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Urteil: Beleidigende Kommentare auf Nachrichten-Websites sind hinzunehmen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat ein weiteres bedeutendes Urteil für die freie Meinungsäußerung im Internet gefällt. Wie er jetzt entschied, müssen beleidigende oder vulgäre Kommentare auf Nachrichten-Websites hingenommen werden – solange sie nicht rechtswidrig sind. Beispielsweise dürfen sie nicht zu Straftaten aufrufen.

Der EGMR hatte in dem Verfahren zwischen Magyar Tartalomszolgáltatók Egyesülete (MTE), der Selbstregulierungsorganisation der ungarischen Internet Service Provider, und der Website Index.hu einerseits sowie einem Immobilienportal andererseits zu klären, inwieweit Kommentare auf Nachrichtenseiten im Internet durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind beziehungsweise ab wann sie von den Betroffenen beanstandet werden können und dann gelöscht werden müssen. Mit ähnlichen Fragen hatte sich das Gericht schon im vergangenen Jahr im Streit zwischen dem estnischen Nachrichtenportal Delfi.ee und einer Fährgesellschaft des Landes befassen müssen. Allerdings weist der EGMR auf wichtige Unterschiede in den Verfahren hin und grenzt mit dem aktuellen Urteil Erlaubtes von Verbotenes noch einmal genauer ab.

In ihrer jüngsten Entscheidung betonten die Richter nochmals, dass eine Nachrichtensite verantwortlich für bei ihr veröffentlichte Kommentare ist, obwohl nicht im traditionellen Sinne deren Urheber. Im vorliegenden Fall hätten die ungarischen Gerichte bei ihren Entscheidungen zu Ungunsten der Nachrichtenseite bei ihrer Rechteabwägung – einerseits das der Website auf freie Meinungsäußerung und andererseits das Recht des Immobilienportals auf Respekt für seinen Ruf – jedoch falsch gewichtet.

Den Fehler sieht der EGMR vor allem darin, dass die ungarischen Richter davon ausgegangen sind, dass die beanstandeten Kommentare allein schon deshalb einen Rechtsverstoß darstellten, weil sie den Ruf des Immobilienportals gefährdeten. Alle Instanzen befanden, dass die beiden Beklagten dadurch, dass sie ihren Nutzern die Möglichkeit eröffneten, Kommentare zu veröffentlichen, für diese auch haften. Die Kúria, das höchste ungarische Gericht, erlegte ihnen daher schließlich eine Strafe von 75.000 Forint (rund 250 Euro) auf. Nachdem ihre Verfassungsbeschwerde dagegen im Mai 2014 abgewiesen worden war, wandten sie sich an das EU-Gericht.

Sowohl die Website von MTE als auch Index.hu hatten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der beanstandeten Kommentare keine vorherige Freigabe, aber ein System eingerichtet, dass es Nutzern erlaubte, missbräuchliche Kommentare zu melden und sie entfernen zu lassen. In einem Disclaimer wiesen sie Kommentatoren darauf hin, dass diese für die Inhalte ihrer Kommentare verantwortlich sind. Allerdings kamen weder MTE noch Index.hu den Aufforderungen des in den Kommentaren zusammenfassend als Abzocker beschimpften Immobilienportals nach, die negativen Kommentare zu dessen Geschäftspraktiken zu löschen. Damit waren sie dem EGMR zufolge im Recht.

Der entscheidende Unterschied zum letztjährigen Verfahren in Estland besteht den Richtern des EGMR zufolge darin, dass dort nicht nur beleidigende Kommentare und vulgäre Ausdrücke verwendet wurden, sondern Hassreden verbreitet und zu Gewalttaten aufgerufen wurde. Damit hatten die Kommentatoren ganz klar die Grenze des Erlaubten überschritten. Weder sie noch die für die Veröffentlichung verantwortlichen Betreiber der Nachrichtenseite durften sich daher auf das Recht der freien Meinungsäußerung berufen.

Außerdem gab der EGMR zu bedenken, dass es sich beim aktuellen Fall lediglich um die Sorgen einer Firma um ihren Ruf gehandelt habe. In dem im vergangenen Jahr verhandelten Verfahren ging es dagegen um Sorgen von Personen, die als Individuen bedroht worden waren. Deren Rechte seien höher einzuschätzen. Und letztendlich berücksichtigten die Richter auch, dass gegen die Betreiber des Immobilienportals bereits zahlreiche Beschwerden bei Verbraucherschutzorganisationen vorlagen und Untersuchungen liefen. Die beanstandeten Kommentare hätten daher wahrscheinlich keinen wesentlichen Einfluss auf den Ruf der Firma mehr gehabt.

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In Deutschland gilt die Regel, dass Online-Portale für beleidigende Inhalte erst ab Kenntnis der Rechtsverletzung haften. Ihnen wird für die Löschung eine Frist von ein bis zwei Tagen zugestanden. Der Bundesgerichtshof hat eine Kontrollpflicht in einem früheren Urteil ausdrücklich verneint (Az. VI ZR 101/06).

Auch für unwahre Behauptungen haften Portalbetreiber in Deutschland nicht grundsätzlich, wie der Bundesgerichtshof im vergangenen Jahr entschieden hat (Az. I ZR 94/13). Er hatte sich damit im Streit zwischen einem Hotel und einem Hotelbewertungsportal auf die Seite des Portalbetreibers gestellt. Die Richter begründeten das damit, dass die beanstandete Nutzerbewertung keine eigene „Behauptung“ des Portalbetreibers ist. Dieser mache sie sich zudem weder durch die Prüfung der Bewertungen noch durch deren statistische Auswertung inhaltlich zu Eigen.

Auch der Vorwurf, er habe die Behauptung „verbreitet“, ist nicht haltbar. Die Haftung eines Dienstanbieters, der im Sinne des Telemediengesetzes eine neutrale Rolle einnimmt, ist nach Auffassung der Richter eingeschränkt. Für unwahre Tatsachenbehauptungen eines Dritten haftet er nur dann, „wenn er spezifische Prüfungspflichten verletzt hat, deren Intensität sich nach den Umständen des Einzelfalls richtet.“ In dem Fall sei ihm die „inhaltliche Vorabprüfung der Nutzerbewertungen“ aber nicht zumutbar gewesen. In der beanstandeten Bewertung war davon die Rede, dass es in dem Hotel Bettwanzen gegeben hatte.

[mit Material von Peter Marwan, ITespresso.de]

ZDNet.de Redaktion

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