Amazon spielt Marktmacht gegen Verlage aus

Amazon setzt Verlage in den USA und Europa offenbar durch verzögerte Lieferungen, Empfehlungen anderer Bücher und ähnliche Taktiken unter Druck. Seine Marktmacht spielt der Onlinebuchhändler angeblich gezielt bei Verhandlungen aus, um bessere Konditionen bei E-Books zu erhalten.

In den USA ist die französische Verlagsgruppe Hachette betroffen, die durch Zukäufe wie der Time-Warner-Buchsparte auch zu einem der größten amerikanischen Verleger wurde. Laut Hachette gibt Amazon gegenüber seinen Kunden oft wochenlange Lieferfristen an, obwohl die Titel auf Lager sind und vom Verlag stets prompt nachgeliefert werden. Ein unter Pseudonym verfasster neuer Roman der Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling kann nicht vorbestellt werden. Ganz aus dem Verkauf genommen wurde die Taschenbuchausgabe eines Titels von Brad Stone, der sich mit Amazon-Gründer Jeff Bezos und seinem Imperium befasst. Bei anderen Hachette-Titeln wiederum gibt Amazon den Kunden vergleichsweise geringere Nachlässe und empfiehlt zugleich ähnliche Bücher anderer Verleger als „günstigere Angebote“.

Amazon-CEO Jeff Bezos (Bild: CNET)

In Europa kam der schwedische Verlagskonzern Bonnier ins Visier, dem auch die deutschen Verlage Carlsen, Piper, Berlin und Ullstein gehören. Nach Berichten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bietet Amazon auch hier neu erschienene Bücher nur mit langen Lieferfristen an, obwohl sie eigentlich sofort lieferbar sind. Der Onlinehändler drängt angeblich auf höhere Rabatte für von ihm vertriebene E-Books. Wie die Zeitung von einem betroffenen Bonnier-Verlag erfuhr, liegen sie derzeit bei 30 Prozent – Amazon strebt aber 40 bis 50 Prozent an.

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der als Branchenverband sowohl Verlage als auch Buchgrossisten und Sortimentsbuchhändler vertritt, wirft Amazon „Erpressung der Verlage“ vor und ruft inzwischen sogar nach der Politik. Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis forderte, die Ziele des Kartellrechts „generell jetzt auch im digitalen Markt durchzusetzen“. Zwar habe Amazon „vielleicht noch kein Monopol im klassischen Sinne“, sei aber faktisch auf dem Weg, weltweit auf dem E-Book-Markt und mittelfristig möglicherweise im deutschen Buchmarkt eine marktbeherrschende Stellung einzunehmen. Lesen.net moniert hingegen, der Börsenverein verdrehe Fakten – und erinnert zugleich an die frühere politische Karriere des Börsenverein-Vorstehers.

In den USA hingegen halten sich die Verlage zurück, und selbst die betroffene Verlagsgruppe Hachette äußert sich nicht zum Hintergrund des Streits. Sie müssen zudem alles vermeiden, was nach einer verbotenen Absprache aussieht. Denn wegen illegaler Preisabsprachen wurden die Verlage Hachette, HarperCollins, Holtzbrinck, Penguin sowie Simon & Schuster angeklagt und mussten sich auf einen Vergleich mit dem Justizministerium einlassen. Sie hatten zusammen mit Apple versucht, durch das Agenturmodell höhere Preise durchzusetzen – und im letzten Jahr verurteilte ein Gericht den iPad-Hersteller für die von ihm „orchestrierte Verschwörung“.

Das gemeinsame Vorgehen von Verlagen und Apple richtete sich gegen Amazon, das E-Books zu deutlich günstigeren Preisen anbot. Auch jetzt könnte es Amazon darum gehen, E-Books günstiger anzubieten und weitere Marktanteile zu gewinnen. Ebenso denkbar ist aber auch, dass der Onlinehändler seine Spanne erhöhen will. Tatsächlich steht Amazon selbst unter dem Druck der Wall Street, endlich relevante Gewinne aufzuweisen. Ob Zufall oder nicht, Amazons harte Verhandlungstaktik wird zu einem Zeitpunkt bekannt, da unzufriedene Investoren seinen Kurs von 407 Dollar je Aktie im Januar auf 312 Dollar abdriften ließen.

Während von den Verlagen wenig zu hören ist, üben US-Autoren lautstarke Kritik an Amazon. „Wie alle repressiven Regimes will Amazon euren Zugang zu Büchern vollständig kontrollieren“, twitterte Hachette-Autor Sherman Alexie. „Angesichts von AMZNs Beinahe-Monopol sehe ich das als Kartellverstoß, aber die Kartellwächter in den USA sind unfähig“, kommentierte Science-Fiction-Autor Charlie Stross ebenfalls mit einem Tweet. Bestsellerautor James Patterson warf Amazon bei Facebook vor, die „Qualität der amerikanischen Literatur“ zu gefährden.

Nüchterner erklärt Vox.com die Hintergründe. Illegal sei Amazons Verhalten keineswegs. Amazon habe definitiv kein Monopol, und kein Einzelhändler sei verpflichtet, alle Produkte eines Anbieters zu führen und gut lieferbar zu halten. Ähnlich harte Verhandlungen um Konditionen führe Amazon auch in anderen Bereichen. Nicht viel anders gehe es zu, wenn Filialisten wie Walmart mit ihren Lieferanten verhandeln. Der Bücherstreit erfahre deshalb mehr Aufmerksamkeit in den Medien, weil Autoren und Verlage sich als Kulturwahrer besser darstellen können als die Produzenten materieller Güter.

[mit Material von Nick Statt, News.com]

ZDNet.de Redaktion

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