Die Vergabekammer Westfalen hat eine möglicherweise für die gesamte öffentliche Beschaffungspraxis in Deutschland sowie die Gebrauchtssoftwarebranche wegweisende Entscheidung getroffen. Sie verpflichtete den nordrhein-westfälischen Kreis Steinfurt, einen Auftrag zur Beschaffung von knapp 1500 Microsoft-Office-Lizenzen neu auszuschreiben, weil er in der Ausschreibung gebrauchte Software ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Damit folgte die für die Nachprüfung von Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber zuständige Stelle einem Antrag des Gebrauchtsoftwarehändlers Soft & Cloud AG aus Greven bei Münster.
Allerdings sind die angeführten Gründe aus Sicht der Vergabekammer nicht zutreffend: „Eine ‚gebrauchte‘ Software mit einer ‚gebrauchten‘ Lizenz ist von der Neufassung nicht zu unterscheiden“, heißt es in der Begründung ihres Beschlusses. Die angeführten rechtlichen Bedenken des Kreises Steinfurt hält die Kammer für „sachlich nicht nachvollziehbar“. Sie verweist in dem Zusammenhang auf die Beschlüsse des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2012 und des Bundesgerichtshofs von 2014.
Durch sie wurde der Handel mit gebrauchter Software endgültig legalisiert – übrigens unabhängig davon, ob die Programme auf einem physischen Datenträger oder per Download übertragen werden. Laut BGH ist zudem auch die Aufspaltung von Volumenlizenzen für den Weiterverkauf rechtlich sauber möglich. Unbestritten gilt natürlich, dass sich die Software nicht „vermehren“ darf: Wer zusätzliche Lizenzen erschafft oder Kopien in Verkehr bringt, für die keine Lizenz vorliegt, macht sich immer noch strafbar.
Laut Michael Helms, Vorstand der Soft & Cloud AG, hat der Beschluss der Vergabekammer Westfalen „Signalwirkung“ und schiebt „der weit verbreiteten Diskriminierung von gebrauchter Software bei öffentlichen Ausschreibungen endgültig einen Riegel vor“. Helms zufolge ist es nach wie vor die Regel, dass Lizenzen zweiter Hand bei öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden.
Drohkulisse der Softwarehersteller zurück, die teilweise mit falschen Behauptungen für Verunsicherung sorgten. Für sie schaffe der Beschluss der Vergabekammer endgültig Klarheit.
Der Händler, dessen Unternehmen europaweit agiert, führt das auf die mangelnde Kenntnis der Rechtslage bei IT-Verantwortlichen und auf dieAuch Marc Opitz, Experte für Vergaberecht der Kanzlei Kapellmann Rechtsanwälte und Rechtsbeistand der Soft & Cloud AG erklärt: „Die Entscheidung ist in dieser Form einmalig in Deutschland und hat Präzedenzcharakter.“ Die nun erforderliche neue Ausschreibung werde man „genau prüfen“ und gegebenenfalls „nochmals rechtliche Schritte einleiten“.
Helms ergänzt: „Der Umgang mit Steuergeldern, wie er hier praktiziert werden sollte, ist höchst fragwürdig.“ Die vom Kreis Steinfurt ausgeschriebenen Office-2016-Lizenzen könnten ihm zufolge „ohne Abstriche bei der Produktqualität gebraucht bis zu 50 Prozent günstiger erworben werden.“ Nach Einschätzung von Helms hätte der Auftrag in seiner ursprünglich vorgesehenen Form etwa ein Volumen von rund 400.000 Euro gehabt. „Das bedeutet, dass der Kreis ohne Not über 200.000 Euro mehr ausgeben wollte als eigentlich nötig gewesen wäre. Jetzt wird er zum Sparen gezwungen.“
Anderswo teilen öffentliche Auftraggeber die Bedenken der Verantwortlichen im Kreis Steinfurt übrigens nicht. So hat sich zum Beispiel schon 2013 die Polizei Thüringen für Gebrauchtsoftware entschieden und 2014 die Stadt Nürnberg den gleichen Schritt gemacht. Außerdem ist zum Beispiel vom Bundessozialgericht in Kassel, den Städten München und Fürth sowie den Stadtwerken Cottbus bekannt, das sie Gebrauchtsoftware erworben haben. In Nordrhein-Westfalen sind die Stadt Witten sowie der Kreis Viersen Nutzer von Second-Hand-Lizenzen.
[mit Material von Peter Marwan, silicon.de]
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