Louis Pouzin, vor allem in Frankreich als einer der Vorväter des Internets bekannt, will das ICANN-Monopol auf Top-Level-Domains brechen. Zusammen mit anderen Befürwortern einer alternativen DNS-Organisation hat er Open Root gegründet, das eine Alternative zu den Root-Servern von ICANN bereitstellen soll.
Pouzin ist 81 Jahre alt und eine IT-Legende. Am Massachussetts Institute of Technology schuf er das Time-Sharing-System CTSS. In den 1960ern schrieb er das Programm RUNCOM, das als Vorläufer von Befehlszeilenschnittstelle und Shell-Skripten gilt. Er prägte sogar den Begriff Shell für eine Befehlssprache. Die französische Regierung beauftragte ihn 1971 mit der Entwicklung des frühen Data-Switching-Netzwerks CYCLADES als Antwort auf das amerikanische ArpaNet. Das von Pouzin und seinem Team entwickelte Datagram-Protokoll nutzten Vinton Cerf und Robert Kahn 1974 als Grundlage für das TCP/IP-Protokoll des Internets.
Obwohl offiziell längst im Ruhestand, engagiert sich der Pionier für ein unabhängigeres Internet. Auch wenn das Netz in der täglichen Praxis öffentlich, dezentral und unabhängig von einzelnen Staaten ist, bleibt es unter der Kontrolle von ICANN (Internet Corporation of Assigned Names and Numbers), einer amerikanischen Organisation, die seit 1998 für die Vergabe von Domains und IP-Adressen verantwortlich ist. ICANN und seine verbundenen Organisationen (AFNIC in Frankreich, DENIC in Deutschland) kontrollieren insbesondere die Root-Server des Internets und vermitteln über zwei Milliarden Internet-Nutzern den Weg zu den Millionen Servern, die Daten bereithalten.
Obwohl es seinen Griff in diesem Jahr etwas gelockert hat, zwang ICANN Milliarden Menschen mit ASCII einen US-Zeichensatz auf, obwohl sie andere Alphabete nutzen. Es folgt außerdem mit der Vermietung von Domainnamen einem Geschäftsmodell, das manche zweifelhaft finden.
„ICANN bestimmt mit seinem selbst ausgerufenen Monopol, dass es nur einen Root – Verisign – gibt, der unter einer vertraglichen Vereinbarung mit dem US-Handelsministerium (DOC) arbeitet“, erklärte Pouzin gegenüber unserer Schwesterpublikation Silicon.fr. „Um diesen Root zu ändern, bedarf es der Zustimmung von ICANN sowie DOC. Tatsächlich gibt es aber auch viele Roots, die von anderen Organisationen geschaffen wurden, um Zugang zu Sites zu geben, die aus verschiedenen Gründen Top-Level-Domains haben, die für die Rootserver von ICANN nicht existent sind.“
Während er ICANN als von der US-Regierung kontrolliertes Monopol sieht, wünscht sich Pouzin das Projekt Open Root als eine Vereinigung (Eurolinc) unter Kontrolle der Nutzer. Es soll alle gebräuchlichen Alphabete der Welt unterstützen und Domainnamen nicht vermieten, sondern zu einem minimalen Preis verkaufen.
„Open Root sollte unabhängig vom ICANN-Root sein, eine Zuflucht für von ICANN abgelehnte Nutzer, und die von dieser Organisation auferlegten Bedingungen ablehnen“, so Pouzin. „Eine weitere Interessengruppe sind die Bürger von Ländern, deren Sprachen von ICANN nicht unterstützt werden.“
Wenig begeistert von der Initiative ist allerdings AFNIC, die in Frankreich für die Vergabe von Domainnamen verantwortliche Organisation. „Wir heißen jede Initiative willkommen, die Innovation und Wettbewerb fördert“, erklärte ihr Sprecher Julien Naillet. „Es erscheint uns allerdings unerlässlich, die Einmaligkeit von bereits genutzten Domainnamen zu garantieren. Die Vervielfachung von Roots wollen wir nicht, auch wenn sie jeweils neue Features bieten mögen.“
Das Internet Architecture Board (IAB) hat in einem als RFC 2826 bezeichneten Dokument zu den Internet-Standards ernsthaft vor alternativen Roots gewarnt. Die Einwände beziehen sich auf die entstehende Uneindeutigkeit. Da Erweiterungen wie .com oder .biz in verschiedenen Roots vorhanden sein könnten, müssten die Anwender wissen, welcher Rootserver zum Aufruf einer bestimmten Site geeignet ist, um nicht eine andere Site präsentiert zu bekommen. „Der Einsatz mehrerer öffentlicher DNS-Roots könnte sehr leicht dazu führen, dass die Kunden verschiedener ISPs beim Klick auf denselben Link einer Website zu verschiedenen Zielen gelangen – gegen die Absicht der Webseitenentwickler“, heißt es in dem IAB-Dokument.
Als ungezügelte Kommerzialisierung sieht Pouzin an, wenn die Internet-Verwaltung ICANN endlich neue „generic top-level domains“ (gTLDs) außerhalb der gewohnten Liste von Ländernamen und Erweiterungen wie .com zulässt und heftige Gebühren dafür ansetzt. Die Bewerber mussten allein für die Prüfung ihrer gTLD-Bewerbung eine Gebühr von jeweils 185.000 Dollar aufbringen. Später werden jährlich 25.000 Dollar fällig, um als Registrar tätig zu sein.
Selbst wenn Open Root nicht mehr als eine Handvoll Nutzer anziehen sollte, hält es Pouzin für unbezahlbar durch die Auslösung einer Debatte über die Internet-Verwaltung. Schließlich verbinde dieses Netz Milliarden von Menschen und bald noch weit mehr.
Pouzin räumt die Schwierigkeiten mehrfacher Sites mit der gleichen URL ein. Es gebe allerdings bereits mehrfache Sites für einen Begriff wie „tube“, obwohl in der Praxis Tube.com, Tube.net sowie Tube.org sicherheitshalber von derselben Organisation besetzt wären. „Wenn es in einem Open-Roots-Framework mehrere .tube gibt, dann sind sie zu unterscheiden durch den vom Nutzer gewählten Root“, erklärt Open Root – Websurfen soll somit zu einer Aktivität mit noch mehr Kontrolle durch die Nutzer werden.
Durch die kommenden gTLDs lässt sich Pouzin nicht beschwichtigen. Er glaubt vielmehr, dass sie den Bedarf nach alternativen DNS-Roots erhöhen und vielleicht Markeninhaber zu den Open Roots wechseln, möglicherweise sogar ICANN aufgeben lassen: „Die Markeninhaber begrüßen diese neue Politik absolut nicht, da sie mit einer explosiven Zunahme von Domainkonflikten und bösartigen Praktiken rechnen müssen“, heißt es dazu bei Open Root. „ICANN hat ihre Warnungen dennoch ignoriert. Aufgrund der hohen TLD-Gebühren und der mehrjährigen Verzögerung ist vorhersehbar, dass Open Roots für kommerzielle Organisationen als Ergänzung oder Ersatz für den ICANN-Root attraktiv werden.“
Wie wahrscheinlich ist eine solche Entwicklung? Pouzin ist optimistisch, aber die verschiedenen alternativen DNS-Projekte scheinen tatsächlich nur wenige Nutzer zu haben – und Pouzin gibt zu, dass sie keine Unterstützung durch kommerzielle Organisationen erfahren. Ein deutsches Projekt, das sich ebenfalls Open Root nannte, wurde vor fünf Jahren wieder eingestellt.
AlterNIC als der wohl bekannteste alternative DNS-Root war bis in die späten 1990er aktiv und galt als ernsthafter Herausforderer der damaligen Ad-Hoc-Struktur für die Verwaltung von Top-Level-Domains durch die Namensregistratur InterNIC. AlterNIC bot sich als kostengünstigere Alternative zu InterNIC an und verkaufte Domains innerhalb seiner eigenen TLDs, zu denen .biz und .usa gehörten.
AlterNIC-Gründer Eugene Kashpureff überzog es allerdings 1997, als er unberechtigt die DNS-Einträge von InterNIC änderte, um den Traffic für AlterNIC zu übernehmen. AlterNIC stellte seine Aktivitäten 1998 ein, und es lieferte ein weiteres Argument für die Gründung von ICANN, das die Internet-Verwaltung auf eine stabile Grundlage stellen sollte.
Die Alternative-DNS-Bewegung aber gibt es noch immer. Ob es ICANN gefällt oder nicht, die Kritik an seinem Monopol für Top-Level-Domains will nicht abreißen – und sie findet engagierte Unterstützung durch einen echten Internet-Pionier. Es folgt ein von Silicon.fr – in französischer Sprache – geführtes Interview mit Louis Pouzin.
[Mit Material von Jérôme Bouteiller, Silicon.fr, Max Smolaks und Peter Judge, TechWeekEurope UK. Dieser Beitrag ist eine „Euro Story“ – eine ausgewählte Geschichte, die auf mehreren europäischen Sites von NetMediaEurope veröffentlicht wird.]
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