Das Europäische Parlament hat in seiner heutigen Sitzung das umstrittene Abkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie (ACTA) abgelehnt. Dadurch kann es in der EU nicht rechtskräftig werden. 478 Parlamentarier stimmten gegen das internationale Anti-Counterfeiting Trade Agreement, 39 dafür, 165 enthielten sich. Es ist das erste Mal, dass das Parlament von seinem im Lissabon-Vertrag verankerten Recht Gebrauch gemacht und einem internationalen Handelsabkommen die Zustimmung verweigert hat.
„Ich bin sehr erleichtert, dass das Parlament meiner Empfehlung gefolgt ist und ACTA abgelehnt hat“, sagte der britische Sozialdemokrat und ACTA-Berichterstatter des Handelsausschusses, David Martin, nach der Abstimmung. Seiner Ansicht nach sei das Abkommen zu vage und führe leicht zu Fehlinterpretationen. Bürgerliche Freiheiten gerieten dadurch in Gefahr. Dennoch sei es wichtig, Alternativen für den Schutz geistigen Eigentums in der EU zu finden, da es sich bei diesem um den „Rohstoff der EU-Wirtschaft“ handle.
Ähnlich formuliert es Jimmy Schulz, FDP-Internetexperte und Obmann der FDP-Fraktion in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“: „Das völlig intransparente Zustandekommen des Vertrages und vor allem die Fülle von schwammigen Formulierungen sind inakzeptabel. Wir stehen vor dem Ende von ACTA, aber vor allem am Anfang einer wichtigen Debatte: um den Schutz des Urheberrechts und immaterieller Güter in der digitalen Welt. Mit dem heutigen Aus für ACTA haben wir nun die Chance und die Aufgabe, die Diskussion unbelastet zu führen.“
Der schwedische ACTA-Befürworter Christofer Fjellner (EVP) hatte in der letzten Debatte vor der Abstimmung vorgeschlagen, das Parlament sollte seine Schlussabstimmung bis zur Urteilsverkündung des Europäischen Gerichtshofs hinsichtlich der Vereinbarkeit von ACTA mit EU-Recht verschieben. Da eine Mehrheit der Abgeordneten sich diesem Vorschlag widersetzte, reagierte eine nicht unerhebliche Minderheit mit Stimmenthaltung bei der heutigen Abstimmung.
Gegen ACTA hat sich weltweiter Protest formiert. Gegner des Abkommens demonstrierten auf den Straßen, schickten E-Mails an Abgeordnete und riefen in deren Büros an. Ferner erhielt das EU-Parlament ein Petitionsschreiben, in dem 2,8 Millionen Unterzeichner weltweit die Abgeordneten aufriefen, ACTA ihre Zustimmung zu verweigern.
„Erst durch die Proteste der Menschen ist es zu einer ernsthaften Debatte und einer Hinterfragung des Textes gekommen. Meinungsbildung und deren Äußerung hat durch die digitale Revolution völlig neue Möglichkeiten geschaffen und ermuntert Menschen jeden Alters zum politischen wie gesellschaftlichen Diskurs. Mit dem Ende von ACTA sehen die Menschen, dass sie etwas bewegen können“, sagte die stellvertretende CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär, gleichzeitig Vorsitzende des Arbeitskreises für Netzpolitik (CSUnet) und des CSU-Netzrates. „Ich bin glücklich über dieses Ergebnis, weil es ein Gesetz zu Grabe trägt, das sowohl von seiner Entstehungsgeschichte als auch den Inhalt betreffend zeigt, wie es eben nicht geht.“
Neelie Kroes, EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, hatte schon im Mai ein Scheitern von ACTA prophezeit. Das Europäische Parlament selbst stimmte bereits 2010 wegen der sogenannte „Three Strikes“-Regel gegen das Abkommen. Sie sieht vor, dass Filesharern und Urheberrechtsverletzern nach drei Verwarnungen der Zugang zum Internet verwehrt wird. Da Rechteinhaber in den USA diese Maßnahme stützen, wird die Regel möglicherweise dort auch eingeführt.
ACTA, das hinter verschlossenen Türen von der EU und den einzelnen Mitgliedstaaten, den USA, Australien, Kanada, Japan, Mexiko, Marokko, Neuseeland, Singapur, Südkorea und der Schweiz ausgehandelt wurde, soll die internationale Gesetzgebung bei der Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie verschärfen. Das Ergebnis der heutigen Abstimmung hat zur Folge, dass weder die EU noch einzelne Mitgliedstaaten dem Abkommen beitreten können. Die bereits von 22 EU-Staaten geleisteten Unterschriften sind nichtig.
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