2011 stellte der österreichische Jurastudent Max Schrems eigentlich nur spaßeshalber ein Auskunftsersuchen an Facebook, um herauszufinden, welche Daten der Konzern über ihn gespeichert hat. Zurück kommt ein 1222 seitiges PDF, in dem unter anderem zuvor schon gelöschte Inhalte auftauchen.
Daraufhin will der Wiener wissen, „was passiert, wenn sich ein Nutzer mal wirklich auf seine Rechte beruft?“ – und reicht in Irland Klage gegen Facebook ein. Durch das darauffolgende Verfahren und seine Initiative „europe v facebook.org“ wird er europaweit zum Symbol für den Kampf um den Schutz der eigenen Daten.
Auch wenn der Titel anderes vermuten lässt, „Kämpf um deine Daten“ versteht sich nicht als Streitschrift wider den Selbstbetrug der Social-Media-Nutzer. Schon in der Einleitung macht Schrems deutlich, dass es ihm nicht darum geht, die IT-Industrie pauschal als Teufelszeug abzutun. Viel eher stellt er die Frage, wie sich die Entwicklungen in eine für alle sinnvolle Richtung lenken lassen.
Immer etwas flapsig und gespickt mit humorigen Anekdoten erklärt Schrems, was das Problem am Konstrukt „Datenschutz“ ist und wie Technikkonzernze ihre Nutzer durchleuchten, auch ohne dass diese ihre Daten angeben. Dabei stützt er sich auf Altbekanntes: dass die meisten von uns schon digitale Spuren hinterlassen, noch bevor sie in der Früh das Haus verlassen haben, oder dass die Datensammelei und ihre Verwertung immer umfangreicher werden.
Viel von dem, was Schrems aufzeigt, ist zwar bekannt, den meisten Internet-, Social-Media- und Smartphone-Nutzern im Detail aber wohl nicht bewusst. Er umreißt etwa die Möglichkeiten von Fluglinien, mit simpelsten Methoden herauszufinden, dass ein Kunde regelmäßig montags dieselbe Route fliegt – und ihm daher womöglich ein teureres Angebot macht, weil er den Flug ohnehin buchen wird.
„Was mit unseren Daten hinter den Displays passiert, die wir so gern ansehen (oder auch liebevoll streicheln), hinterfragen nur wenige. Das eine Prozent von uns, das genauer darüber nachdenkt, ist dann meistens entweder paranoid geworden oder wurde zum Datenschützer, manchmal auch beides“, schreibt Schrems.
In seinen Beispielen stützt er sich unter anderem auf Fälle, die durch die Presse gegangen sind – etwa den Skandal um den US-Supermarkt Target. Dessen Analytiker suchten in Millionen Datensätzen nach Verbindungen: Artikeln, die Kunden erwarben, bevor sie Kindersachen kauften.
So sagten sie relativ treffsicher vorher, ob eine Kundin schwanger war und konnten sogar den Geburtstermin errechnen – und verschickten dann „rein zufällig“ die entsprechenden Werbungen oder Gutscheine für Babykleidung, Kinderwagen und Wickeltisch.
Big Data für den Hausgebrauch
Vieles erläutert Schrems nur im Ansatz, dafür aber leicht verständlich – beispielsweise, wie Big Data funktioniert: „Aus hunderten Artikeln, die Sie auf Amazon angesehen und den paar, die Sie gekauft haben, wird in wenigen Millisekunden errechnet, was Sie vielleicht auch noch interessieren könnte. Aus tausenden Suchabfragen der letzten Jahre errechnet Google, gemeinsam mit anderen Faktoren, ob Sie beim Suchwort ‚Ägypten‘ auf der ersten Seite Urlaubsinfomationen oder eher Informationen zur derzeitigen politischen Lage bekommen.“
Gruselig wird es, wenn hinter den Kulissen Prozesse ablaufen, auf die der Nutzer nicht nur keinen Einfluss mehr hat, sondern sie gar nicht erst mitbekommt: „Heute ärgern wir uns, weil wir ohne Kundenkarte irgendwo keine minus 20 Prozent bekommen. In Zukunft werden wir hingegen oft gar nicht mehr wissen, welche Optionen es gibt“, schreibt Schrems.
Als Beispiel führt er den Bezahldienst PayPal an, der mit einigen US-Fluglinien kooperiert. Die Airlines speichern, wer von ihren Kunden ein PayPal-Konto hat – und bieten ihm als Zahlungsoption dann nur noch PayPal an. Die Fluglinie spart sich die Kreditkartengebühr, und wer lieber anders zahlen würde, hat schlicht Pech.
„Computer says No“
Zwar zielt „Kämpf um deine Daten“ eindeutig auf Otto Normalnutzer als Publikum ab, enthält aber auch für Technikversierte und Datenschutzinteressierte – das angesprochene eine Prozent – spannende Denkansätze. Etwa, wenn Schrems aufzeigt, wie viele Entscheidungen heute einer Software überlassen werden, und die kein Mensch mehr hinterfragt.
Als Beispiel führt er eine Begegnung am Wiener Flughafen an:
Zollwache: „Haben Sie Essen mitgenommen?“
Schrems: „Nein, wieso?“
Zollwache: „Sicher haben Sie Essen mitgenommen!“
Schrems: „Wie kommen Sie darauf?“
Zollwache: „Da ist ein gelber Rahmen am Bildschirm!“
Schrems: „Auf was reagiert denn der Computer? Dann kann ich Ihnen vielleicht sagen, was es ist. Essen ist es sicher nicht.“
Zollwache: „Was weiß ich, auf was der reagiert, ich bin nur Hausfrau!“
Schrems‘ Gepäck wird daraufhin eine Viertelstunde lang durchsucht – ohne Erfolg. Und für eine Frage nach dem Warum ist kein Platz. „Genau diese Frustration über willkürliche Entscheidungsfindung hat schon Revolutionen ausgelöst“, heißt es im Buch dazu. „Unberechenbare, intransparente und nicht hinterfragbare Entscheidungen zeichneten bisher vor allem autoritäre Staaten aus. Deswegen haben wir sie abgeschafft.“
Herrlich skurril: der Apple-Kult
Am Beispiel von Facebook und Apple macht Schrems deutlich, wie großartig es manche Firmen verstehen, ihre Kunden einzulullen. Sie sprechen von einer „positiven Nutzererfahrung“, weshalb es auch nur einen „Gefällt mir“-, aber keinen „Find ich bescheuert“-Button bei Facebook gibt.
„Die Stimmlage erinnert dabei oft an Drogenhändler, die ihre Produktpalette spätnachts vor Clubs ebenfalls gerne mit den positiven Erfahrungen anpreisen. Alles wird warm, schön, und du wirst dich unglaublich geliebt fühlen“, lautet Schrems‘ Urteil.
Noch deutlicher lässt sich dieses Prinzip an einem Experiment mit einem Apple-Fan illustrieren. Für eine BBC-Dokumentation wurde der von der Marke zutiefst begeisterte Mann in einen Hirnscanner geschoben. Als er Bilder von Apple-Produkten gezeigt bekam, reagierte sein Gehirn wie das von Tiefgläubigen auf religiöse Symbole. Schrems: „Da verwundert es nicht, wenn Menschen tagelang vor einem Shop campieren, um die neueste Offenbarung eines Konzerns für absurde Summen kaufen zu dürfen.“
Schrems ist mit „Kämpf um deine Daten“ ein fein zu lesender Rundumschlag gelungen, der für Neulinge leicht verständlich umreißt, worum es bei der Datenschutzdebatte geht, und gleichzeitig Denkansätze für alte Hasen liefert. Er fasst zusammen, weshalb es Privatsphäre braucht, und räumt mit den gängigsten Gegenargumenten auf.
In „Kämpf um deine Daten“ erklärt Schrems, wo derzeit die Probleme liegen, zeichnet Zukunfsszenarien und mögliche Lösungsansätze auf. Wie Schrems selbst zusammenfasst: „Für mich hat sich nie die Frage gestellt, ob diese Dinge an sich gut oder böse sind, sondern wie wir sie gestalten.“
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