Interview mit Richard Stallman: „Bösartige Attacken auf die Anwender“

Richard Stallman nimmt es genau. Er legt zum Beispiel großen Wert auf den Unterschied zwischen Open Source und Free Software. Der Gründer der Free Software Foundation (FSF) schätzt es auch ganz und gar nicht, wenn man ihn in als „Vertreter des Open Source-Lagers“ bezeichnet. Der Initiator des legendären GNU-Linux-Projekts mag es nicht, mit Bezeichnungen wie „Linux-Pionier“ oder „Linux-Guru“ angesprochen zu werden. Und er achtet auch darauf, dass seine Gesprächspartner immer „GNU/Linux“, nie nur „Linux“ sagen.

Das klingt nach Starallüren und Diva-Verhalten. Von beidem hat Stallman aber nichts an sich. Er legt allerdings Wert darauf dass alle – gerade auch Journalisten – präzise Begriffe verwenden. Andernfalls scheut er sich nicht, seinen Gesprächspartner freundlich aber bestimmt darauf hinzuweisen, dass eine Frage sinnlos sei, und, dass man die Begriffe durcheinanderbringe. Danach fragt er, ob man die Frage – anders formuliert – noch einmal stellen wolle.

Am Rande eines Vortrags an der Technischen Universität München stand Richard Stallman der ZDNet-Redaktion für ein exklusives Interview zur Verfügung. Dabei zeigt sich, was auch im Vortrag vor einigen hundert Zuhörern – zumeist Studenten – schon zu bemerken war. Richard Stallman hat Humor, wovon das schelmische Blinken in seinen Augen und manch trockener Witz zeugen.

Und Stallman wird nicht müde, die Grundlagen zu GNU/Linux und Free Software in zahlreichen Vorträgen, Aufsätzen und Interviews zu erklären. Was vielleicht auch erklärt, warum der Gründer der Free-Software-Bewegung gegen Ende des Interviews Anzeichen der Langeweile zu erkennen gibt. In den letzten Minuten des auf eine halbe Stunde angesetzten Gesprächs, konzentriert sich Stallman hauptsächlich auf eine Haarlocke, die er beständig in die Länge zieht und zwischen seinen Fingern zwirbelt. Für interessante Antworten reicht die Konzentration aber trotzdem noch.

ZDNet: Welche Ziele haben Sie seit Gründung der Free Software Foundation im Jahr 1985 schon erreicht?

„Sie sollten keine unfreie Software einsetzen. Sie sollten so klug sein, das nicht zu tun“, empfiehlt Free-Software-Gründer Richard Stallman (Bild: Mehmet Toprak / ZDNet.de).

Stallman: Was wir erreicht haben, ist eigentlich Nebensache. Es geht eher darum, dass die Menschen verstehen, was freie Software eigentlich ist. In den 80er Jahren war es völlig unmöglich, einen Computer zu bekommen, der mit freier Software arbeitet. Weil alle installierten Programme proprietär waren. Unser erstes großes Ziel war deshalb, ein wirklich freies Betriebssystem zu bauen. Genau das haben wir getan. Als Linus Torvalds 1992 Linux vorstellte, hat das eigentlich nur die letzte Lücke in GNU geschlossen. Damit hatten wir ein komplettes freies Betriebssystem GNU plus Linux, deshalb der Name, auf den ich großen Wert lege: GNU/Linux.

ZDNet: Aber nicht alle GNU/Linux-Distributionen bestanden zu 100 Prozent aus freier Software.

Stallman: Das ist richtig, keine dieser Distributionen war 100 Prozent ethisch korrekt, weil sie eben auch unfreie Software enthielt. Erst seit 2006 gibt es hundertprozentig freie Distributionen, die wir tatsächlich empfehlen können.

Der nächste Meilenstein war die grafische Bedienoberfläche. Zumindest die Nicht-Geeks haben sich das gewünscht. Das haben wir Anfang der Nuller-Jahre erreicht. Als nächstes wollten wir auch freie Software für Office-Anwendungen realisieren. Das wurde mit Open Office, jetzt Libre Office, geschafft.

ZDNet: Was haben Sie als nächstes vor?

Stallman: Im nächsten Schritt wollen wir erreichen, dass Computer auf den Markt kommen, bei denen die vorinstallierte Software auf Basis von GNU/Linux zu 100 Prozent frei ist.

ZDNet: Den etablierten kommerziellen Anbietern gefällt das Free-Software-Projekt sicher nicht. Haben Sie jemals versucht, sich mit einem Vertreter von Apple oder Microsoft darüber zu unterhalten?

Stallman: Nein, das wäre sinnlos. Die wissen genau, was sie wollen, und das steht im Gegensatz zur Freiheit bei der Software-Nutzung. Ich werde die Manager von Apple oder Microsoft nicht davon überzeugen können, ihre Prioritäten zu ändern. Deshalb habe ich auch bessere Dinge zu tun, als meine Stimme zu verschwenden, indem ich gegen eine Wand spreche.

ZDNet: Vielleicht würden die aber doch merken, dass Sie etwas zu sagen haben.

Stallman: Meine Argumente kennen die schon. Die Freiheit des Nutzers ist ihnen aber einfach egal. Genauso wie Apple die schreckliche Behandlung der Arbeiter, die ihre Produkte in China herstellen, egal ist. Wenn Apple sich wirklich um die Arbeiter bei den Zulieferern sorgen würde, dann könnten sie die Ausbeutung stoppen. Aber es ist ihnen egal, sie versuchen mit ihren Maßnahmen nur, die Öffentlichkeit zu beschwichtigen, so dass diese sich nicht allzu sehr beschwert.

„Er versuchte mich weichzuklopfen.“

ZDNet: Sie haben einmal mit Steve Jobs verhandelt, als er noch bei seinem Unternehmen NEXT war.

Stallman: Ja, das stimmt, ich habe damals ein- oder zweimal mit ihm gesprochen. Er kannte die Ideen der Free-Software-Bewegung. Er wollte aber bei NEXT non-free-Software mit Software kombinieren, die unter der GNU/GPL-Lizenz lief (GNU General Public License) und versuchte Schlupflöcher der GNU/GPL-Lizenz zu finden. Er wusste natürlich, dass er für sein Vorhaben eine Erlaubnis benötigte und so fragte er mich danach.

Er versuchte mich weichzuklopfen, indem er mir erzählte, dass seine Firma NEXT auch mit GNU-Software arbeitet. Ich antwortete, dass aber nicht die ganze Software auf den NEXT-Rechnern frei sei. Dann fragte er, ob es in Ordnung sei, unfreie Software zum GNU-C-Compiler hinzuzufügen, wenn erst der Anwender die Programme miteinander kombiniert. Ich sagte ihm, dass ich zuerst mit meinem Anwalt sprechen müsse. Der meinte, dass die GPL das nicht erlaube, und das sagte ich dann auch Jobs. Er müsse die zusätzlichen Dateien, die er hinzufügen wolle, auch als freie Software hinzufügen. Genau das hat er dann auch getan. Das war meine einzige Begegnung mit Steve Jobs.

ZDNet: Apple hat derzeit in China großen Erfolg – auch ohne freie Software.

Stallman: Nun, die Chinesen scheinen sich nicht sehr darum zu kümmern, ob sie mit dem Kauf der Apple-Produkte andere Chinesen ausbeuten. Die „iThings“ von Apple sind letztlich nur Computer, die als Gefängnis für den Nutzer dienen. Das bösartige Genie Steve Jobs hat herausgefunden, wie man aus Computern Gefängnisse für die Nutzer macht und sie danach sogar dazu bringt, freiwillig drin zu bleiben.

„Apple-Produkte schaden der Gesellschaft“, findet Richard Stallmann (Bild: Mehmet Toprak / ZDNet).

ZDNet: Viele Menschen, die Apple-Produkte nutzen, durchschauen die Strategie durchaus, es stört sie aber einfach nicht. Oder sie sehen das nicht so streng wie Sie.

Stallman: Das stimmt, trotzdem schaden die Apple-Produkte der Gesellschaft, weil sie die Prioritäten der Menschen verschieben. Statt Freiheit wählen sie Komfort und Bequemlichkeit.

Freie Software ist auch für Unternemen wichtig

ZDNet: Kann freie Software ebenso leistungsfähig sein wie eine kommerzielle Software-Suite?

Stallman: Ja, natürlich kann sie ebenso gut sein. Denken Sie nur an eine Bildbearbeitungssoftware wie Gimp. Wenn jemand wirklich eine Funktion darin vermisst, dann kann er Entwickler beauftragen, diese Funktion zu programmieren. Das ist bei freier Software kein Problem. Die Frage ist also eher, ob der IT-Verantwortliche kurzfristig oder langfristig denkt. Freie Software heißt eben, dass der Anwender die Kontrolle über das Programm und den Computer hat. Das ist auch für Unternehmen wichtig, nicht nur für Privatanwender.

Im Bereich Automation ist die Industrie komplett zu freier Software übergegangen, denn sie wollen die Kontrolle über ihre Programme nicht aus der Hand geben. Sie wollen nicht auf Gedeih und Verderb von einem kommerziellen Software-Hersteller abhängig sein.

ZDNet: Welche Position haben Sie in der Diskussion über Intellectual Property und Patente?

Stallman: Vorsicht, diese zwei Begriffe sollten Sie nicht verwechseln. „Intellectual Property“ ist ein sehr verwaschener Begriff. Man kann ihn auf ungefähr zwölf verschiedene Gesetze beziehen. Das Patentrecht ist nur eines von diesen zwölf verschiedenen Gesetzen. Wenn man hier nicht klar unterscheidet, kommt totaler Unsinn heraus. Mit dem Begriff „Intellectual Property“ kann man deshalb keine sinnvolle Diskussion führen.

ZDNet: Aber das Europäische Patentamt beispielsweise verwendet den Begriff „Intellectual Property“ ebenfalls.

Stallman: Die tun das, um Leute in die Irre zu führen. Stellen Sie doch bitte eine klare und eindeutige Frage und arbeiten Sie nicht mit diesen verwaschenen Begriffen.

„Wenn überall freie Software im Einsatz wäre, ginge es uns allen besser“

ZDNet: Ich probier´s. Ein kleines Unternehmen will beispielsweise eine Innovation schützen. Hat es nicht das Recht dazu, dies beispielsweise mit Hilfe eines Patents zu tun?

Stallman: Sprechen wir über Hardware oder über Software? Das ist ein Riesenunterschied. Wenn es um Hardwarepatente geht, dann habe ich dazu ehrlich gesagt keine Meinung. Anders ist das bei Software. Bei großen Programmsuiten sind möglicherweise Hunderte von patentierten Ideen enthalten. Ein Unternehmen, das so eine Software-Suite auf den Markt bringen will, kann das durchaus in Schwierigkeiten bringen.

ZDNet: Wie würde die IT- oder Business-Welt aussehen, wenn Free Software tatsächlich dominieren würde?

Stallman: Nun, wenn überall freie Software im Einsatz wäre, dann ginge es uns allen besser. Wir wären vor allen möglichen bösen Attacken auf die Nutzerfreiheit sicher und könnten die Software so einsetzen, wie wir das wollen.

Und wenn ein Unternehmen eine bestimmte Funktion benötigt, dann beauftragt es einfach einen Entwickler, der diese programmiert. Entwickler und Software-Hersteller würden also weiterhin Geld verdienen. Vor allem kleine Software-Entwickler hätten auf Dauer keinerlei Problem, wenn alle Software wirklich frei wäre.

ZDNet: Glauben Sie, dass wir noch einen großen Siegeszug von Free Software erleben werden?

Stallman: Das weiß keiner. Wir könnten gewinnen und wir könnten verlieren. Ich weiß nur: Sie sollten keine unfreie Software einsetzen. Sie sollten so klug sein, das nicht zu tun.

Peter Marwan

Für ZDNet veröffentlicht Peter immer wieder Beiträge zum Thema IT Business.

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