Wikileaks: NSA hört seit Jahrzehnten das Kanzleramt ab

Wikileaks hat neue Dokumente veröffentlicht, die auf eine umfangreiche NSA-Überwachung des Bundeskanzleramts über Jahrzehnte hinweg schließen lassen. Eine Selektorenliste enthält die Telefonnummern enger Mitarbeiter und Vertrauter von Angela Merkel. Auch ihre Vorgänger Kohl und Schröder waren offenbar schon im Visier des US-Auslandsgeheimdienstes.

Neben den auf das Kanzleramt zielenden 56 Selektoren veröffentlichte Wikileaks drei weitere NSA-Abhörprotokolle von Gesprächen der Bundeskanzlerin. Die als streng geheim eingestuften Protokolle geben abgefangene Gespräche zu wirtschaftspolitischen Plänen und außenpolitischen Einschätzungen der Regierung wieder. In 2009 abgefangenen Telefonaten ging es etwa um mögliche Lösungen der Finanzkrise und um die Situation im Iran.

Die Zielliste mit rund 20 Telefonnummern allein aus Merkels Büro im Bundeskanzleramt zeigt ein enges Überwachungsnetz um die Regierungschefin. Laut Wikileaks erklärt das auch, warum die Regierung Obama einfach ihre Bereitschaft erklären konnte, die Überwachung von Angela Merkel selbst einzustellen. Die intensive US-Spionage rund um die Bundeskanzlerin genüge dem Weißen Haus, denn die Kanzlerin könne die Regierungsgeschäfte nicht nur mit Selbstgesprächen führen.

Der Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung bekam die am Mittwochabend veröffentlichten Dokumente vorab zur Prüfung. In den Selektoren enthalten waren beispielsweise die Durchwahlen ihrer Büroleiterin Beate Baumann, von Kanzleramtsminister Peter Altmaier sowie Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche, der für die Koordination der Geheimdienste zuständig ist. Mit aufgeführt als „parlamentarischer Merkel-Berater“ ist ebenfalls Volker Kauder, Fraktionschef der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.

Auch Mitarbeitern der Regierungen Helmut Kohl und Gerhard Schröder galten die Selektoren. Der älteste Eintrag galt Johannes Ludewig, der als Kohl-Vertrauter für die Wirtschaftsabteilung im Kanzleramt verantwortlich war und 1994 dort ausschied. In Schröders Umfeld waren etwa Kanzleramtsminister Bodo Hombach, der sicherheitspolitische Berater Michael Steiner und Ernst Uhrlau angepeilt, der für die Aufsicht über die Nachrichtendienste verantwortlich zeichnete.

Die bis heute gültige Mobilfunknummer von Ronald Pofalla, dem früheren Kanzleramtsminister der Regierung Merkel, fehlt ebenfalls nicht in der Zielliste. Das entbehrt deshalb nicht der Ironie, weil gerade Pofalla immer wieder durch das gezielte Herunterspielen der US-Spionage auffiel. So erklärte er im Sommer 2013 als amtierender Kanzleramtsminister die NSA-Abhöraffäre für beendet. „Die Vorwürfe sind vom Tisch“, sagte er damals. Noch in der letzten Woche sagte er im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags, es sei bis heute nicht erwiesen, dass das Handy der Kanzlerin abgehört wurde.

Vor einer Woche veröffentlichte Wikileaks bereits Dokumente, die eine intensive Wirtschaftsspionage in Deutschland aufzeigten, die die NSA offenbar seit Ende der Neunziger Jahre betrieb. Weitere Geheimunterlagen der Enthüllungsplattform verwiesen darauf, dass die NSA auch Mitglieder der französischen Regierung ausspioniert hat. Zwischen 2006 und 2012 wurden demnach die Staatspräsidenten Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und François Hollande gezielt abgehört.

ZDNet.de Redaktion

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