ERP: Release-Wechsel so spannend wie die Altersvorsorge

„Im Funktionsumfang unterscheiden sich die ERP-Anbieter heute kaum noch voneinander“, meint Mario Raatz, Chief Sales Officer bei Abas. Alle Wettbewerber würden mehr oder weniger die gleichen Features bereit stellen. „Die Differenzierungsmerkmale liegen eher in den Anpassungsmöglichkeiten der Lösung – also wenn es um ihre Flexibilität geht“, so Raatz auf dem Kundentag der Abas Software AG in Karlsruhe vergangene Woche. Zudem gebe es in Sachen Release-Fähigkeit noch große Unterschiede zwischen den Software-Herstellern.

Laut Karsten Sontow gewinnen diese Themen an Bedeutung, wenn sich Anwenderunternehmen für eine betriebswirtschaftliche Software entscheiden. Sontow ist CEO des Beratungshauses Trovarit, das regelmäßig eine Untersuchung zum Praxiseinsatz von ERP-Systemen durchführt. Ein Ergebnis der von seinem Haus durchgeführten ERP-Studie 2014/2015 ist, dass Flexibilität weit oben auf der Liste der Auswahlkriterien steht. Befragt wurden 2300 Anwenderfirmen.

Karsten Sontow, CEO des Beratungshauses Trovarit (Bild: Trovarit).

Grundsätzlich bereiten sich viele Unternehmen nach Meinung von Sontow vor Beginn eines ERP-Projekts noch zu schlecht auf die kommenden Aufgaben vor. Daher gebe es häufig Probleme bei der Datenmigration – etwa von den Altsystemen zur neuen ERP-Lösung.

Auch über einen Release-Wechsel, der ein paar Jahre nach der Einführung anstehen könnte, machten sich die Verantwortlichen in den Firmen oft keine Gedanken, so Sontow. „Das ist wie bei der Altersvorsorge“, sagt Sontow. „An die denkt man meistens auch nicht, wenn man noch jung ist.“ Hinzu käme, dass sich die Release-Fähigkeit einer ERP-Lösung im Vorhinein nur sehr schwer überprüfen lässt, meint Sontow. „Der Hersteller kann vieles behaupten, kontrollieren lässt es sich aber nicht.“

Die Release-Fähigkeit ist aber ein wichtiger Faktor bei der Einführung der Software, da ERP-Systeme in der Regel individuell an die Bedürfnisse des Unternehmens angepasst sind. Und diese Sonderanpassungen erschweren später den Umstieg auf eine neue Version der Software. Grundsätzlich haben Unternehmen laut Sontow nur wenig Erfahrung mit ERP-Projekten, da entsprechende Lösungen im Schnitt nur alle 15 Jahre neu eingeführt werden.

Entscheidend für den Erfolg eines Projekts sind also nicht nur die Technologien, sondern auch die Menschen. „ERP ist ein People-Business“, weiß Sontow. Anwender und Anbieter müssten gemeinsam die Potenziale aus der Technik herausholen.

Mario Raatz, Chief Sales Officer bei der Abas Software AG (Bild: Abas)

Dem Faktor Mensch misst auch Birgit Thek hohe Bedeutung bei. Sie ist ERP-Team-Leiterin beim österreichischen Automobilzulieferer Pankl, der mit Software von Abas arbeitet. Die Tatsache, dass in ihrem Unternehmen IT- und Fachabteilung eng zusammen arbeiteten, sei ein wichtiges Kriterium. „Die IT-Anbieter werden in die Prozessplanung miteinbezogen“, so Thek.

Weitere Voraussetzung für ein erfolgreiches ERP-Projekt: „Man muss seine Prozesse im Griff haben“, so Thek. In der ERP-Software müssten die Abläufe so realitätsnah wie möglich abgebildet werden.

Dem stimmt Abas-CSO Raatz zu. Wer echte Wettbewerbsvorteile durch schnellere Abläufe aufbauen möchte, müsse seine Hausaufgaben machen und die eigenen Prozesse – entlang der gesamten Wertschöpfungskette – überprüfen. „Danach erst sollte die IT ins Spiel kommen“, so Raatz.

Thek ist mit der Release-Fähigkeit der Abas-Lösung vollauf zufrieden. „Wir sind in der Lage, ein neues Update innerhalb von ein bis zwei Tagen mit drei Mitarbeitern umzusetzen“, sagt Thek. Wie dieser Wert einzuschätzen ist, macht Sontow deutlich: „Bei Release-Wechseln von ERP-Systemen sprechen wir in den meisten Fällen von Wochen oder sogar Monaten.“

Die Zeit, die Abas-Anwender für ein neues Update benötigen, liege dagegen im Schnitt mittlerweile bei drei bis vier Tagen, behauptet Raatz. Grund dafür sei die Architektur der Lösung, die nicht auf einer standardisierten Datenbank aufsetze, sondern auf einer Datenbank, die „zu 100 Prozent mit unseren Anforderungen korrespondiert.“ Zudem sei von einem Release-Wechsel nur ein spezieller Bereich der Gesamtlösung betroffen. So werden laut Raatz nur die Kernfunktionen ausgetauscht und das Customizing auf diese wieder aufgesetzt. „So muss nicht alles von Grund auf neu gemacht werden“, erklärt Raatz.

Max Schulze, Analyst bei Techconsult (Bild: Techconsult).

Die Vorteile der Abas-Technik soll auch eine Studie des Marktforschungshauses Techconsult belegen, für die IT-Verantwortliche von 70 mittelständischen Unternehmen aus der Fertigungsindustrie befragt wurden. Eines der Ergebnisse: Im Vergleich zu den Konkurrenten benötigen ERP-Lösungen von Abas bei der Administration nur wenig externe Unterstützung. Laut Studie beträgt der Aufwand dafür im Schnitt nur 3,6 Leistungstage. Außerdem lägen die Einführungskosten für die ERP-Software von Abas bei 2200 Euro pro Lizenz, berichtet Techconsult-Analyst Max Schulze. Bei SAP betrage dieser Wert zum Beispiel 2482 Euro.

Die Frage des Preises hat für die Firmen einen hohen Stellenwert. Laut Trovarit-Studie sind ERP-Projekte aus Sicht der Anwender mit „erheblichen Belastungen im Hinblick auf Finanzen und Personalkapazität“ verbunden. Während Kosten also ein wichtiges Thema sind, spielen viele der aktuellen IT-Trends für die Anwender eher eine untergeordnete Rolle.

Dazu zählt etwa das Cloud-Computing. Das Interesse an ERP aus der Cloud sei rückläufig, meint Schulze. Dass die webbasierte Unternehmenssoftware sich noch nicht durchgesetzt hat, bestätigt eine Studie des Software-Anbieters Sage, für die insgesamt 670 IT-Entscheider von mittelständischen Firmen aus zehn Ländern befragt wurden. Demnach nutzen nur 20 Prozent der europäischen und sogar nur zwölf Prozent der deutschen Unternehmen Online-ERP-Angebote.

Nach Meinung von Raatz hat die Zurückhaltung vor allem zwei Gründe. Zum einen geht Cloud Computing mit einer Standardisierung der Software einher. Dies beißt sich aber mit der großen Bedeutung des Customizings beim Thema ERP. In der Regel handelt es sich ja um stark individualisierte Lösungen.

Zum anderen liegen in einem ERP-System viele sensible Daten. Gerade in Deutschland sei die Bereitschaft sehr gering, diese Informationen in die Cloud zu legen, so Raatz. Das klassische SaaS-Konzept (Software as a Service), bei dem ein Dienstleister sich um die Infrastruktur kümmert, ist dagegen laut Raatz interessanter für die Unternehmen. Grundsätzlich sei ERP aber ein eher konservatives Thema.

Das zeigt sich vielleicht auch in der Verbreitung von mobilen Anwendungen im ERP-Bereich. Nach Beobachtung von Trovarit-CEO Sontow steht Mobilität bei den Firmen derzeit „noch hinten an“, wenn es um betriebswirtschaftliche Software geht. In Zukunft wird sich das aber wohl ändern: Die meisten Unternehmen haben zumindest Pläne, künftig ERP-Funktionen auf die Smartphones und Tablets ihrer Mitarbeiter zu bringen.

Auch für Autozulieferer Pankl ist das ein Thema. Laut ERP-Expertin Thek sollen die Führungskräfte die Möglichkeit erhalten, Kennzahlen aus dem ERP-System auch auf ihren Mobilgeräte einsehen zu können. Entsprechende Lösungen seien gerade „im Entstehen“.

Seit der Verbreitung von Smartphones und Tablets sind Nutzer es gewohnt, intuitiv mit ihren IT-Systemen umzugehen. Das werde jetzt auch zunehmend von den ERP-Lösungen erwartet, berichtet Sontow. „Anwenderfreundlichkeit ist einer der großen Trends, die zur Zeit im ERP-Umfeld zu beobachten sind.“ Für die Anbieter gibt es dabei aber noch Luft nach oben. Laut Trovarit-Studie ist die Zufriedenheit der Nutzer mit der Usability der Systeme nämlich noch durchwachsen.

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Peter Marwan

Für ZDNet veröffentlicht Peter immer wieder Beiträge zum Thema IT Business.

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