Revolutioniert NFV das Geschäftsmodell der Netzbetreiber?

Warum sollen Prinzipien des Cloud Computing nicht auch in Kommunikationsnetzen funktionieren? Muss jede Netzfunktion und jede Anwendung in Telekommunikationsnetzen – seien es Mobilfunknetze oder Festnetze – wie in der Vergangenheit üblich – auf proprietärer Hardware mit exakt auf diese abgestimmter Software laufen? Also auf Geräten, die ob ihrer Spezialisierung teurer in der Anschaffung als nicht spezialisierte Geräte sind und als geschlossenes System nicht unbegrenzt skalier- und erweiterbar?

Andreas Lemke, der Autor dieses Gastbeitrags für ZDNet, ist Director Cloud Solution Marketing bei der Alcatel-Lucent Deutschland AG (Bild: Alcatel-Lucent).

Nein, nicht jede Netzfunktion braucht eine spezielle Hardware; wenn es aber um den Hochleistungsbereich geht, ist spezielle Hardware weiterhin unverzichtbar. In diese Richtung gingen die Überlegungen von 13 großen Netzbetreibern. In einem Whitepaper formulierten sie Ende 2012 die Grundgedanken für die Virtualisierung von Netzfunktionen.

Die Idee war so überzeugend, dass sich eine Arbeitsgruppe innerhalb des Europäischen Instituts für Telekommunikationsnormen (ETSI) formierte, um mit gemeinsamen Konzepten der Vision möglichst schnell zum Durchbruch zu verhelfen. Schnell schlossen sich weitere Unternehmen an. Insgesamt 200 Firmen, darunter alle großen Netzbetreiber und ITK-Hersteller, sind mittlerweile daran beteiligt.

Heute, ein gutes Jahr später, gibt es bereits erste Lösungen. Mehrere Netzbetreiber haben sich klare Ziele für die Einführung der Technologie gesetzt. So hat beispielsweise Telefónica angekündigt, bis 2016 30 Prozent ihrer neuen Netzelemente zu virtualisieren.

Virtualisierung muss hohe Anforderungen erfüllen

Der Grundgedanke von Network Functions Virtualization (NFV) ist, Netzelemente von ihrer Hardware zu lösen. Da, wo Netzelemente bislang eine spezielle Hardware benötigten, werden sie nun virtualisiert. Es reicht nun ein „Stück“ Software, das auf einer generischen Server-Infrastruktur im Rechenzentrum läuft.

Natürlich müssen die hohen Anforderungen der Netzbetreiber auch in einer Cloud mit virtualisierter Netztechnik erfüllt werden. Telekommunikationsnetze unterstützen Millionen von Teilnehmern und müssen ausfallsicher sein. Telekommunikationsdienste müssen echtzeitfähig sein und extrem hohe Datenraten ermöglichen. Generische IT-Clouds leisten dies nicht ohne weitere Vorkehrungen. Daher entwickeln Anbieter von ITK-Technik bisherige Cloud-Technologien so weiter, dass sie auch die Anforderungen an Telekommunikationsnetze erfüllen.

Um die nötige Performance aus den Servern „herauszukitzeln“, entwickeln Intel und andere Hersteller neue Virtualisierungstechniken, wie zum Beispiel das Data Plane Development Kit. IT-Clouds sind aus betrieblichen Gründen stark zentralisiert und können so die NFV-Service-Level-Agreements (SLA) nicht immer erfüllen. Alcatel-Lucent und Nuage Networks entwickeln daher zum Beispiel, verteile Cloud-Lösungen mit einer starken SDN-Komponente. Clouds werden also NFV-fähig.

Sind diese Vorkehrungen getroffen, liegen die Vorteile von NFV auf der Hand. Da die Server-Infrastruktur nicht dediziert für einen Zweck geschaffen ist, kann sie zum Beispiel in einer privaten Cloud für ganz unterschiedliche Netzfunktionen genutzt werden. Server lassen sich in virtuelle Maschinen aufteilen. Das verbessert die Auslastung, und da größere Mengen standardisierter Hardware angeschafft werden können, sinken die Kosten.

Weil das Netz automatisiert(er) betrieben werden kann, sind weitere Einsparungen möglich. So passt sich eine Netzfunktion automatisch jeder Änderung der Nutzerzahlen an: Bei steigendem Bedarf werden zusätzliche virtuelle Maschinen hochgefahren, und zwar genau dort, wo sie benötigt werden. Werden sie nicht mehr gebraucht, gibt die NFV-Lösung sie wieder für andere Aufgaben frei.

Am wichtigsten ist Netzbetreibern aber, dass sie mit NFV die Inbetriebnahme neuer Dienste signifikant beschleunigen. Sie werden flexibler und können leichter neue Marktsegmente und damit Einnahmen erschließen. Das liegt daran, dass ein neuer Dienst lediglich als Software-Modul implementiert wird. Keine Investition in den Hardware-Ersatz- oder in Hardware-Erweiterungs tätigen zu müssen bedeutet auch, dass langwierige Beschaffungs- und Installationsprozesse entfallen.

Da Netzbetreiber für das Anschaffen und den Betrieb der Netzelemente einschließlich der Kapazitätserweiterungen nicht mehr Monate oder gar Jahre benötigen, sondern mit deutlich weniger Zeit auskommen, und außerdem frei sind von Hardware-Restriktionen, könnte sich ihre Risikobereitschaft erhöhen. Sie könnten öfter und schneller neue Dienste testen, die sich bei einem Misserfolg mit geringen Kosten durch andere ersetzen lassen.

Network Functions Virtualization kann Diensteanbietern also helfen, ihre Netzinfrastruktur zu automatisieren und Kosten zu reduzieren. Damit hat die NFV-Technologie das Potenzial, die Telekommunikationswelt zu revolutionieren. Die Deutsche Telekom mit ihrem Terastream-Projekt, Telefónica mit UNICA, AT&T mit Domain 2.0 (PDF) sind nur einige Beispiele von Netzbetreibern, die NFV (und SDN) zum Anlass nehmen, um ihre Netzarchitekturen grundsätzlich zu überdenken.

Alcatel-Lucent unterstützt die Fortentwicklung von NFV aktiv in Standardisierungsgremien und mit eigenen Cloud-Lösungen wie der NFV-Plattform CloudBand und der SDN-Produktfamilie Nuage Networks. Vor zwei Jahren hat Alcatel-Lucent CloudBand als erste NFV-Plattform in der Branche vorgestellt, die heute in der zweiten Generation verfügbar ist. CloudBand steuert virtuelle Netzfunktionen, Server, Speicher und Netzressourcen an verteilten Standorten. CloudBand 2.0 integriert zum ersten Mal eine SDN-Lösung, die Virtual Services Platform der Alcatel-Lucent Tochter Nuage Networks.

Derzeit gibt es 16 Projekte weltweit, in denen Kunden auf Basis von CloudBand NFV einführen. Vor kurzem hat Alcatel-Lucent ein virtualisiertes Portfolio für Mobilfunknetze angekündigt und erste Teile auf den Markt gebracht. Virtual Evolved Packet Core (vEPC), Virtual IP Multimedia Subsystem (vIMS) und Virtual Radio Access Network (vRAN) verlagern erstmals große Teile des Mobilfunknetzes in die Cloud.

Fazit

Netzbetreiber verfolgen das NFV-Konzept, um Einsparungen bei Anschaffungs- und Betriebskosten zu erzielen. Erstere ergeben sich unter anderem aus dem Einsatz und der besseren Auslastung kostengünstigerer Mehrzweck-Hardware. Dies senkt auch den Energieverbrauch beträchtlich.

Ähnlich wie in der IT-Industrie können Netzbetreiber dank virtualisierter Netz- und Cloud-Technologien Tools einführen, die zahlreiche Bereiche des Netzbetriebs und des Netzmanagements automatisieren. Sie werden flexibler, können neue Dienste schneller aufsetzen und Ressourcen automatisch in beide Richtungen skalieren sowie dank ausgefeilter, analytischer Algorithmen kontinuierlich optimieren. Außerdem erwarten Betreiber von NFV endlich eine Umgebung, die ihnen die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und Services erleichtert sowie Innovationspotenziale eröffnet.

NFV bietet aber nicht nur für Netzbetreiber Vorteile. Auch deren Kunden profitieren, denn auf ihre Wünsche kann der Betreiber schneller und flexibler reagieren. Benötigt ein Geschäftskunde eine Firewall, einen WAN-Accelerator oder einen Sprachdienst, kann dieser in virtueller Form schneller „geschaltet“ werden als zuvor. Außerdem können Kunden darauf hoffen, dass Kostenvorteile an sie weitergegeben werden.

NFV bietet also vielerlei Vorteile. Der vielleicht wichtigste: Eine Cloud-Umgebung mit NFV erschließt Netzbetreibern neue Wege, um mit Cloud-Diensten zusätzliche Einnahmen zu erzielen. Das wäre dann wirklich eine Revolution in der Telekommunikationsbranche.

Peter Marwan

Für ZDNet veröffentlicht Peter immer wieder Beiträge zum Thema IT Business.

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