Tim Berners-Lee hat das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach Suchmaschinen beanstandete Ergebnisse aus ihren Resultaten streichen müssen, kritisiert. „Dieses Recht auf Vergessenwerden – im Moment scheint es gefährlich zu sein“, sagte der Internet-Pionier auf der Konferenz LeWeb in Paris. „Das Recht auf einen Zugang zur Geschichte ist wichtig.“
Im Mai hatte der Europäische Gerichtshof der Klage eines spanischen Nutzers stattgegeben und das “Recht auf Vergessenwerden” gestärkt. Google und andere Suchmaschinen in Europa müssen seitdem unter bestimmten Umständen personenbezogene Ergebnisse löschen. Nutzer können beispielsweise die Entfernung von Links zu irrelevanten und falschen Informationen über sie verlangen. Die ursprünglichen Daten, also beispielsweise ein kritischer Zeitungsbericht, bleiben jedoch erhalten. Die EU will aber verhindern, dass ein solcher Artikel bei der Suche nach dem Namen der Person gefunden wird.
Berners-Lees Ablehnung gegenüber dem EuGH-Urteil ist bemerkenswert. In der Regel setzt er sich für die Rechte des Einzelnen ein und befürwortet einen starken Datenschutz, Meinungsfreiheit und auch die Netzneutralität. Das Urteil zum Recht auf Vergessenwerden geht ihm aber offenbar zu weit.
Bei der Podiumsdiskussion betonte Berners-Lee, dass die Löschung von falschen Informationen angemessen sei. Sei eine Information jedoch wahr, habe die Meinungsfreiheit und auch die Geschichte Vorrang. Er hält Regeln, die Nutzer vor einer unangemessenen Verwendung alter Informationen schützen, für einen besseren Ansatz. Arbeitgebern könnte es ihm zufolge beispielsweise untersagt werden, die Jugendstraftaten einer Person bei einer Bewerbung in Betracht zu ziehen.
„Es geht um unsere Gesellschaft. Wir haben sie aufgebaut. Wir können die Regeln zur Nutzung von Daten definieren“, so Berners-Lee weiter. „Das ist besser, als so zu tun, als sei eine bestimmte Sache nie passiert.“
Auf der Konferenz kritisierte Berners-Lee auch, dass Soziale Netzwerke ihren Nutzern nicht erlauben, ihre eigenen Daten auf Dienste anderer Anbieter zu übertragen. „Ich glaube es gibt viel Frustration bei Nutzern, die viel Zeit in das eine oder andere Social Network gesteckt haben“, sagte Berners-Lee. Nutzer stellten Listen mit Kontakten zusammen, organisierten sie in Gruppen und würden ihre eigenen Fotos und Inhalte hochladen. „Sie haben all das auf Facebook gemacht, dann gehen sie zu Flickr und sie können sie nicht mitnehmen. Man muss wieder ganz von vorne anfangen.“
Darüber hinaus forderte er Entwickler auf, keine nativen Anwendungen für Android und iOS zu schreiben, sondern webbasierte Apps. „Wenn man eine Zeitung nimmt und sie in eine native App packt, dann ist das langweilig. Man nimmt nicht mehr an der Diskussion teil. Ich kann darüber nicht twittern. Ich verliere meine Begeisterung. Irgendwie verliert jeder, wenn es nicht im Web ist“, ergänzte Berners-Lee. „Wenn man es jedoch als Web-App entwickelt, dann hat jeder Teil eine URL. Die Leute können es verlinken, sie können darüber twittern. Es kein Teil des Diskurses sein.“
[mit Material von Stephen Shankland, News.com]
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