Vorratsspeicherung: EU-Kommission klagt gegen Deutschland

Wie angedroht hat die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Klage gegen Deutschland erhoben, weil es die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung von 2006 nicht umgesetzt hat. Die dafür gesetzte Frist war am 26. April abgelaufen. Die Kommission fordert nun Geldstrafen.

Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung schreibt Telekommunikationsbetreibern und Internetanbietern zwingend vor, Verbindungs- und Standortdaten für Strafverfolgungszwecke zu speichern. „Verzögerungen bei der Umsetzung der Richtlinie in innerstaatliches Recht könnten negative Auswirkungen auf den Binnenmarkt für elektronische Kommunikation sowie auf die Fähigkeit von Justiz- und Polizeibehörden haben, schwere Straftaten aufzudecken, zu untersuchen und zu verfolgen“, heißt es in einer Mitteilung der EU-Kommission.

Am 2. März 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht das deutsche Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben. Zwar legte die Bundesjustizministerin im Juni einen neuen Gesetzentwurf auf Basis des Karlsruher Urteils vor, dieser ging Datenschützern und der Netzgemeinde jedoch zu weit, CDU und CSU aber nicht weit genug. Seither konnten sich die Regierungsparteien nicht einigen.

„Deutschland wurde hinlänglich Zeit für die Umsetzung der Richtlinie in innerstaatliches Recht eingeräumt. Obwohl das Gerichtsurteil die volle, verfassungskonforme Umsetzung der Richtlinie keineswegs ausschließt, wurden seitdem keine neuen Rechtsvorschriften erlassen“, so die EU-Kommission.

Im Oktober 2011 hatte sie Deutschland in einer mit Gründen versehenen Stellungnahme aufgefordert, diesen Verstoß gegen EU-Recht zu beenden (IP/11/1248). Am 26. März 2012 räumte die Kommission dem Land eine letzte einmonatige Frist ein und kündigte gleichzeitig den Gang vor den EuGH an.

Seitdem hätten die deutschen Behörden noch nicht mitgeteilt, inwiefern und wann sie neue Rechtsvorschriften zur vollständigen Umsetzung der Richtlinie erlassen würden. Die Kommission habe deutlich gemacht, dass ein System der Datensicherung („Quick Freeze Plus“), wie es derzeit in Deutschland diskutiert werde, nicht als vollständige Umsetzung der Richtlinie anzusehen wäre. Daher habe man beschlossen, Klage zu erheben und dem EuGH vorzuschlagen, die Zahlung eines Zwangsgelds für jeden Tag ab dem Urteil des Gerichtshofs bis zur Beendigung des Verstoßes gegen EU-Recht zu verhängen (Artikel 260 Absatz 3 AEUV). Die Höhe des täglichen Zwangsgeld soll 315.036,54 Euro betragen.

Das ist deutlich mehr, als Schweden zahlen sollte, weil es sich ebenfalls weigerte, die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in nationales Recht umzusetzen. Nach einem ersten milden Urteil vor zwei Jahren (Az. C-185/09) folgte Ende Mai 2011 ein zweites (Az. C-270/11), das eine Geldbuße von 9597 Euro pro Tag zwischen dem ersten und zweiten EuGH-Urteil und 40.947,20 Euro für jeden Tag der Nichtumsetzung nach dem zweiten Urteil vorsah.

Wie die Kommission heute offiziell beschlossen hat, wird das Verfahren gegen Schweden teilweise eingestellt. Weil das Land die Richtlinie inzwischen vollständig umgesetzt hat, zog die Kommission ihre Forderung nach Zahlung eines Zwangsgelds zurück. Sie verlangt aber weiterhin die Zahlung eines Pauschalbetrags. Ein abschließendes Urteil des EuGH steht noch aus. Ein ähnliches Verfahren gegen Österreich, das alle Maßnahmen zur vollständigen Umsetzung der Richtlinie mitgeteilt hat, wurde hingegen komplett eingestellt.

Der Branchenverband Bitkom kritisiert die von der EU-Kommission angestrebte Klage gegen Deutschland vor dem EuGH. Er spricht sich dafür aus, dass die Speicherung hierzulande erst nach der anstehenden Überarbeitung der EU-Richtlinie neu geregelt wird. Die deutsche Regelung müsse langfristig mit EU-Recht vereinbar sein. Gemeinsam mit weiteren Verbänden plädiert der Bitkom dafür, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vereinbarkeit der Vorratsdatenspeicherung mit bestimmten Grundrechten abzuwarten.

„Die Unternehmen tragen auf belastbarer rechtlicher Basis selbstverständlich zur Bekämpfung schwerer Straftaten bei. Trotz des laufenden Novellierungsverfahrens der EU jetzt aber im Hauruck-Verfahren das in Deutschland geltende Recht zu ändern, macht keinen Sinn“, sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. „Die Telekommunikations- und Internetanbieter erwarten eine rechtssichere Lösung, die nicht in Kürze schon wieder geändert werden muss oder abermals vom Bundesverfassungsgericht angegriffen werden kann. Ein deutsches Gesetz darf jetzt nicht übers Knie gebrochen werden.“

Die Telekommunikations- und Internetwirtschaft brauche mehr Planungssicherheit, so Rohleder weiter. Ein so schwerwiegender Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung, wie er von der Vorratsdatenspeicherung zwangsläufig ausgehe, müsse sehr sorgfältig überdacht werden. Hier sei ein Maximum an Augenmaß und Fingerspitzengefühl gefordert. „Wie auch immer der Bundestag sich letztlich entscheidet: Die Verhältnismäßigkeit der Mittel muss immer gewahrt bleiben.“

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ZDNet.de Redaktion

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