Streit um geplante Obsoleszenz: Ein Betriebswirt heizt den Herstellern ein

Der PC, das Navigationsgerät, das Smartphone oder Elektrogeräte jeglicher Art – gerade einmal zwei Jahre alt und schon geben die Dinger den Geist auf. Und das kurz nach Ablauf der Garantie. Ist das wirklich nur Zufall oder doch Methode der Hersteller?

Auf der Website www.murks-nein-danke.de und über den Blog www.murks-nein-danke.de/blog prangert Stefan Schridde seit fast einem Jahr die sogenannte geplante Obsoleszenz an und sammelt Verbraucherstimmen zu diesem Thema. Unter einer geplanten Obsoleszenz versteht er die Strategie von Herstellern, in Geräte bewusst Schwachstellen einzubauen oder minderwertige Materialien zu verwenden, die zu gravierenden Betriebsstörungen oder sogar dem Komplettausfall von Geräten führen.

Stefan Schridde sammelt mit seiner Initiative Murks? Nein Danke! Fallbeispiele für geplante Obsoleszenz (Bild: privat).

Auch dass der Tausch von Akkus nicht möglich ist, fällt seiner Ansicht nach darunter. Eine Reparatur lohnt sich dabei für den Kunden nicht, da sie viel zu teuer ist. Betriebswirt Schridde: „Murks? Nein Danke! setzt sich als bürgerschaftliche Initiative für nachhaltige Produktqualität ein. Wir freuen uns über jede Mitwirkung, die uns hilft erfolgreicher zu werden.“ Seine Facebook-Seite hat mittlerweile deutlich über 8000 „Likes“. Sogar weltweit findet sich ein Netzwerk an Unterstützern, Tendenz steigend.

Und tatsächlich hat sich innerhalb des vergangenen Jahres einiges angesammelt. Immer mehr Verbraucher wollen die kurzen Lebenszyklen ihrer Elektrogeräte nicht mehr hinnehmen. „Mehr als 1400 Nutzerinnen und Nutzer haben bislang Fälle gemeldet, bei denen sie ihrer persönlichen Einschätzung nach einen Schaden erlebt haben, der auf geplanten Verschleiß zurückzuführen ist. Die veröffentlichten Fälle verdeutlichen die konstruktiven Methoden von Herstellern, mit denen durch geplante Verkürzung der Nutzungszeit zu einem baldigen Neukauf verführt werden soll. Dieser Murks muss aufhören“, so Schridde weiter.

Je nach Blickwinkel scheint geplante Obsoleszenz nachvollziehbar: Unternehmen stehen unter hohem Wettbewerbsdruck, viele Verbraucher erwarten ständig sinkende Preise. Einerseits sinkt die Gewinnspanne, andererseits muss jedes Jahr mehr Umsatz erwirtschaftet werden. Hersteller müssen deshalb kosteneffektiv produzieren.

Zwar kann man Bauteile zu hundert Prozent auf ihre Funktion prüfen, aber Prüfmaschinen, die tausende Lötstellen in einem Gerät kontrollieren sollen, sind sehr teuer. Deren Anschaffung und Betrieb würde die Produkte verteuern. Deswegen verzichten Produzenten oftmals auf eine kostspielige Kontrolle. Fehler und Ausfälle sind so vorprogrammiert.

Recycling – wie hier in einer Anlage von HP im kalifornischen Roseville ist gut – länger haltbare Produkte wären aber laut Schridde und seiner Initiative besser (Bild: CBS Interactive).

Der Vorteil einer geplanten Obsoleszenz scheint naheliegend: Die Einnahmen steigen, weil Geräte neu erworben werden müssen. Und die Kosten sinken, weil Hersteller zudem billigste Verbrauchsmaterialien verwenden, um ihre Margen zu steigern. „Dabei kosten hochwertige Komponenten nur wenige Cents mehr, damit würde sich fast jedes elektronische Produkt höchstens um einen Euro verteuern, aber fünf bis zehn Jahre länger halten“, urteilt das Magazin Öko-Test.

Nachzuweisen ist das Ganze allerdings nicht so einfach. Es gibt erst mal keinerlei Beleg, dass hinter der Kurzlebigkeit mancher Geräte böse Absicht steckt. Der Hersteller wird sich auf den Verschleiß berufen oder dem Kunden kulanterweise entgegenkommen. Die Beweispflicht liegt jedenfalls beim Konsumenten.

Dass allerdings die Industrie den frühzeitigen Verschleiß von Geräten beabsichtigt und Ingenieure Geräte bewusst nach diesem Prinzip entwickeln müssen, bekennt Dr. Wolfgang Neef, Ingenieur und Experte für Ethik im Ingenieurswesen an der TU Berlin, in dem ProSieben-Beitrag „Der geplante Defekt: „Damit es sich betriebswirtschaftlich rechnet, darf das Gerät nicht so lange halten, also die Garantiefrist und noch ein paar Zeiträume drauf. Dann soll es aber möglichst kaputtgehen soll, weil Umsatz belebt das Geschäft.“

Argumente, die die Gegenseite nicht akzeptiert. Sie setzt sich mit der Antwort zur Wehr, dass Unternehmen es sich nicht leisten könnten, den Kunden zu verärgern. Denn wenn das Produkt eines Herstellers schon nach zwei Jahren kaputt ginge, würde dieser den Hersteller wechseln und nur noch ein anderes Fabrikat kaufen.

Darf moderne Technik gar nicht so lange halten, wie sie könnte? Tastaturen in einem chinesischen Elektroschrott-Lager (Bild: Greenpeace)

Auch der Zentralverband der Elektroindustrie (ZVEI) bestreitet, dass die Hersteller absichtlich „Verfallsdaten“ einbauen und verweist auf die Langlebigkeit von Elektrogeräten: „Von geplanter Obsoleszenz kann bei Hausgeräten nicht die Rede sein“, sagt Werner Scholz vom ZVEI. So seien von den fast 180 Millionen in deutschen Haushalten eingesetzten großen Elektro-Hausgeräten fast 75 Millionen älter als zehn Jahre. 31 Millionen seien sogar schon 14 Jahre oder länger im Einsatz.

Siegel für lange Lebensdauer

In die gleiche Kerbe wie Schridde schlägt dagegen die Halbleiter-Test & Vertriebs GmbH (HTV) um den geschäftsführenden Gesellschafter Edbill Grote. Auch er vertritt die These, dass Unternehmen gezielt Schwachstellen in ihre Produkte einbauen, um ihre Gewinne zu steigern.

„Untersuchungen offenbaren den absichtlichen Einbau von Sollbruchstellen. Das Produkt wird so schneller schad- oder fehlerhaft und kann nicht mehr in vollem Umfang genutzt werden“, erklärt Grote. Als Beispiele nennt der HTV-Gesellschafter die Verwendung minderwertiger, preisgünstiger Bauteile und die absichtliche Fehlplatzierung von temperaturempfindlichen Bauteilen wie Elektrolytkondensatoren (Elkos) neben sehr heißen Bauteilen wie Leistungstransistoren oder Prozessoren in PCs und Monitoren. Die Kondensatoren erreichen so in absehbarer Zeit ihr Lebensende.

Grote ist jetzt noch einen Schritt weitergegangen und möchte den Schwarzen Schafen deren unlauteren Machenschaften nachweisen. Deshalb hat die HTV auf der Fachmesse Electronica im Herbst das Gütesiegel „HTVLife“ vorgestellt. Damit sie dieses Siegel erhalten können, werden elektronische Geräte und Bauteile auf Verschleißanfälligkeit geprüft. Zudem müssen Hersteller eine eidesstattliche Erklärung abgeben, dass sich keinerlei geplante, die Lebensdauer begrenzenden Sollbruchstellen im geprüften Produkt befinden. Da HTV natürlich für diese Dienstleistungen auch Geld verlangt, ist ein Eigeninteresse nicht auszuschließen.

Dass das Thema immer mehr Beachtung findet, zeigt eine breite Berichterstattung, darunter in Publikumsmedien wie Stern TV, beim Fernsehsender ARTE und in der Neuen Züricher Zeitung (NZZ) – mit unterschiedlicher Meinung. Während ARTE in einer rund 75-minütigem Dokumentation „Kaufen für die Müllhalde“ geplante Obsoleszenz zu einem immanenten Bestandteil unserer Konsumgesellschaft deklariert, bezeichnet die NZZ in ihrem Artikel „Moderne Märchen der Konsumkritik“ die Theorie vom geplanten Defekt als eine moderne Legende.

Ärgernis fest verbaute Akkus

Als Beispiel für eine geplante Obsoleszenz wird immer wieder Apple genannt, das iPhones und iPods so baute, dass Akkus nicht selbst gewechselt werden konnten. Sie mussten eingeschickt werden, der Akku-Tausch erfolgte für teures Geld. 2003 sah sich der Konzern mit einer Sammelklage konfrontiert: iPod-Besitzer klagten, dass der nicht austauschbare Akku des MP3-Players absichtlich so konzipiert sei, dass er nicht lange hält. Apple stimmte schließlich einem millionenschweren Vergleich zu.

„Doch es ist nicht Apple allein, überall fangen Hersteller an, Akkus fest einzubauen. Dies ist der Fall bei Handys, Navigationsgeräten, elektrischen Zahnbürsten, E-Book-Readern, Staubsaugern, Rasierapparaten und vielem mehr. Dabei steht in Paragraf 4 des Elektrogerätegesetzes (PDF), dass Akkus so eingebaut werden sollen, dass sie problemlos entnommen werden können. Doch das zuständige Umweltbundesamt bleibt untätig“, beklagt Schridde.

Im Gegensatz zu früheren Apple-Produkten lässt sich beim iPhone5 der Akku austauschen – wenn auch mühsam (Bild: iFixit.com)

Genannt werden zudem Tintenstrahldrucker. Auch hier soll es oft nicht mit rechten Dingen zugehen: Verbraucher erwerben günstige Drucker, die allerdings mit nur teilweise gefüllten Patronen ausgeliefert werden. Kaufen muss man meist die richtig teuren, herstellereigenen Tinten-Tanks, da preiswerte Cartridges vom Chip nicht erkannt werden.

Ferner werde die Reinigung der Druckköpfe vom Gerät meist viel zu häufig vorgenommen. Dabei landet immer ein wenig Tinte in einem kleinen Auffangschwamm. Ist dieser Schwamm voll, zeigt die Drucker-Firmware einen Defekt am Gerät an. Protagonisten der Obsoleszenz-These argumentieren mit einem bei Tintenstrahldruckern eingebauten Zähler-Chip, der nach einer bestimmten Anzahl gedruckter Seiten nicht mehr funktionieren soll.

Dazu gehört auch ARTE-Autorin Cosima Dannoritzer, die in ihrem TV-Beitrag am Beispiel eines vergleichsweise neuen Tintenstrahldruckers zeigt, dass das Gerät nach einer bestimmten Anzahl von Drucken den Geist aufgibt. Das Geheimnis ist laut Dannoritzer ein kleiner, im Schaltkreis des Druckers eingebauter Chip, der die Lebensdauer vorschreibt, indem er die Zahl der Druckvorgänge mitzählt und bei einer bestimmten Menge einfach „Schluss“ sagt. Würde man den Chip resetten, funktionierte der Drucker wieder.

Tipps für Käufer

„Geplante Obsoleszenz schadet allen“, so Murks-Betreiber Stefan Schridde. „Die kurzsichtige Orientierung am Renditedruck verursacht falsche Entscheidungen im Management, die am Interesse der werdenden Kreislaufgesellschaft vorbeigehen. Kreisläufe kennen keine Endverbraucher.“ Schridde empfiehlt deshalb, beim Kauf eines Produkts auf Folgendes zu achten:

  • Achten Sie auf die Reparierbarkeit des Produktes. Lassen Sie sich zeigen, wie sich das Gehäuse öffnen lässt oder ob es geklebt ist oder Schrauben verwendet wurden, die Ihnen unbekannt sind.
  • Lassen Sie sich schriftlich die Verfügbarkeit von Ersatzteilen für die Dauer von mindestens fünf Jahren zusichern.
  • Meiden Sie Produkte, deren Akkus fest eingebaut sind. Lassen Sie sich vom Verkauf zeigen, wie Akkus getauscht werden können.
  • Prüfen Sie aufmerksam, wie hoch die Folgekosten durch die Nutzung des Produktes sind.
  • Prüfen Sie, ob Sie tatsächlich das gesuchte Produkt brauchen oder ob Sie es sich auch gebraucht kaufen können. Ältere gebrauchte Güter sind oft haltbarer gebaut.
  • Übrigens: Murks-nein-danke.de möchte nach eigenen Aussagen des Betreibers nicht nur die Schwarzen Schafe an den virtuellen Pranger stellen, auch positive Beispiele sollen künftig veröffentlicht werden. Laut Schridde sind das besonders inhabergeführte mittelständische Unternehmen, die sich für nachhaltige Produktqualität einsetzen. „Wir arbeiten daran, ein geeignetes Verfahren zu entwickeln, mit dem eine sogenannte Whitelist auf Grundlage von bürgerschaftlichen Empfehlungen umgesetzt werden kann, ohne durch Dritte missbraucht zu werden.“

Peter Marwan

Für ZDNet veröffentlicht Peter immer wieder Beiträge zum Thema IT Business.

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