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Dell kauft EMC: Sterbebegleitung oder Wiederauferstehung?

Die geplante Übernahme von EMC durch Dell für insgesamt 67 Milliarden Dollar ist – wenn sie wie geplant über die Bühne geht – die größte Firmenübernahme, die es im IT-Bereich bisher gab. Da verblasst auch die Übernahme von Compaq durch HP für damals 25 Milliarden Dollar. Das schreckt selbst die Kommentatoren auf, die sich sonst wenig mit langweiliger Infrastrukturhardware für Firmen beschäftigen. Ein Blick auf den Merkzettel, ein bisschen Historie aus der Schublade – und fertig ist der Kommentar.

Der lässt sich dann etwa so zusammenfassen: PC-Hersteller Dell schickt sich an, sich in einer letzten Verzweiflungstat aus der Abwärtsspirale zu befreien und kauft sich für einen unerhörten Betrag den ebenfalls in seinem Bereich abgemeldeten Spezialanbieter für – ja für was genau eigentlich? – ach ja, für Speicher. Das kann ja nicht gut gehen: Zwei Kranke geben keinen Gesunden.

Und dann das ganze schöne Geld. Stammt ja nicht einmal von Herrn Dell selber, obwohl der so reich ist, sondern wurde vor allem vom Investor Silver Lake Partners beschafft, damit man EMC überhaupt bezahlen kann. Ein letztes Aufbäumen der alten Kräfte, bevor das neue, die Cloud und diverse Open-Computing-Projekte darüber hinwegrollen. Abhaken. Zurück zum Tagesgeschäft: Kennen Sie schon die neueste App dieses hochinteressanten Start-ups? Wie hieß es noch gleich? Na ja, funktioniert so, wie früher der hochgehaltene Daumen am Straßenrand. Nur halt mit dem Smartphone …

Doch so einfach ist das nicht. Erstens sind seit 2001 und dem HP-Compaq-Deal inzwischen 14 Jahre vergangen. Geld hat bei Weitem nicht mehr denselben Wert. Die 67 Milliarden sind daher zwar eine stolze Hausnummer – dass es die größte Firmenübernahme der IT-Geschichte ist, sollte aber nur für das Guinness-Buch wichtig sein. Im Alltag zählt anderes.

Tablets wie das Venue Pro 5000 sind noch ein Teil, aber nicht mehr die Höhepunkte von Dells Portfolio (Bild: Dell)

Zweitens: Dell ist schon lange kein PC-Hersteller mehr. Dell ist eine Firma, die auch PCs herstellt. Es ist ein verbreiteter Trugschluss, dass in einem insgesamt rückläufigen Marktsegment mit sinkenden Preisen nichts zu verdienen ist.

Es ist nur schwerer. Dann nämlich, wenn man kein Profil, keinen Plan und kein klares Konzept hat. Acer zum Beispiel ist den Zahlen von Gartner zufolge im dritten Quartal dieses Jahres bei den Stückzahlen um 19,9 Prozent abgesackt (Marktanteil jetzt 7,4 Prozent) und damit sogar hinter Apple zurückgefallen, das nun weltweit mit einem Marktanteil von 7,6 Prozent auf Rang vier liegt. Während der Gesamtmarkt um 7,7 Prozent schrumpfte, mussten Lenovo und HP zuletzt jeweils einen Rückgang von 4 Prozent hinnehmen. Sie kommen nun auf Marktanteile von 20,3 respektive 18,5 Prozent.

Auf Rang drei liegt Dell (13,8 Prozent). Das Unternehmen ist neben Apple übrigens der einzige der Top-6-Anbieter, der einen Zuwachs bei den ausgelieferten Stückzahlen verzeichnen konnte. Eine Zunahme von 0,5 Prozent nimmt sich zwar bescheiden aus – ist aber angesichts des Rückgangs des Gesamtsegments von 7,7 Prozent schon ordentlich. Damit wäre dieser Mythos also schon einmal abgehakt: Dell ist nicht nur PC-Hersteller und als solcher zumindest gerade nicht auf dem absteigenden Ast.

Mit den Poweredge-Server hat Dell sich insbesondere im Mittelstand etabliert – und Rechenzentren im Visier (Bild: Dell).

Von Segmenten, in denen man nicht mithalten kann (Smartphones und Consumer-Tablets) hat man sich nach langem Krampf trennen können. Hier gibt es neben Apple und Samsung nichts zu holen. Der Abschied fiel Dell fast genauso schwer wie HP. Schuld war bei beiden die Börse: Die Anleger wollen sehen, dass Firmen in (vermeintlichen) Wachstumsmärkten eine Rolle spielen. Ob sie das können, ist ihnen dabei zunächst einmal egal. Es geht ja nicht um den tatsächlich zu erwartenden Gewinn, es geht um die Bewertung der Aktie – und die hängt vielfach von Tagträumen der Analysten ab.

Das ist so ähnlich wie bei einem Rennfahrer, der unbedingt die schnellste Rundenzeit fahren will. Ob es ihn dabei in einer Kurve zerlegt und er letztendlich nie am Rennen teilnimmt, ist unerheblich – wenn nur sein Name in die Geschichte der Rennstrecke eingeht. Das Beispiel hinkt vielleicht etwas, zeigt aber wohin die Anleger eine Firma treiben können, besonders, wenn es sich um ein stark erklärungsbedürftiges Geschäft handelt.

Der neue und alte CEO: Michael Dell (Bild: Dell).

Zurück zu Dell. Was um alles in der Welt macht denn die Firma, wo sie nun doch PCs nur noch nebenher betreibt? Die Antwort auf diese Frage versucht Dell schon lange zu geben. Nur so richtig zugehört hat wohl bisher kaum einer. Quintessenz meiner Gespräche mit Verantwortlichen bei Dell war ungefähr: Dell bemüht sich Produkte und Dienste für eine Vielzahl mittelständischer und großer mittelständischer Firmen anzubieten, legt dabei Wert auf eine einfache Nutzung, Verwendung von Standards und schnürt daraus möglichst umfassende Pakete zu einem attraktiven Preis.

Angefangen hat dieser Wandel von Dell 2008 mit der Übernahme von Equallogic für 1,4 Milliarden Dollar und dem IT-Dienstleister Perot Systems für 3,9 Milliarden Dollar 2009. Neben einigen kleineren Übernahmen, deren Volumen nicht genannt wurde, die teilweise heute aber im Unternehmen eine wichtig Rolle spielen (wie KACE Networks 2010), kamen 2011 mit Compellent (960 Millionen Dollar) nochmal Storage-Technologie, mit Force10 im selben Jahr für 700 Millionen Dollar Netzwerktechnologie und 2012 mit Sonicwall Know-how bei Netzwerksicherheit (für 1,2 Milliarden Dollar) ins Portfolio. Ebenfalls noch 2012 wurden wegen ihrer Expertise im Virtualisierungs- und Datenbankbereich Wyse und Quest Software (für 2,4 Milliarden Dollar) übernommen.

2013 und 2014 waren, was Übernahmen anbelangt, ruhige Jahre. Da wurden die Einkäufe sortiert und neu geordnet. Außerdem hatte da Dell auch anderweitig mit sich selbst genug zu tun: Gründer Michael Dell kaufte das Unternehmen mit Hilfe des auch am EMC-Deal beteiligten Investors Silver Lake zurück und nahm es von der Börse. Seine Begründung: In einem schwer nachvollziehbaren Geschäft zwingt der Rhythmus der Börse ein Unternehmen Dinge zu tun, die zwar kurzfristig Erfolg bringen, sich langfristig aber als nachteilig herausstellen. Und umgekehrt: Langfristig wichtige Veränderungen unterbleiben, weil sie sich kurzfristig negativ auswirken (könnten).

Die Folge: Das Unternehmen wird zu einem Schlingerkurs gezwungen. Ein etwas älteres Beispiele dafür ist 3Com, eine Neueres Hewlett-Packard, das stets betont hat, wie innovativ und führend es bei Software und Enterprise-Technologie ist – sein Geld aber nach wie vor mit Druckern und vor allem deren Verbrauchsmaterial verdient hat. Der Gegensatz ist nun ja aufgelöst: Ab 1. November darf die Enterprise-Sparte innovativ sein und die dann als HP Inc. weitergeführte „Personal Systems Group“ Geld verdienen – und sich in Ruhe für die Zeit etwas ausdenken, wenn man einmal mit Druckern kein Geld mehr verdienen sollte.

EMCs Weg zum Übernahmekandidaten

Weniger im Licht der Öffentlichkeitm aber intern wahrscheinlich dennoch nicht weniger schmerzhaft war der Schlingerkurs der vergangenen Jahre bei EMC. Während das angestammte Geschäft zunächst immer noch profitabel war, sollten neue Geschäftsfelder entwickelt werden, die – diese Weitsicht hatte das Management wohl – in einer Zukunft Ertrag abwerfen, wenn mit den Storage-Produkten wie EMC sie anbietet, nur noch wenig zu holen ist.

EMC-CEO Joe Tucci (Bild: EMC).

Ein Blick auf die von EMC getätigten Akquisitionen der vergangenen zehn Jahre verdeutlicht das. Mit Captiva wurde 2005 zunächst noch ein Anbieter übernommen, der durch die Digitalisierung von Dokumenten das Datenvolumen erhöhen sollte. Denn umso größer das war, umso größer das Geschäft für EMC. Mit RSA Security folgte dann der Ausbau des Portfolios auf vermeintliche komplementäre Bereiche. Die Idee, Daten nicht nur zu sichern, sondern auch vor unbefugten Zugriff oder Manipulationen zu schützen, lag damals offenbar in der Luft: Zur selben Zeit etwa kaufte Symantec Veritas – eine Entscheidung, die dieses Jahr allerdings wieder rückgängig gemacht wurde.

Mit den Übernahmen von Avamar und Data Domain verteidigte EMC lediglich sein Territorium. Deren Deduplizierungstechnologie war die Antwort auf Vorstöße von Firmen wie NetApp in diese Richtung. Von denen wollte man sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Ähnlich verhielt es sich bei den Übernahmen von Iomega und später Isilon. Iomega war wie der Kauf des Cloud-Backup-Anbieters Mozy ein Versuch, im Mittelstand Fuß zu fassen – was immer das aus Sicht des sonst nur mit Großkonzernen sprechenden EMC auch bedeuten mochte. Der Kauf von Isilon 2010 dagegen schlicht das Verschlingen eines in einem Bereich zu schnell wachsenden und dadurch gefährlich werdenden Konkurrenten.

Die EMC Federation

Auf den ersten Blick liest sich das ungefähr wie die Akquisitionshistorie anderer Großfirmen: Ein Mix aus Angriff und Verteidigung. Während aber bei Firmen wie Cisco oder Oracle alles im großen Nirvana verschwindet (oder zumindest früher verschwand) und nur mit Glück an irgendeiner Stelle wieder auftauchte, hat EMC irgendwann erkannt, dass in einigen Fällen nicht Auffressen, sondern Adoptieren das Ziel sein muss.

Das führte zur „EMC Federation of Companies“ – einem merkwürdigen Konstrukt, wenn man bedenkt, dass dessen bislang erfolgreichstes Mitglied – VMware – so erfolgreich wurde, dass man ihm vor kurzem sogar zutraute, die eigene Mutter zu übernehmen. Ein weiteres Beispiel ist VCE, ursprünglich ein Joint Venture, benannt nach seinen Teilhabern VMware, Cisco und EMC, an dem aber zwischenzeitlich auch Intel beteiligt war.

Nachdem EMC die anderen ausgezahlt hatte – zuletzt Ende 2014 Cisco, das nun nur noch einen Anteil von 10 Prozent hält – ist VCE eines der Mitglieder der EMC Federation. Ganz untypisch für Teile von Großkonzernen ist es quasi wie ein Start-up eine Ein-Produkt-Firma. Sie konzentriert sich auf ihren VBlock – eine konvergente Infrastrukturkomponente – und vertreibt die äußerst erfolgreich. Als Teil von EMC wäre das nie möglich – das Angebot würde im Gefeilsche und den endlosen Diskussionen über möglichst umfassende Gesamtkonzepte einfach zerredet.

Damit wird zwar EMC nicht selbst wie eines der jungen, aufstrebenden Unternehmen, die es hartnäckig bedrängen – sei es nun Pure Storage, Violin Memory, Nimbus Data oder Tintri – aber es hat Eisen in einem Feuer, das auch noch brennt, wenn mancher der jetzt so forschen Herausforderer längst verbrannt sein wird. Dann nämlich, wenn man von ihm mehr als ein Produkt verlangt, wenn die Depression nach dem Börsengang kommt oder wenn ein großer Konzern seine Finger nach ihm ausstreckt und er einfach vom Markt gekauft wird.

Der lebendige Dionsaurier

Daher ist EMC zwar ein Dinosaurier der IT-Branche. Und ja, EMC musste im Januar seine Erwartungen etwas nach unten korrigieren und kündigte Entlassungen an. Aber bei dem etwas weniger rosigen Ausblick, der übrigens zum Teil dem starken Dollar geschuldet war, wurde ganz übersehen, dass EMC im Gesamtjahr 2014 einen konsolidierten Umsatz von 24,4 Milliarden Dollar verbuchte, fünf Prozent mehr als 2013, und einen Nettogewinn von 2,7 Milliarden Dollar berichtete. Im vierten Quartal fuhr der Totgesagte sogar einen Rekordumsatz ein und erlebte einen zweistelligen Gewinnanstieg.

Für einen privaten Inhaber wären das schöne Zahlen. Er würde sich damit vielleicht ein Häuschen an einem Strand kaufen, an dem er noch keines hat, eine weitere leere Garage mit einem schönen Fahrzeug füllen und den Rest in Forschung und Entwicklung oder den Umbau der Firma stecken. Bei einem börsennotierten Unternehmen meckern dagegen die Analysten, weil sie – auf welcher Grundlage auch immer – Einnahmen von 26,2 Milliarden Dollar erwarten, das Unternehmen aber „nur“ 26,1 Milliarden in Aussicht stellt.

Großreinemachen nach der Übernahme

Die schwierigste Aufgabe nach der Übernahme – so sie denn wie geplant durchgeführt wird, ist es also nicht unbedingt, Felder zu identifizieren, in denen „noch was geht“ oder die wiederbelebt werden können, sondern das auszumisten, was doppelt ist, nicht gebraucht wird und mittelfristig nur stört. Da findet sich bei EMC sicher einiges in dem Bereich IT-Management, in dem der Anbieter über die Jahre einige Tools zusammengetragen hat, die aber wahrscheinlich weniger elegant und kompakt sind wie die Möglichkeiten, die Dell durch KACE und Quest bieten kann.

Bei Deduplizierung und Archivierung hat dagegen sicher EMC das vollständigere Angebot – wenn auch sicher das komplexere. Ob da langfristig mehrere Wege weiterverfolgt werden, ist aber offen.

Schöne Ergänzungen gibt es dagegen möglicherweise bei Virtualsierung. Da hat Dell durch den Kauf von Wyse Technology, das damals schon längst kein Thin-Client-Anbieter mehr war, sondern eigentlich ein Software-Anbieter, einige wahrscheinlich unterschätzte Möglichkeiten im Portfolio.

Ganz viel Mühe geben müssen sich die Firmenstrategen aber, um glaubhafte Schaubilder zu basteln, in denen Angebote wie Mozy und Greenplum weiterhin ihren Platz finden. Allerdings lässt zumindest Mozy sich auch gut abtrennen, ist es doch ein klar umrissener und auch unabhängig zu nutzender Dienst. Vielleicht wird aus ihm irgendwann das nächste Mitglied in der „EMC Federation“. Dieser Weg wäre ebenso für den aus Documentum hervorgegangenen, ganzen Bereich Enterprise Content Management denkbar. Pivotal hat´s vorgemacht.

EMC-Akquisitionen im Überblick

Firma Jahr Tätigkeitsfeld Preis in Millionen Dollar
Captiva 2005 Konvertierungs-Technologie für Papierdokumente 275
RSA Security 2006 IT-Security-Produkte 2100
YottaYotta 2006 Verteilte Caching-Technologie keine Angaben
Kashya 2006 Software für Datenreplikation und- sicherheit 153 Millionen
Avamar 2006 Software für Deduplizierung keine Angaben
Mozy 2007 Cloud-Backup 76
Iomega 2008 Speicherprodukte für KMU 213
Kazeon Systems 2009 E-Discovey-Software keine Angaben
Fastscale 2009 Migrationssoftware für Rechenzentren keine Angaben
Data Domain 2009 Technologie für Deduplizierung 2100
Greenplum 2010 Data-Warehouse-Technologie keine Angaben
Isilon Systems 2010 Scale-out-NAS 2250
XtremeIO 2012 Flash-Array-Speichersysteme 430 (geschätzt)
Syncplicity 2012 Cloud-basierendes Dokumenten-Management keine Angaben, wurde im Juli 2015 wieder verkauft
Virtustream 2015 Cloud-Software und Services 1200
Maginatics 2014 Verwalten und Sichern von Daten aus Clouds keine Angaben
Spanning 2014 Backup und Recovery für cloudbasierende Anwendungen keine Angaben
Cloudscaling 2014 IaaS für Private und Hybrid Clouds keine Angaben

Peter Marwan

Für ZDNet veröffentlicht Peter immer wieder Beiträge zum Thema IT Business.

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