld nicht.

Kosten von Open-Source-ERP

Open-Source-Software ist in der Regel lizenzkostenfrei. Geld verdienen die Open-Source-ERP-Anbieter insbesondere durch Servicedienstleistungen wie die Implementierung der Software, Customizing, Schulungen oder den Support. Wie bei ERP-Systemen üblich, werden auch bei Open-Source-Anbietern Wartungsgebühren erhoben. Die anfänglich bei Open-Source-Anbietern eingesparten Lizenzkosten werden also zum Teil durch Service- und Wartungskosten wieder aufgefangen.

Gerade die bekannteren Open-Source-Anbieter im Business-Software-Bereich unterschieden sich von der Kostenstruktur jedoch kaum. Sie orientieren sich an den regulären Vertriebsmodellen und verlangen sowohl Lizenz- als auch Wartungskosten. Im Gegenzug wird in der Regel das Funktionieren der Anwendungen wie bei „unfreier“ ERP-Software üblicherweise vertraglich garantiert.

Fazit

Trotz eines anfänglichen Hypes sind bis heute nur wenige Unternehmen bereit, ein ERP-System auf Open-Source-Basis einzuführen. Zwar gibt es einige Hersteller und aktive Entwickler-Communities, doch ist die Verbreitung noch nicht nennenswert. Allenfalls für einzelne Komponenten oder als Insellösungen werden Open-Source-Systeme eingesetzt. Die Gründe hierfür sind zum einen bei der mangelnden Performance und Qualität der Open-Source-Lösungen und zum anderen beim mangelndem Branchen-Know-how zu suchen. Oft ist der individuelle Anpassungsbedarf der quelloffenen Software in den Unternehmen sehr hoch. So müssen entweder teure Dienstleistungen eingekauft werden, oder die unternehmensinterne IT wird vor hohen Arbeitsaufwand gestellt. Weiterhin fehlt es den Open-Source-Projekten im ERP-Bereich an prominenter Unterstützung durch potente Sponsoren.

Der geschäftliche Einsatz von quelloffener Software als ERP-System bringt daher bedeutende Risiken für den Unternehmenserfolg mit sich. Zum einen ist die Zukunftssicherheit vieler Lösungen nicht gegeben, zum anderen übernehmen die Open-Source-Anbieter zumeist keinerlei Haftung für das Funktionieren der Software.

Die bekannteren ERP-Lösungen auf Open-Source-Basis wehren sich gegen diese Bedenken, indem sie wie die klassischen ERP-Hersteller auch umfänglich Service- und Supportdienstleistungen anbieten und sich diese bezahlen lassen. Auch hier werden zumeist sowohl Lizenzkosten als auch Support- und/oder Wartungsgebühren fällig. Die tatsächlich anfallenden Kosten unterschieden sich daher nur geringfügig von denen „unfreier“ Software.

Quelloffene ERP-Systeme werden daher mittelfristig auch weiterhin nur ein Nischendasein führen. Da die Unternehmen das Risiko und den hohen Anpassungsbedarf von Open-Source-ERP-Systemen fürchten, stehen die Open-Source-Projekte vor zum Teil erheblichen Nachholbedarf bei Funktionalität, Performance und Zuverlässigkeit. Die Unternehmen erhoffen sich von einem ERP-Anbieter aber vor allem Unterstützung bei der Prozessoptimierung und Entlastung der hauseigenen IT. Es werden sich daher vornehmlich diejenigen Anbieter durchsetzen, die diesen Bedarf zu decken vermögen und durch hohen Service und guten Support überzeugen können.

AUTOR

Michael Gottwald ...

... ist Analyst und Geschäftsführer der SoftSelect GmbH, Hamburger Beratungs- und Marktanalystenhaus im IT-Sektor. Bevor er 1994 das Unternehmen gründete war Gottwald als Berater bei Anderson Consulting tätig. Seither unterstützt er Unternehmen bei der Auswahl von Business Software und veröffentlicht Softwarestudien zu diversen IT-Themen.

ZDNet.de Redaktion

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