Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat eine Störerhaftung von gewerblichen Betreibern öffentlicher WLANs verneint. Er hat aber zugleich neue Rechtsunsicherheiten geschaffen. Diese stehen einer breiten öffentlichen WLAN-Versorgung entgegen, wie sie auch von Politikern immer wieder gefordert wird. In diesem Jahr verständigte sich zudem die Große Koalition auf die Abschaffung der Störerhaftung auch für private und nebengewerbliche WLAN-Anbieter durch ein modifiziertes Telemediengesetz.
Zu entscheiden hatten die Richter in Luxemburg jetzt über einen Fall, der zuvor beim Landgericht München verhandelt wurde. Dabei ging es um eine Abmahnung gegen den Gautinger Gemeinderat und Veranstaltungstechniker Tobias McFadden, die er aufgrund einer durch einen unbekannten Nutzer begangene Urheberrechtsverletzung erhalten hatte. Der Nutzer hatte über ein von McFadden bereitgestelltes offenes Funknetz eine urheberrechtlich geschützte Musikdatei per Filesharing getauscht. Daraufhin war der Veranstaltungstechniker von der Sony Music Entertainment Germany GmbH als sogenannter Störer kostenpflichtig abgemahnt worden. Dagegen setzte er sich vor dem Landgericht München zur Wehr. Dieses leitete den Fall an den EuGH weiter, um zu erfahren, ob die in Deutschland gültige WLAN-Störerhaftung, die maßgeblich auf Vorgaben des Bundesgerichtshofs beruhte, mit dem Europarecht vereinbar ist.
Schon im März verneinte der EuGH-Generalanwalt eine Störerhaftung bei offenen WLAN-Netzen. Die Richter folgten ihm jetzt in dieser Hinsicht, aber nicht allen Aspekten. Sie bestätigten dem Gautinger Geschäftsinhaber und Mitglied der Piratenpartei, dass er nicht für die rechtswidrige Handlung eines Dritten haftet, da er an ihr nicht beteiligt war. Daher habe der Urheberrechtsinhaber gegen ihn keinen Anspruch auf Schadenersatz. Sony kann außerdem nicht von ihm verlangen, dass er Abmahn- und Gerichtskosten trägt.
Gleichzeitig läuft es laut EuGH der EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr nicht zuwider, wenn der Urheberrechtsinhaber eine behördliche oder gerichtliche Anordnung beantragt, die dem WLAN-Anbieter bestimmte Maßnahmen gegen Urheberrechtsverletzungen aufgibt. Geeignet erschien den Richtern etwa eine Anordnung, mit der dem Anbieter die Sicherung des Internetanschlusses durch ein Passwort aufgegeben wird. Das könnte einen Abschreckungseffekt bewirken und Nutzer von Urheberrechtsverletzungen abhalten. Für eine solche Abschreckung müssten Nutzer aber ihre Identität offenbaren, bevor sie das erforderliche Passwort erhalten.
„Das Urteil ist nicht Fisch, nicht Fleisch“, kommentierte Tobias McFadden die Entscheidung. „Ich sehe es als Teilerfolg für mein Verfahren an, das jetzt am Landgericht München weiter geht. Das Urteil wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet. Der Kampf für Freie Netze wird jetzt erst richtig beginnen!“
Das Urteil zeigt laut Julia Reda, Europaabgeordnete der Piraten, dass keine Digitalstrategie daran vorbeikommen kann, die Probleme des Urheberrechts anzugehen: „Noch gestern hat EU-Kommissionspräsident Juncker uns versprochen, bis 2020 werden alle europäischen Städte und Dörfer mit freiem WLAN versorgt. Heute macht die Komplexität des Urheberrechts diesem Ziel bereits einen Strich durch die Rechnung.“ Piraten-Datenschutzexperte Patrick Breyer bezeichnete den geforderten Passwort- und Identifizierungszwang als vorgestrig und einen technologiefeindlichen Kniefall vor der Urheberrechtslobby: „Nach dieser Logik müssten auch Telefonzellen und Briefkästen mit einem Identifizierungszwang versehen werden.“ Breyer empfahl stattdessen, den Urhebern etwa durch eine Pauschalvergütung ähnlich der Geräteabgabe entgegenzukommen.
Ähnlich sieht es der Verein Digitale Gesellschaft e. V. Mit den Ausführungen zu den Folgen wiederholter Rechtsverstöße habe der EuGH neue und kaum zu überwindende Hürden für die Betreiber offener Funknetze aufgebaut. Die Rechtsunsicherheiten rückten eine flächendeckende Versorgung mit offenen Netzzugängen in weite Ferne. „Völlig unklar bleibt nämlich, wie diese Identitätsfeststellung erfolgen soll und wie lange und in welcher Weise die Daten aufbewahrt werden müssen“, argumentiert der politische Geschäftsführer Volker Tripp. „Muss ich im Café demnächst meinen Ausweis vorlegen und einscannen lassen, um an das WLAN-Passwort zu gelangen?“
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