Frischer Wind für Windows Phone

War Windows Phone in den beiden vergangenen Jahren zunehmend zur Soloveranstaltung von Nokia geworden, deren Handysparte Microsoft dann schließlich sogar kaufte, so brachten die letzten Wochen eine ungewohnte Flut an neuen Geräten hervor. 14 neue Hersteller konnte Microsoft für seine Smartphone-Plattform gewinnen, die bereits 22 neue Geräte ankündigten – viele davon gab es Anfang des Monats auf der IFA erstmals zu sehen.

Die Weichen für diese Entwicklung wurden bereits im Frühjahr gestellt, als Microsoft mit Windows Phone 8.1 die Hardware-Anforderungen herunterschraubte, um seine Plattform für Hersteller attraktiver zu machen. Speziell die Entwicklungskosten sollten sinken, waren die doch angesichts niedriger Verkaufszahlen von Windows Phones einer der Hauptgründe, warum sich Hersteller der Plattform verweigerten. Microsoft rüstete Support für günstige Qualcomm-Chips wie Snapdragon 200 und 400 nach und machte Windows Phone fit für das Qualcomm-Referenzdesign. Ziel war es, es Herstellern von Android-Geräten zu ermöglichen, ihre vorhandenen Android-Designs ohne großen Aufwand mit Windows Phone zu bespielen. Dafür verabschiedete sich Microsoft auch von einigen Besonderheiten, die bislang jedes Windows Phone auszeichneten: dem dedizierten Auslösebutton für die Kamera und den Sensortasten für Zurück, Startscreen und Suche unterhalb des Displays. Beides wird es im Mittelklasse- und Highend-Bereich weiter geben, doch bei Einstiegsgeräten reichen künftig virtuelle Tasten, die im Display eingeblendet werden.

Wie die vielen neuen Hersteller und Geräte nun zeigen, waren die Maßnahmen erfolgreich. Allerdings befeuert Microsoft auf diese Weise vor allem die Produktion von günstigen Geräten im Einstiegsbereich. Zwar hat man mit LG und Lenovo auch neue Partner, die für Spitzenmodelle gut wären, doch diese haben bislang keine Windows Phones angekündigt. In den USA kann man mit dem HTC One M8 immerhin ein aktuelles High-End-Gerät vorweisen. Ob die Windows-Phone-Variante des HTC-Spitzenmodells nach Europa kommt, dürfte vom Markterfolg in den USA abhängen. Die zur IFA von Microsoft-Partnern angekündigten Modelle rangieren allesamt am unteren Ende der Preisskala und zielen auf ein Marktsegment, in dem Microsoft in der Vergangenheit mit Windows Phone durchaus schon erfolgreich war. Bekam man für Spitzenmodelle wie das Lumia 1020 mit seiner 41-Megapixel-Kamera viel Aufmerksamkeit, so war doch das Lumia 520 der heimlich Star und verkaufte sich sowohl in sogenannten Emerging Markets wie Indien gut als auch in Westeuropa.

Sicher hätte Microsoft von den neuen Herstellern gerne auch Highend-Geräte gesehen, doch der Fokus auf den Einstiegsbereich ist aktuell erfolgversprechender, handelt es sich doch um den Bereich, in dem die größten Stückzahlen abgesetzt werden und der daher das größte Wachstumspotenzial bietet. Da es Microsoft zunächst vor allem um Marktanteile geht, um weitere Hersteller, aber auch App-Entwickler vom Erfolg seiner Smartphone-Plattform zu überzeugen, kann man mit der aktuellen Entwicklung sicher gut leben. Zumal Windows Phone auch auf leistungsschwacher Hardware flüssig läuft und sich die Oberfläche einfach bedienen lässt und sich daher gut für Smartphone-Neulinge eignet. Die werden zudem das Fehlen der einen oder anderen Spezial-App verschmerzen können und gut mit dem auf mittlerweile auf etwa 300 000 Apps angewachsenen Angebot im Windows Phone Store auskommen.

Für die neuen Hersteller sind die Windows Phones in erste Linie Versuchsballons. Sie setzen auf das Referenzdesign und haben daher überschaubare Entwicklungskosten – finden die Geräte nicht genug Käufer, wird das Experiment „Windows Phone“ wieder beendet. Man kann wohl davon ausgehen, dass in einem Jahr nicht mehr alle neuen Hersteller an Bord sind.

Wie wenig finanzielles Risiko die Hersteller gehen, zeigt sich auch daran, dass sie ihre Android-Apps vorerst nicht auf Windows Phone portieren. Prestigio beispielsweise bietet unter Android für seinen E-Book-Store, seinen Cloud-Speicher und seine SmartHome-Produkte eigene Apps an, wird diese aber erst für Windows Phone bereitstellen, wenn sich die Geräte ordentlich verkaufen. Das ist verständlich, aber auch schade, fällt so doch ein Differenzierungsmerkmal weg. Und genau davon gibt es aktuell nur wenige unter den neuen Windows Phones, da sie durch das Referenzdesign eine identische Hardware-Basis haben und sich nur in Details und der Optik unterscheiden. Andererseits wird die Kaufentscheidung bei solch günstigen Geräten – der Einstiegspreis für Windows Phones liegt hierzulande dank der Neulinge bei etwa 80 Euro – in erster Linie über den Preis und das Aussehen gefällt.

Doch nicht nur für die neuen Hersteller, sondern auch für Microsoft ist nun der Verkaufserfolg der neuen Geräte entscheidend. Verkaufen sich diese schlecht und die Hersteller verabschieden sich wieder von Windows Phone, wäre der ganze Schwung, den man der Plattform gerade verpasst hatte, weg. Im Kampf um Marktanteile wäre das ein heftiger Rückschlag und man täte sich verständlicherweise schwer, andere Hersteller für Windows Phone zu begeistern.

Damit das nicht geschieht, müssen die neuen Geräte gut sichtbar und auf breiter Front im Handel verfügbar sein. Das ist sicher etwas, wo Microsoft mit seinen umfangreichen Ressourcen und guten Verbindungen in den Handel helfen kann – wahrscheinlich sogar muss. Immerhin räumte einer der neuen Hersteller gegenüber ZDNet.de bereits ein, er versuche, seine Windows Phones in den stationären Handel zu bekommen, man werde sie aber voraussichtlich vor allem online finden.

Zudem sollte Microsoft darauf achten, dass man mit den eigenen Einstiegsgeräten nicht zu sehr im Vordergrund steht und den neuen Herstellern etwas Raum lässt. Andernfalls droht ein Szenario wie beim Start von Windows Phone 8 vor knapp zwei Jahren, als schon einmal frischer Wind durchs Windows-Phone-Lager wehte. Damals standen vor allem die Nokia-Geräte im Rampenlicht, die noch dazu als erstes verfügbar waren und so zunächst keine Konkurrenz hatten. HTC und Huawei bekamen deutlich weniger Aufmerksamkeit, konnten nur wenige Geräte absetzen und verloren schnell die Lust an Windows Phone. Und ob Samsung jemals mit Interesse dabei war, darf bezweifelt werden.

Diese Gefahr besteht auch diesmal, stehen hinter Lumia 530, 630 und 635 doch die mächtige Marketing- und Vertriebsmaschinerie von Microsoft sowie viele exklusive Lumia-Apps, womit die Neulinge nur schwerlich konkurrieren können. Eines haben deren Geräte den Lumia-Modellen allerdings voraus: die bei der Generation Selfie nicht ganz unwichtige Frontkamera. Geräte wie das Prestigio MultiPhone 8500 Duo, das Yezz Billy 4.7 und das Polaroid WinPro 5.0 bieten zudem höhere Displayauflösungen als die Einstiegsklasse von Microsoft – alle drei werden ebenso wie Archos 40 Cesium, Prestigio MultiPhone 8400 Duo, Yezz Billy 4 und ein bislang namenloses Windows Phone von Trekstor auch auf den deutschen Markt kommen. Andere Modelle wie das von NGM in Zusammenarbeit mit Harley-Davidson für den italienischen Markt gefertigte Windows Phone oder das von Kazam zunächst nur in Großbritannien angebotene Thunder 340W sind hierzulande vorerst nicht direkt zu haben, sollten sich aber bei Interesse über ausländische Online-Shops beziehen lassen. Für reichlich Vielfalt im unteren Preissegment hat Microsoft also erfolgreich gesorgt.

Mit dem HTC One M8 steht in den USA auch ein neues High-End-Smartphone mit Windows Phone parat. Einen Marktstart in Europa hat HTC derzeit nicht in Planung (Bild: CNET.com).

Kai Schmerer

Kai ist seit 2000 Mitglied der ZDNet-Redaktion, wo er zunächst den Bereich TechExpert leitete und 2005 zum Stellvertretenden Chefredakteur befördert wurde. Als Chefredakteur von ZDNet.de ist er seit 2008 tätig.

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