Streaming-Abmahnwelle gingen offenbar Versäumnisse des Landgerichts Köln voraus

Die seit gut einer Woche laufende Abmahnwelle gegen Streaming-Nutzer wurde offenbar erst dadurch ermöglicht, dass ein Großteil der zuständigen Richter am Landgericht Köln bei der Prüfung der Auskunftsersuchen geschlampt haben. Eingereicht wurden sie vom Rechtsanwalt Daniel Sebastian, um die wegen Urheberrechtsverstößen ermittelten IP-Adressen mit den Namen der Nutzer des Porno-Streaming-Angebots Redtube in Verbindung bringen zu können.

Wie das Landgericht Köln auf seiner Website erklärt, sind solche Auskunftsersuchen nahezu alltäglich. Das scheint auch der Grund dafür zu sein, dass viele der damit befassten Richter die von Sebastian eingereichten Ersuchen nur unzureichend geprüft haben. So entging ihnen, dass es in den Fällen nicht wie üblich um Filesharing, sondern um Streaming ging.

Rechtsanwalt Christian Solmecke von der Kölner Kanzlei Wilde Beuger Solmecke (Bild: Solmecke / WBS Law)

Einen dahingehenden Verdacht hat bereits der Berliner Anwalt Johannes von Rüden geäußert. Laut dem Kölner Anwalt Christian Solmecke, der nach eigenen Angaben 600 Betroffene vertritt, sind die Auskunftsersuchen nämlich „schlapp“ und hätten das Gericht auch ein „bisschen gefoppt“. Das sagte der Anwalt in einer Diskussionsrunde bei Nebelhorn Piratenradio, einem Angebot der Piratenpartei Bayern und NRW, am späten Donnerstagabend.

Einen dieser Anträge (PDF) hat Abmahnhelfer.de veröffentlicht. Insgesamt hatte Sebastian 89 „Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß § 101 Abs. 9 UrhG“ gestellt. Sie bezogen sich laut Solmecke auf jeweils 500 bis 1000 IP-Adressen. Am Landgericht Köln gibt es 16 Kammern mit je drei Richtern, insgesamt also 48, auf die solche Anträge üblicherweise verteilt würden. Von den 89 Anträgen sind 27 abgelehnt worden. Diese Richter haben laut Solmecke offenbar nachgehakt oder hatten die erforderliche Kompetenz. Der Rest hat die Anträge aber offenbar nur überflogen und durchgewinkt.

Solmecke entschuldigt das mit der Vielzahl ähnlicher Anträge in Filesharing-Verfahren, die die Richter regelmäßig bearbeiten müssen. So werde einfach nur noch auf bestimmte Schlüsselstellen geachtet – die Rechtsanwalt Sebastian auch geschickt kaschiert habe, indem die Anträge in Aufbau und Wortwahl sich sehr stark an Auskunftsersuchen für Filesharing anlehnten.

So wird darin etwa von einem Hashwert des Links gesprochen: „Dateien beziehungsweise Dateienbündel werden eindeutig durch eigene URL, mithin eine einzigartige Ressourcenverweisung (Link) identifiziert. Für jeden dieser Links existiert ein einzigartiger, sogenannter Hash-Wert, der dem digitalen Fingerabdruck einer Datei oder eines Links vergleichbar ist und diesen unverwechselbar macht.“ Diese Begründung klingt gut, ergibt aber nur beim Filesharing, nicht beim Streaming Sinn.

Außerdem wird in den Anträgen nicht wirklich erklärt, wie die IP-Adressen ermittelt wurden – außer dass dazu eine Software zum Einsatz kam. Im Web kursierende Vermutungen, Werbeeinblendungen auf der Seite hätten das Tracking ermöglicht, sind zwar nicht völlig von der Hand zu weisen, würden aber die Position des Rechteinhabers schwächen: Wenn er gewusst hat, dass die ihm gehörenden Filme auf dem Portal gestreamt werden, und gezielt dafür die Werbung gebucht hat, dann kann eigentlich von einem Einverständnis ausgegangen werden. Er hätte dem Betreiber das Streaming untersagen und nicht die Nutzer ermitteln müssen.

In der Spätausgabe der Tagesschau sagte der Sprecher des Landgerichts Köln gegenüber der ARD, dass man die Sachlage prüfen werde, wenn Beschwerden eingingen. Genau das legten die Teilnehmer der Diskussionsrunde bei Nebelhorn Piratenradio Betroffenen auch nahe: „Wer sich alle Rechtspositionen sichern will, sollte gegen die Beschlüsse des Landgerichts Köln Beschwerde einlegen.“

Laut Solmecke stellt sich nämlich die Frage, ob in einem eventuellen Gerichtsverfahren das mit dem Antrag erworbene Beweismittel überhaupt rechtskräftig wäre. Dass Beweismittel dies nicht sind, ist im Gesetz vorgesehen, kommt in der Praxis aber nur sehr selten vor. Die Streaming-Abmahnungen könnten aber nach Ansicht des Anwalts so ein Fall sein. Möglicherweise handelt es sich nämlich um einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis – indem der Antragssteller sich die zu den IP-Adressen gehörenden Namen unter Angabe falscher Tatsachen sozusagen erschlichen hat.

Von der Abmahnwelle betroffen sind bisher in erster Linie Kunden der Deutschen Telekom. Wie Thomas Urmann von der für die Abmahnungen zuständigen Kanzlei Urmann + Collegen (U+C) im Gespräch mit Solmecke erklärte, werden in den kommenden Wochen auch tausende Kunden anderer Provider entsprechende Post von U+C erhalten. Die Auskunftsbeschlüsse des Landgerichts Köln lägen bereits vor.

Derweil haben sich Cyberkrininelle die im Auftrag der The Archive AG verschickten Abmahnungen für Phishing-Mails zunutze gemacht. Sie versenden auf elektronischem Weg Schreiben, die in Form und Inhalt nahezu dem Original entsprechen. Auch hier geht es um die Vervielfältigung eines angeblich urheberrechtlich geschützten Videos beim Streamingdienst Redtube. Wer solch eine Phishing-Mail erhält, sollte sie umgehend löschen und vor allem nicht den mit Malware verseuchten Anhang öffnen.

[mit Material von Peter Marwan, ITespresso.de]

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ZDNet.de Redaktion

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