Mobile Geschäftsprozesse gibt es nicht von der Stange

Wer kennt das nicht: Auf einem Kongress preist der Veranstalter eine Besucher-App an. Doch diese läuft über den Bildschirmrand des Mobilgeräts, manche Menüs funktionieren nicht, und der Nutzwert ist insgesamt gering. Noch schlimmer ist, wenn Vertriebsmitarbeiter, die eigentlich Umsatz erwirtschaften sollen, sich mit schlecht durchdachten Mobilapplikationen herumschlagen müssen, statt Kunden zum Kauf passender Produkte zu motivieren. Solche Anwendungen verlieren das Ziel des Mobile Enterprise, eine bessere Wettbewerbsposition des Unternehmens, zugunsten eines blinden Mobil-Aktionismus gründlich aus den Augen.

Das Problem liegt oft in einer fehlenden übergreifenden Mobilstrategie. Laut einer Studie des Marktforschungsunternehmens Lünendonk aus dem Jahr 2014 besitzt rund die Hälfte aller Unternehmen keine. Das könnte gerade etablierten Firmen auf Dauer zum Verhängnis werden. Immerhin, so eine aktuelle Studie von Price Waterhouse Coopers (PWC), nutzen 56 Prozent der Start-ups bereits durchgehend mobile Geschäftsprozesse.

Wie können etablierte Unternehmen mobile IT nutzen, um das stationäre Geschäft und die dort gewonnenen Erfahrungen zusammen mit neuartigen mobilen Lösungen, in neue, zukunftsweisende Geschäftsmodelle umzumünzen? Beispiele dafür gibt es: Etwa im stationären Einzelhandel, der sich seit Jahren in beinharter Konkurrenz zum aufstrebenden Onlinehandel befindet. So verdoppelte die Warenhauskette Kaufhof seit dem Launch der Webpräsenz galeria.de im Jahr 2011 den Online-Umsatz jährlich. Er liegt derzeit bei 50 Millionen Euro und soll mittelfristig auf zehn Prozent des Gesamtumsatzes anwachsen, ohne das Geschäft der stationären Kaufhäuser zu kannibalisieren.

Stationäres und mobiles Geschäft verzahnen

Kern der Mobilitätsoffensive bei Kaufhof ist eine enge Verzahnung von stationärem und Onlinegeschäft. Dafür erhält das Verkaufspersonal speziell angepasste Tablet-Computer. 1100 dieser Tablets sind seit Sommer vergangenen Jahres in den Filialen der Handelskette im Einsatz. Sie helfen dem Verkaufspersonal, nicht im Regal befindliche Ware zu präsentieren und zu verkaufen.

Will eine Kundin beispielsweise einen roten Pullover in Größe 36, ist er aber nur in Größe 38 vorrätig, kann das Verkaufspersonal über das Tablet und den Online-Shop galeria.de das gewünschte Kleidungsstück bestellen – geliefert wird in den Laden oder nach Hause. So soll der Online-Umsatz der Kaufhauskette innerhalb von drei bis vier Jahren auf 300 Millionen Euro steigen.

Eine solche Lösung ist für den Kunden angenehm, erfordert im Hintergrund aber eine komplexe Integrationsarbeit. Zu berücksichtigen ist nicht nur die vertikale technische Vernetzung der mobilen Anwendungen vom Endgerät bis zum Rechenzentrum. Vielmehr geht es auch um eine reibungslose Einbindung der mobilen Applikation in die horizontale Prozessinfrastruktur von der Bestellung bis zur Lieferung. Das ist kein Kinderspiel.

Um die größtmögliche Integration zu erreichen, wickelt Galeria Kaufhof die Logistik aller Online-Bestellungen seit 2014 eigenständig ab. Damit kann das Unternehmen eine effiziente und schnelle Umsetzung sicherstellen, die sich an den Bedürfnissen der Kunden ausrichtet. Gerade weil das Gesamtsystem so komplex ist, lässt sich der Wettbewerbsvorteil, den eine Firma erzielt, wenn sie diese Komplexität behrrscht, nur schwer kopieren.

Mobilstrategie braucht die passende IT-Architektur

Ein Hindernis für mobile Geschäftsstrategien sind dabei oftmals IT-Architekturen und Anwendungen, die zu einer Zeit entwickelt wurden, in der IT noch eine weitgehend stationäre Angelegenheit war. Eine aktuelle Untersuchung von Vanson Bourne ergab, dass bei Unternehmen erst auf etwa ein Drittel aller Applikationen mobil zugegriffen werden kann.

Vor dieser Situation stand auch der Finanz- und Vermögensberater MLP. Die Gewohnheiten und Vorlieben der MLP-Kunden haben sich in den vergangenen Jahren geändert. Sie sind zum Beispiel dank des Internets in Finanz- und Vermögensfragen viel besser informiert als früher. Die MLP-Berater können daher im Beratungsgespräch schnell und detailliert auf den individuellen Bedarf der Kunden eingehen.

Um diese neue Arbeitsweise zu unterstützen, hat MLP alle wichtigen Beratungswerkzeuge in eine moderne integrierte Anwendung zusammengeführt. Sie erhöht die Effizienz und unterstützt eine ganzheitliche Finanz- und Vermögensberatung – sowie Verfahren wie die Online-Beratung per Videokonferenz oder den Online-Vertragsabschluss mit digitaler Unterschrift. Für diesen neuen Ansatz musste aber auch in der IT-Infrastruktur ein neues Konzept umgesetzt werden. Denn die Berater sollten von jedem beliebigen Endgerät aus, von jedem Ort und zu jeder Zeit auf die neuen Anwendungen zugreifen können. Die Lösung: Sie werden über einen virtuellen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt, der in einer eigens dafür eingerichteten private Cloud betrieben wird. Diese Cloud-Umgebung ist die Basis für die weitere Digitalisierung der Geschäftsprozesse von MLP.

Erfolgsfaktor „Usability“

Aber auch wenn Geschäfts- und IT-Strategie durchdacht sind und die IT-Architektur auf dem neuesten Stand ist, können mobile Prozesskonzepte immer noch am Anwender scheitern. Nicht jeder Nutzer ist schließlich technologieaffin. Auch unerfahrene Mobilanwender müssen sich in den Funktionen von Apps schnell zurechtfinden und ohne Probleme deren Mehrwert gegenüber bisherigen Prozessen erkennen. Die „Usability“ der mobilen Prozesse muss dabei in allen Details von den Bedingungen des jeweiligen Anwendungsfalls her durchdacht werden.

Das zeigt beispielhaft eine Lösung für Feuerwehren und Rettungsdienste, die HP und Microsoft entwickelt haben. Ein besonders belastbarer Tablet-Rechner wird dabei mit einer speziellen Halterung sicher im Einsatzfahrzeug befestigt und mit Strom versorgt. Widrige Einflüsse wie Regen oder Hitze durch Sonneneinstrahlung schaden dem Tablet nicht. Speziell entwickelte Apps liefern einsatzrelevante Informationen, etwa über umliegende Löschwasserzugänge oder Gefahrgüter vor Ort, und koordinieren jedes Team mit der Zentrale.

Weil die Feuerwehr- und Rettungskräfte im Einsatz unter extremem Stress stehen, war Ergonomie besonders wichtig. Wichtige Informationen, etwa über die richtige Dosierung von Löschwasser oder Schaum, sind deshalb über ein Offline-Wiki und Basis-Applikationen auch dann verfügbar, wenn alle Kommunikationsverbindungen zusammengebrochen sind oder man sich im Funkloch befindet. Auch Rundum-Support, ständige Feedback-Möglichkeiten für die Nutzer der Applikation hinsichtlich deren Funktionalität und ein Reset-Knopf auf den Auslieferungszustand als Gegenmaßnahme bei Malware-Befall gehören zum Lösungskonzept.

Die Entwicklung des Mobile Enterprise als iterativer Prozess

Unkoordiniertes, abteilungsweises Herangehen und ausgeprägtes Säulendenken der IT-Bereiche müssen überwunden werden, wenn solche mobilen Geschäftsprozesse erfolgreich umgesetzt werden sollen. Im Mittelpunkt aller Überlegungen steht bei gewinnorientierten Unternehmen stets, wie eine Mobilstrategie mehr Umsatz, Gewinn und eine verbesserte Wettbewerbsposition bewirken kann. Mehr Produktivität der Mitarbeiter durch mobile Unterstützung ist dabei immer Mittel, niemals Ziel der Bestrebungen.

Ein Mobile-Enterprise-Projekt ist allerdings nach der Implementierung nicht abgeschlossen. Dazu sind Technologie, Kundenanforderungen und Geschäftsprozesse zu schnelllebig. Erforderlich ist ein iterativer Prozess, der die einzelnen Projektschritte immer wieder durchläuft.

Um kostspielige Fehlinvestitionen zu verhindern, empfiehlt es sich, zunächst begrenzte Feldtests durchzuführen. Die hier gewonnenen Erfahrungen können anschließend in einen unternehmensweiten Roll-Out einfließen. Das verringert die Wahrscheinlichkeit, dass in diesem Stadium noch größere Veränderungen durchgeführt werden müssen.

Anhaltspunkte für die nächste Iterationsschleife liefert die Auswertung der Betriebs- und Nutzungserfahrungen durch dauerhafte Überwachung der Infrastruktur. Damit lassen sich Fehler und Verbesserungsmöglichkeiten aufdecken. Zu technischen Messungen (etwa Antwortzeiten) können auch Befragungen interner und externer Nutzern hinzutreten, beispielsweise hinsichtlich fehlender Funktionen und Apps, des Benutzungskomforts et cetera.

Schließlich ist auch ein betriebswirtschaftliches Monitoring empfehlenswert. Bleiben die angestrebten ökonomischen Effekte aus, sollten sich Unternehmen fragen, ob die angepeilten Ziele zu ehrgeizig waren, sich auf falsche Zielgruppen richteten oder mit untauglichen Mitteln angestrebt wurden. Die Antworten auf diese Fragen sollten entscheiden, wie es weitergeht. Wie unterschiedlich Strategien und Ziele des mobilen Unternehmens dabei je nach den Umständen des Einzelfalles sein können, haben die oben angeführten Beispiele gezeigt.

Mobile No Go: Das sollten Sie vermeiden

  • Mobile Insellösungen
  • Aufbau einer separaten, mobilen Parallel-Infrastruktur
  • Funktionsüberladene Applikationen
  • Verschachtelte Menüstrukturen
  • Geräte- oder betriebssystemabhängige Designs
  • Seiten mit langen Ladezeiten
  • Zugang zu Daten, die nicht für die App notwendig sind

Strategische Realisierung kundenorientierter Mobilitätssysteme als iterativer Kreislaufprozess

  • Strategisch planen: Arbeitsplan entwickeln, Projekte priorisieren, Produkte bewerten und Mitarbeiter vorbereiten
  • Mobile Apps bauen: Technologie wählen, Anwendererfahrung und Sicherheit fokussieren, moderne Darstellungsmethoden nutzen, z.B. Augmented Reality.
  • Angepasste Integration: Verbindungen zu den vorhandenen Unternehmenssystemen und –daten realisieren.
  • Ressourcen zugänglich machen: Public- und Private-Cloud-Implementierung, Optimierung der Infrastruktur
  • Für sichere Mobilnutzung auf Applikations-, Infrastruktur- und Netzwerkebene sorgen
  • Qualität der mobilen App optimieren: Cloud-basiertes, Geräte, Carrier und Plattformen übergreifendes Testen, Funktionstests.
  • Leistung der mobilen Apps optimieren: Test vor und während der Produktion, während des Betriebs Monitoring des gesamten Applikationsstacks.
  • Mobildaten auswerten: Strukturierte und unstrukturierte Daten unter Verwendung von Big Data Analytics und Content Management analysieren.
  • Den nächsten Verbesserungszyklus bei 1. wieder beginnen.

Kai Schmerer

Kai ist seit 2000 Mitglied der ZDNet-Redaktion, wo er zunächst den Bereich TechExpert leitete und 2005 zum Stellvertretenden Chefredakteur befördert wurde. Als Chefredakteur von ZDNet.de ist er seit 2008 tätig.

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