Die digitale Revolution im Handel ist in vollem Gange. Seit Jahren gewinnt der Onlinehandel in Deutschland an Bedeutung. Bereits 2014 wurden über 42 Milliarden Euro, also jeder zehnte Euro, im Internet ausgegeben. In einigen Branchen belief sich der Anteil des Onlinegeschäfts sogar bereits auf 20 Prozent.
Und die Erfolgsgeschichte des Online-Shoppings geht weiter. Nach einer Studie des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) wurden im deutschen Onlinehandel allein im zweiten Quartal 2015 10,8 Milliarden Euro umgesetzt, 14 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Kein Wunder: Einer aktuellen Studie des Bitkom zufolge kaufen inzwischen mehr als drei von vier Online-Shoppern (77 Prozent) mehrmals pro Monat im Netz ein. Vor einem Jahr lag dieser Wert noch bei 65 Prozent. Zudem ist der Anteil der Online-Shopper in Deutschland im vergangenen Jahr noch einmal gestiegen und beläuft sich inzwischen auf 54 Millionen.
Die Steigerungsraten im E-Commerce gehen an deutschen Innenstädten nicht spurlos vorbei. Kunden wandern ab, Geschäfte schließen, oft bleibt nur das Geschäft mit Billigware. Ein Problem, das längst nicht nur im Osten auftritt. In einem Bericht der Bundesregierung vom April heißt es: „Viele Zentren sind mit Funktionsverlusten, Gebäudeleerständen und rückläufigen Nutzungsintensitäten konfrontiert.“
Schon heute bummelt jeder fünfte Innenstadtbesucher seltener durch die Einkaufsstraßen als früher. Das ergab eine Umfrage unter 33.000 Kunden in 62 deutschen Städten, die das Institut für Handelsforschung (IFH) in Köln Anfang des Jahres durchgeführt hat. Der im August von dem Institut veröffentlichte Studie „Stadt, Land, Handel 2020“ zufolge, sind allein in den nächsten fünf Jahren 45.000 Ladengeschäfte gefährdet. Mehr als jedem zehnten Ladengeschäft droht damit die Schließung.
Doch auch wenn die Herausforderungen aufgrund von leerstehenden Gebäuden im stationären Handel augenscheinlicher sind, hat nicht nur er zu kämpfen. Der Wirtschaftswissenschaftler und Experte für digitale Transformation, Professor Dr. Nikolaus Mohr prognostiziert, dass – ebenfalls in den kommenden fünf Jahren – rund 90 Prozent der reinen Onlineshops in Deutschland vom Markt verschwinden werden. „Nach mehrjähriger Euphorie und enormen Steigerungsraten kommt der Onlinehandel nun in eine Phase der Etablierung, der Konsolidierung und der Stabilisierung“, heißt es auf der Homepage des Bundesverbands für Onlinehandel (BVOH).
Verschmelzen oder verschwinden
Einerseits bedroht der Onlinehandel also Innenstädte, gleichzeitig steckt er selbst in der Krise? Was auf den ersten Blick nach einem offensichtlichen Widerspruch aussieht, lässt sich bei genauerer Betrachtung leicht erklären: Da es sowohl den reinen Online-Shopper als auch den klassischen Einkäufer in der Fußgängerzone immer seltener gibt, ist die strikte Trennung zwischen E-Commerce und stationärem Geschäft schlicht und ergreifend nicht mehr zeitgemäß.
Stattdessen erwartet der moderne Kunde ein nahtloses Einkaufserlebnis über verschiedene Vertriebskanäle hinweg. Er möchte sich situativ zwischen allen verfügbaren Vertriebskanälen – PC, Smartphone, Filiale und Katalog – entscheiden, wählt die Option, die für ihn in einem bestimmten Augenblick gerade am attraktivsten erscheint und wechselt auch während eines Einkaufs gerne zwischen den Kanälen hin und her.
So lässt sich der eine Kunde gerne im Ladengeschäft beraten, hat aber keine Lust, an der Kasse anzustehen und bestellt sich die gewünschte Ware lieber abends bequem zuhause vom Sofa. Der nächste sitzt vielleicht bei der Arbeit, nutzt die App eines Geschäfts um seine Einkaufsliste zu übermitteln und holt die Einkäufe auf dem Nachhauseweg ab.
Wie stark die Wechselwirkung zwischen einzelnen Vertriebskanälen bereits ist, zeigt die Studie „Navigating the Digital Divide“ von Deloitte. Demnach bereiten im Jahr 2015 fast zwei Drittel (64 Prozent) der Kunden ihren stationären Einkauf im Onlineshop vor. Zählt man die Konsumenten im stationären Handel, die nicht nur vor, sondern auch während des Einkaufs ein digitales Gerät nutzen, kommt Deloitte sogar auf 92 Prozent. Zudem würden es 54 Prozent bevorzugen, auf ihrem eigenen Gerät zu recherchieren, anstatt sich klassisch beraten zu lassen. Gemäß dem Mobile Commerce Report von Criteo werden sogar bereits 31 Prozent der Online-Käufe in Deutschland über Mobilgeräte abgewickelt. Doch wie können sich stationäre Händler im Wettbewerb differenzieren?
Nach wie vor genießt der Aufbau beziehungsweise die Erweiterung eines Onlineshops für stationäre Händler bei der Digitalisierung höchste Priorität. Damit ist die Anpassung an die digitale Revolution jedoch noch lange nicht erledigt. Vielmehr antworten erfolgreiche Händler auf die Anforderungen einer integrierten offline/online Welt mit einem kombinierten offline/online Angebot. Bei der vorausschauenden Planung und sorgfältigen Umsetzung einer Omnichannel-Strategie ergänzen sich die verschiednen Kanäle gegenseitig, da sie unterschiedliche Bedürfnisse des Kunden befriedigen.
Sinnvolle digitale Erweiterungen des Ladenkonzepts, die Kaufentscheidungen heute maßgeblich beeinflussen, sind zum Beispiel das Abholen (Click & Collect) oder Retournieren online bestellter Ware in der Filiale. So zählen gemäß einer Befragung des Marktforschungsinstituts Innofact 57 Prozent der Konsumenten die Reklamation und 52 Prozent die Abholung von bestellter Ware im Ladengeschäft zu den wichtigsten Service-Leistungen des Onlinehandels.
Ein weiterer Ansatz für Omnichannel-Commerce ist beispielsweise die Bestellung nicht vor Ort verfügbarer Ware (Heimlieferung). Dabei helfen können Multitouch Kiosksysteme wie etwa OXID eShop POS, die als virtuelles Beratungs- und Verkaufsterminal für die Fläche dienen und die Brücke zwischen Filiale, Onlineshop und Mobile-Commerce schlagen.
Auch Apps oder Beacons, kleine Sender, die über mobile Netzwerke Informationen an Smartphones in Reichweite übertragen und eine zielgerichtete Kundenansprache ermöglichen, bieten Händlern praktisch unbegrenzte Möglichkeiten. Am Ende kennt jeder Händler seine Kunden selbst am besten und muss darum auch selbst entscheiden, wie er ihnen einen einzigartigen Mehrwert bieten kann. Doch genug Theorie: Wie Omnichannel-Commerce erfolgreich in der Praxis funktioniert, lässt sich auchan Beispiel der OXID-Kunden Schuhhaus Siemes und Tennis-Point zeigen.
Omnichannel-Commerce in der Praxis
Der Mönchengladbacher Unternehmer Heinz Willi Siemes betreibt über 160 Schuhcenter und beschäftigt mehr als 4300 Mitarbeiter. Die Siemes Schuhcenter bieten auf einer Fläche von 1000 bis 2500 Quadratmetern und mit bis zu 80.000 Paar Schuhen eine große Auswahl. Auch mit seinem Online-Schuhcenter hat das Schuhhaus Siemes ein Markenerlebnis aufgebaut. Ob Desktop-PC, Tablet oder Smartphone, dank des Responsive Designs hat der Kunde ein optimales Einkaufserlebnis.
Bei der Online- oder Mobile-Bestellung hat der Käufer die Wahl, sich die Schuhe nach Hause oder an eine Wunschadresse schicken zu lassen. Gefällt oder passt das neue Schuhwerk nicht, kann der Kunde es problemlos zurückschicken oder in einer der zahlreichen Filialen umtauschen.
Damit es gar nicht soweit kommen muss, wurde beispielsweise ein Retouren-Minimierungs-Management etabliert, das den Online-Käufer darauf hinweist, wenn sich ein Artikel doppelt im Warenkorb befindet. Telefonische Beratung ist ebenso selbstverständlich wie eine Beratung im Ladengeschäft. Wer sich online lediglich informieren möchte und lieber stationär einkauft, wird auf www.schuhcenter.de gut bedient. Ein individueller Store-Finder nach Postleitzahl führt den Besucher zu den gewünschten Informationen.
Ein weiteres Beispiel für hervorragend umgesetzten Omnichannel-Commerce liefert der OXID-Kunde Tennis-Point. Innerhalb weniger Jahre hat sich das Unternehmen von einem kleinen Onlinehändler mit einer handvoll Pakete am Tag zu Europas umsatzstärkstem Versender von Tennisprodukten entwickelt. 220 Mitarbeiter erwirtschaften einen Umsatz von rund 50 Millionen Euro. Von Portugal bis Lettland vertreibt Tennis-Point seine Ware inzwischen in 25 Ländern und kommt auf 400.000 Kunden im Jahr. Filialen finden sich inzwischen in Münster, Berlin, Hamburg, München, Herzebrock-Clarholz, Köln sowie in Österreich in Graz und in der Schweiz in Dietikon.
„Auch wenn unser Onlineumsatz den Umsatz im stationären Geschäft deutlich übertrifft, legen wir großen Wert auf unsere Filialen und wollen noch dieses Jahr in anderen europäischen Ländern weitere eröffnen. Denn uns ist es wichtig, dass sich unsere Kunden bei uns gut beraten und aufgehoben fühlen. Wir stehen für Fachkompetenz, Service und hervorragende Beratung. Das sind Werte, die ein Onlineshop, egal wie gut er auch ist, nicht so gut vermitteln kann wie ein stationäres Geschäft mit qualifizierten Mitarbeitern“, so Maik Langenberg, Managing Director bei Tennis-Point.
„Zudem ist der Wechsel zwischen verschiedenen Kanälen für Kunden heute selbstverständlich. Zum Beispiel suchen sie sich einen Schläger online aus und lassen ihn sich in die nächstgelegene Filiale liefern, um vor dem finalen Kauf noch ein paar Probeschwünge zu machen. Dass viele dieser Kunden dann auch noch spontan eine neue Hose oder ein Stirnband kaufen, ist natürlich ein gern gesehener Nebeneffekt,“ so Langenberg weiter.
Auf Tennisturnieren, bei denen das Unternehmen auf seinen Ständen nur mit beschränkter Auswahl vor Ort ist, bietet Tennis-Point übrigens einen weiteren Touchpoint: Ein Multitouch-Kiosksystem, das Kunden zum Stöbern durch das gesamte Sortiment und zum unkomplizierten Bestellen nicht vorhandener Waren nutzen können. Kunden kommen an den Stand und lassen sich beraten. Ist das gewünschte Produkt nicht vorhanden, bestellen sie es einfach online.
... ist Vorstandsvorsitzender der OXID eSales AG. In seiner Position verantwortet er Strategie und Business-Development des 2003 gegründeten Freiburger Unternehmens. 1995 gründete Fesenmayr die Virtual Identity AG. Er verfügt verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung im Online-Handel und ist auch als Lehrbeauftragter an den Universitäten Furtwangen und Freiburg tätig.
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