DNS-Störung in China betrifft bis zu 200 Millionen User

In China wurden zahlreiche Websites gestern zeitweise auf eine von einem US-Unternehmen gehostete leere Webseite umgeleitet. Bis zu 200 Millionen User könnten betroffen gewesen sein. Der South China Morning Post zufolge waren Adressen mit den Top-Level-Domains .com, .net und .org generell nicht mehr abrufbar – egal ob sie in China oder im Ausland gehostet waren. Es könnte sich um einen DNS-Angriff gehandelt haben, dessen Motive allerdings im Dunkeln liegen, oder um eine technische Störung.

Der größte je gesehene Ausfall am Beispiel von 15 Domains (Bild: Application Performance Management von Compuware)

Websites mit dem Ländercode .cn waren nicht betroffen, wie mehrere chinesische Provider berichteten. Das Problem war nach einer guten Stunde eigentlich behoben, sorgte aber noch lange danach für Irritationen, weil Anwender auf in Caches abgelegte Kopien der Seiten zuzugreifen versuchten.

Die Betroffenen wurden auf eine von Dynamic Internet Technology gehostete Webseite umgeleitet. Das US-Unternehmen bietet mit Freegate ein Software-Tool an, das eine Umgehung von Zensurmaßnahmen etwa in China, Syrien und Vietnam ermöglicht. Es nennt als Klienten unter anderem die Zeitung „The Epoch Times“, die der in China verbotenen Sekte Falun Gong gehört, aber auch Radio Free Asia und die Organisation Human Rights in China.

Für Dynamic Internet Technologies bestätigte Präsident Bill Xia, dass die fragliche Adresse seinem Unternehmen gehört. Ihm zufolge ist das Problem auf das chinesische Zensursystem zurückzuführen, das einen Aussetzer erlitten habe. Er sagte der South China Morning Post: „Wir haben einen plötzlichen Traffic-Anstieg bemerkt und glaubten schon, wir würden angegriffen. Da unser Sicherheitssystem einen Schutzmechanismus einschaltete, bekamen Besucher der fraglichen Adresse nichts zu sehen.“

Eine solche DNS-Fehlfunktion habe es 2002 schon einmal gegeben, erklärte Xia. Damals sei die Website von Sina auf die der Falun Gong umgeleitet worden. „Ich schätze, dass das DNS-Umleitungssystem in Peking wieder einmal nach hinten losgegangen ist.“

Dieser These wollen sich jedoch nicht alle Experten anschließen. Manche glauben auch an einen Cyberangriff. Der Internet Service Provider Net.cn hält zudem fest, dass es sich um die bislang größte Störung in China gehandelt habe. Mehreren Berichten aus dem Land zufolge waren nur Rootserver in China betroffen, die zusammen zwei Drittel des Landes mit DNS-Abfragen versorgen. Ausländische Nutzer konnten von dem Vorfall nichts mitbekommen.

In China greifen mittlerweile 618 Millionen Menschen aufs Internet zu – davon 250 Millionen per Smartphone. Die Regierung versucht die Verbreitung von Informationen aber streng zu kontrollieren. Ihre jüngste Maßnahme ist es, eine Registrierung mit Ausweis zu verlangen, bevor Nutzer Videoinhalte hochladen dürfen.

Nachtrag 14.15 Uhr: Ergänzend informiert Compuware, es habe den Ausfall mit seiner Web-Monitoring-Lösung beobachtet, und er habe nicht eine, sondern acht Stunden gedauert. Nicht alle .com- und .net-Domains seien betroffen gewesen, aber der größte Teil. Der für Application Performance Management zuständige Direktor Michael Allen kommentiert: „Es ist verrückt, dass ein DNS-Problem solche Auswirkungen haben konnte. Das war der größte je von uns beobachtete Ausfall, und er betraf ein Siebtel der Internetnutzer weltweit. Firmen weltweit sind in dieser Zeit etwa 200 Millionen Dollar Umsätze entgangen.“

[mit Material von Eileen Yu, ZDNet.com]

Tipp: Wie sicher sind Sie bei der Sicherheit? Überprüfen Sie Ihr Wissen – mit 15 Fragen auf silicon.de

Florian Kalenda

Seit dem Palm Vx mit Klapp-Tastatur war Florian mit keinem elektronischen Gerät mehr vollkommen zufrieden. Er nutzt derzeit privat Android, Blackberry, iOS, Ubuntu und Windows 7. Die Themen Internetpolitik und China interessieren ihn besonders.

Recent Posts

Apple meldet Rekordumsatz im vierten Fiskalquartal

Die Einnahmen klettern auf fast 95 Milliarden Dollar. Allerdings belastet der Steuerstreit mit der EU…

2 Tagen ago

Microsoft steigert Umsatz und Gewinn im ersten Fiskalquartal

Das stärkste Wachstum verbucht die Cloud-Sparte. Microsoft verpasst bei der Umsatzprognose für das laufende Quartal…

3 Tagen ago

Bezahlkarten: Infineon verspricht weniger Plastikmüll

Ein Coil-on-Module-Package integriert Chip und Antenne, was den Kartenkörper fast vollständig recycelbar machen soll.

3 Tagen ago

Firefox 132 schließt elf Sicherheitslücken

Mindestens eine Anfälligkeit erlaubt das Einschleusen von Schadcode. Außerdem erweitern die Entwickler den Support für…

3 Tagen ago

Telekom nennt Termin für 2G-Ende

Zum 30. Juni 2028 soll das 2G-Netz komplett abgeschaltet werden und den Weg für schnellere…

3 Tagen ago

Alphabet übertrifft die Erwartungen im dritten Quartal

Gewinn und Umsatz legen deutlich zu. Zum Wachstum tragen auch die Sparten Cloud und Abonnements…

4 Tagen ago