Streit um „Bezahlmauern“: Anonymous wendet sich von Wikileaks ab

Anonymous hat die aufdringlichen Spendenaufforderungen von Wikileaks als „Bezahlmauern“ bezeichnet und sich von der Whistleblower-Site distanziert. Besonders verärgert sind die Hacktivisten darüber, dass Wikileaks den schnellen und direkten Zugriff auf die Global Intelligence Files anscheinend nur gegen Spenden freigeben will. Dabei erscheint eine Videobotschaft von Wikileaks-Gründer Julian Assange, die den US-Wahlkampf und die Politik von Präsident Barack Obama thematisiert. Das Video lässt sich offenbar nicht wegklicken, ohne dem Drängen von Wikileaks nachzugeben, zu warten – oder Javascript zu deaktivieren.

Die Dateien wurden ursprünglich vom Hackerkollektiv Anonymous zugeliefert und bei einem erfolgreichen Hack auf Stratfor erbeutet. Dieses Unternehmen wird wahlweise als Thinktank oder „Schatten-CIA“ beschrieben und liefert seinen Kunden geopolitische Analysen sowie Zukunftsprojektionen. Zu seinen Kunden gehören die US-Armee, die US-Luftwaffe, die Polizei von Miami, der Rüstungskonzern Lockheed Martin, aber angeblich auch die Deutsche Bank und die Deutsche Telekom.

Anonymous sieht die aggressiven Spendenaufforderungen als Bezahlmauern an (Screenshot: ZDNet.de).

Auf die Kritik hin nahm Wikileaks zunächst das aggressive Drängen zu Spenden zurück, setzte es aber einige Stunden später erneut und intensiver fort. „Aber heute Abend reizen sie uns bis zur Weißglut“, heißt es in einer Stellungnahme von Anonymous. „Die ‚Bezahlmauern‘ sind nicht nur wieder vor einzelnen Bereichen der Site erschienen, sondern vor jeder einzelnen Datei. Jetzt reicht es!“

Anonymous hat Wikileaks wiederholt Material zur Veröffentlichung überlassen, darunter angeblich auch die Syria Files mit 2.434.899 E-Mails syrischer Politiker. Darüber hinaus sprang die Aktivistengruppe bei, als MasterCard, Visa und PayPal das Spendenkonto von Wikileaks sperrten. Mit umfangreichen DDoS-Attacken machte sie die Sites der Zahlungsabwickler vorübergehend unerreichbar. Aus Protest gegen die geplante Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange griff Anonymous britische Regierungsseiten an.

Mit dieser Partnerschaft scheint es endgültig vorbei zu sein. „Wir waren schon einige Zeit besorgt, in welche Richtung sich Wikileaks entwickelt“, erklärt die Gruppe. Im letzten Jahr habe sich der Schwerpunkt weg von tatsächlichen Enthüllungen sowie dem Kampf um Informationsfreiheit – und hin zur Person von Julian Assange und seinem Betteln um Geld entwickelt.

„Unsere Schlussfolgerung ist, dass wir nicht mehr unterstützen können, was aus Wikileaks geworden ist – die Ein-Mann-Show mit Julian Assange“, heißt es weiter in einer bei Pastebin veröffentlichten Stellungnahme. „Aber wir wollen außerdem klarmachen, dass wir weiterhin die ursprüngliche Idee hinter Wikileaks unterstützen: Informationsfreiheit und transparente Regierungen. Leider müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Wikileaks nicht mehr für diese Idee steht.“

Die Spendenkampagne von Wikileaks soll während des US-Wahlkampfs laufen. Die Mittel sollen die Kosten der Infrastruktur für die Veröffentlichungen und den juristischen Aufwand im Kampf gegen die Finanzblockade abdecken. Mit einem Tweet wehrte Wikileaks die Vorwürfe von Anonymous ab: „Eine Kampagne, die zum Twittern, Teilen, Warten oder Spenden auffordert, ist keine ‚Bezahlmauer‘.“

Trotz der Verärgerung hat Anonymous keine Angriffe auf Wikileaks angekündigt. Informationen will die Gruppe aber nicht mehr an die Whistleblower-Site weiterleiten, sondern vertrauliche Dokumente in Zukunft auf einer eigenen Enthüllungsplattform veröffentlichen. Mit Par:AnoIA (Potentially Alarming Research / Anonymous Intelligence Agency) hat sie bereits im März eine dafür geeignete Plattform vorgestellt.

[mit Material von Dara Kerr, News.com]

ZDNet.de Redaktion

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