Streit um Fake-News: Pyrrhussieg für Facebook

Diese Woche wurde vom Landgericht Würzburg das Urteil in einem im Vorfeld viel beachteten Verfahren, das auch international Aufmerksamkeit gefunden hatte, verkündet. Es ging dabei im Grunde darum, was Facebook tun muss, wenn seine Nutzer offensichtlich falsche, verleumderische, rufschädigende oder beleidigende Behauptungen über die Plattform verbreiten. Konkret festgemacht wurde das an einem Bild, das ein Flüchtling aus Syrien von sich mit Kanzlerin Merkel aufgenommen hatte. Das wurde dann mehrmals von Dritten in völlig anderen Zusammenhängen verwendet: Einmal wurde behauptet, der Abgebildete sei später an Terroranschlägen in Brüssel beteiligt gewesen, einmal, er gehöre zu der Gruppe, die an Weihnachten 2016 in Berlin einen Obdachlosen angezündet hatte.

Schön ist so etwas nicht, passieren kann es theoretisch jedem. In dem Fall hatten Anas Modamani, der Betroffene, und sein Anwalt Chan-jo Jun noch Glück im Unglück: Modamani war durch das Selfie mit der Bundeskanzlerin bereits zuvor einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Er hatte es von daher vergleichsweise leicht, sich auch in der Öffentlichkeit gegen die auf Facebook gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu wehren – zumal in beiden Fällen die echten Täter bekannt waren.

Schwieriger war das für eine junge Frau aus Bayern, die 2010 Morddrohungen aus aller Welt erhielt, weil sie in einem Video bei Youtube zu sehen war, in dem behauptet wurde, sie habe Welpen ertränkt. Auch das war reine Verleumdung, die junge Frau hatte jedoch erhebliche Probleme, weil das Video auch in ihrem privaten Umfeld bekannt wurde und den Aussagen zunächst Glauben geschenkt wurde.

Zahlreiche weitere Beispiele ließen sich sicherlich noch finden, sind aber gar nicht erforderlich, da ohnehin jedem schon klar ist: Seit es Facebook gibt, bleibt nicht mehr in Vegas, was in Vegas passierte. Dafür kann unter Umständen jeder sehen, was gar nicht in Vegas passierte: Eine kleine Fotomontage und ein entsprechender Kommentar – am besten ebenfalls ins Bild montiert – reicht aus, um die gelangweilte, sensations- und skandalhungrige Facebook-Gemeinde zum Teilen und zum empörten Kommentieren zu animieren.

Facebook-Chef Zuckerberg (Bild: Facebook)

Facebook freut´s, denn umso länger die Nutzer pro Tag auf der Plattform sind, umso mehr sie mit ihr interagieren und umso mehr „Inhalte“ sie dort produzieren, umso wertvoller wird das Unternehmen. Ob es dabei um abgeschlagene Köpfe, Aufrufe zu Mord- und Totschlag oder wüste Beschimpfungen und Denunzierungen geht ist egal. Das fällt nach Ansicht von Facebook und den Nutzungsrichtlinien alles irgendwie unter die Meinungsfreiheit. Hauptsache es ist nicht zu viel nackte Haut zu sehen.

Das Landgericht Würzburg sieht das offenbar weitgehend ähnlich. Zwar liegt die komplette Urteilsbegründung (Aktenzeichen 11 O 2338/16) noch nicht vor, der Pressemitteilung (PDF) zufolge wurde der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen Facebook jedoch zurückgewiesen, weil Facebook weder Täter noch Teilnehmer der Verleumdungen ist. Facebook hat sich nach Auffassung des Gerichts die umstrittenen Inhalte auch nicht zu Eigen gemacht, da durch das Unternehmen keine Veränderung des Inhalts vorgenommen wurde. Es handele sich daher um fremde Inhalte der Nutzer des Portals.

Das erinnert stark an die Argumentation von File-Hoster wie Rapidshare vor Jahren: Die verwiesen jeweils darauf, dass sie Nutzern lediglich Speicherplatz zur Verfügung stellen, nicht aber darauf Einfluss nähmen, was die Nutzer dort ablegen. Damals argumentierten die deutschen Gerichte anders und legten den Unternehmen umfangreiche Prüfpflichten auf. Die Musik- und Filmbranche setzte sich dann schließlich nach jahrelangen Verfahren mit ihrer Auffassung im Wesentlichen durch. Wiegt also die Verletzung von Urheberrechten schwerer als die Verletzung von Persönlichkeitsrechten?

Laut Landgericht Würzburg wird Facebook für fremde Inhalte erst verantwortlich, wenn ihm damit zusammenhängende Probleme gemeldet wurden und es die zur Kenntnis genommen hat. Bevor Modamani und sein Anwalt Jun klagten, wurden von der Kanzlei “Dutzend Kommentare, in denen Modamani verunglimpft wird, an Facebook über das angebotene Online-Formular gemeldet.“ Facebook habe jedoch lediglich geantwortet, die Beiträge verstießen nicht gegen seine Richtlinien. Entfernt wurde (zunächst) keiner der beanstandeten Beiträge. Das wurde erst nach Beginn des Verfahrens (zumindest teilweise) nachgeholt.

Eines der beanstandeten Bilder ist inzwischen nicht mehr abrufbar – laut Facebook „leider“ und nur „derzeit“. (Screenshot: silicon.de)

Problematisch ist allerdings, dass Betroffene in der Praxis ja kaum eine Möglichkeit haben, alle sie betreffenden Einträge auch aufspüren zu können. Die Würzburger Richter vertreten immerhin die Ansicht, dass sich Facebook zumindest bei einer schweren Persönlichkeitsverletzung, wie es die Verleumdung im verhandelten Fall darstellt, möglicherweise „nicht darauf berufen könne, dass ihr der Verletzte jede einzelne Fundstelle nachweisen müsse, an der sich der beanstandete Inhalt weiterhin befinde. Dies könne für den Verletzten unter Abwägung der Interessen der Parteien unzumutbar sein.“

Sprich: Facebook müsste nach einigen Hinweise auf Material, das Persönlichkeitsrechte verletzt, identisches Material an weiteren Stellen selbst ausfindig machen. Allerdings müsste es das erst nach Aufforderung tun, denn sofern auch für Facebook die E-Commerce Richtlinie der EU gilt, ist ein sogenannter Host Provider nicht dafür zuständig, von sich aus möglicherweise zu beanstandende Inhalte aufzuspüren.

Der BGH sieht eine solche Verpflichtung nur dann, wenn sie technisch ohne zu großen Aufwand realisierbar und damit zumutbar ist. Zwar halten die Würzburger Richter bei einer schweren Persönlichkeitsverletzung einen erhöhten Aufwand grundsätzlich für gerechtfertigt – wie hoch dieser Aufwand sein darf, wollten sie in dem Eilverfahren allerdings nicht klären. „Diese Frage könne gegebenenfalls in einem möglichen Hauptsacheverfahren durch Sachverständigengutachten beantwortet werden“, so das Gericht.

Diese Argumentation ist zwar ärgerlich, aber nachvollziehbar: Was mit vertretbarem und damit zumutbaren Aufwand realisierbar ist, ändert sich schließlich ständig. Hier eine allgemeingültige Definition zu verfassen ist nicht nur schwierig, sondern zudem sicher auch nicht Sache eines Landgerichts. Auch das Oberlandesgericht Bamberg, das nun innerhalb einer Frist von einem Monat angerufen werden kann, wird das wohl nicht abschließend entscheiden, denn es kann als sicher angenommen werden, dass Facebook, falls es dort unterliegen sollte, bis vor das oberste Gericht zieht.

Rechtsanwalt Chan-jo A Jun, der bereits als „der deutsche Max Schrems“ bezeichnet wurde (Schrems hatte durch eine Klage gegen Facebook wegen dessen Datenschutzbestimmungen letztlich das Safe-Harbor-Abkommen zwischen EU und USA gekippt), wird dann jedoch nicht mehr dabei sein. Das hat der Anwalt direkt nach der mündlichen Urteilsverkündung mitgeteilt (PDF): „Das zurückliegende Verfahren war ungewöhnlich aufwändig. Das lag einerseits an den persönlichen Angriffen gegen mich durch Facebook, zum anderen aber auch an den Bedrohungen von Unbekannten, die verlangten, das Verfahren zu beenden. Ich hatte mich dazu entschlossen, diese Instanz zum Ende zu bringen, werde Modamani jedoch darin unterstützen, einen anderen Anwalt zu finden, der möglichst pro bono den Fall weiter betreut und erläutert.“

Zur Motivation der „Bedrohungen von Unbekannten“ macht Jun keine Angaben. Es soll hier nicht unterstellt werden, dass Facebook dahintersteckt. Wahrscheinlich ist, dass es einfach Personen gab, die sich daran störten, dass Jun in dem Verfahren gegen Facebook „ausgerechnet“ einen Flüchtling aus Syrien vertrat.

Offenbar wurden die Drohungen aber wohl so konkret und scheinen die Personen dahinter so massiv gedroht zu haben, dass Jun wohl zu Recht für sich und seine Angehörigen um Leib und Leben fürchten musste. Die Entscheidung ist daher verständlich und nachvollziehbar – wenngleich sie zu bedauern ist. Denn die Klärung der Frage, ob sich Facebook nun an Gesetze in den Ländern halten muss, in denen es tätig ist, oder ob es sich nach wie vor einen feuchten Kehricht drum scheren und mit seinen „Gemeinschaftsrichtlinien“ sich einfach seine eigenen, weltweit geltenden und nur ihm dienenden Gesetz schaffen darf, wäre schon wünschenswert.

Was der Gesetzgeber tun könnte

In seiner Pressemitteilung hat Jun dazu ein paar aus unserer Sicht sehr brauchbare Vorschläge gemacht. Damit rechtswidrige Inhalte auf sozialen Netzwerken wirksam und nachhaltig entfernt werden, muss seiner Ansicht nach allerdings die Gesetzeslage verändert werden – nicht nur in Deutschland, sondern EU-weit. Bis dahin könnte allerdings auch die vom Landgericht Würzburg bemühte E-Commerce-Richtlinie als Richtschnur dienen.

Anwalt Chan-jo Jun bei der Urteilsverkündung im Landgericht Würzburg. (Screenshot: silicon.de bei Twitter)

Facebook hatte in dem Verfahren einfach abgestritten, das ihm die technischen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, rechtsverletzende Inhalte aufzuspüren. Das darf man getrost als Schutzbehauptung abtun. Schon 2012 funktionierte die automatische Gesichtserkennung bei Facebook beunruhigend gut und wurde daher aufgrund von Datenschutzbedenken in Europa abgeschaltet.

Sofern es sich wie bei Modamani um Bilder einer Person mit verleumderischen Kommentaren handelt, dürfte das Aufspüren vom Nutzer nicht entdeckter Inhalte nach eine ersten Meldung also technisch keinerlei Problem darstellen. Dass es für Facebook einen gewissen Aufwand darstellt, im Einzelfall jeweils zu entscheiden, ob die ursprüngliche Beschwerde gerechtfertigt ist, ist unbestritten. Aber dasselbe Problem hat Google mit dem „Recht auf Vergessen„.

Facebook müsste das also auch lösen können. Es will nur nicht. Dass der Konzern sich einfach stur stellt und ihm nationale Gesetze ziemlich Wurst sind, zeigt sich auch an anderen Details aus dem Verfahren in Würzburg. So berichtet Jun etwa, dass der vorsitzende Richter in der mündlichen Verhandlung erklärte habe, dass die Zustellung nach Irland bis dahin nicht bestätigt worden war und eine Bestätigung auch nicht zeitnah erwartet werde. Anders gesagt: Facebook hat sich einfach totgestellt.

Facebooks Vogel-Strauß-Politik

Jun weiter: „Der Prozess kam nur dadurch zustande, dass Facebooks Anwälte am 11.01.2017, noch vor einer Zustellung, aufgrund der Berichterstattung eine Kopie der Antragsschrift angefordert und dabei notgedrungen auch die Vertretung angezeigt hatten.“ Hätten die Medien das Verfahren also nicht so breit aufgegriffen, dann würde Facebook die Zustellung der Klage in Irland wahrscheinlich heute noch nicht bestätigt haben und weiter darauf setzen, dass der Konzern den längeren Atem hat als der Kläger aus Deutschland. Das zeugt von einer tief verwurzelten Missachtung der Bedürfnisse, Sorgen und Rechte der Nutzer.

Wenn das endlich auch der Gesetzgeber wahrnimmt, dann wird er nicht umhin kommen, Firmen wie Facebook strengere Verpflichtungen aufzuerlegen. Dazu schlägt Jun etwa eine gesetzliche Verankerung des Notice-and-Take-down Verfahren vor und Plattformbetreiber wie Facebook bei persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalten, die sich nicht ohne weiteres aufdrängen, „in die Rolle des Moderators zu zwingen, sowie offensichtlich rechtsverletzende Beiträge binnen einer Frist von 24 Stunden zu löschen oder zu sperren. Sofern der Plattformbetreiber das Notice-and-Take-down Verfahren nicht praktiziert, käme auch die Verhängung von empfindlichen Bußgeldern in Betracht.“

Da Facebook ebenso wie andere amerikanische Firmen durch geschickte Kaschierung der Zuständigkeiten innerhalb des Konzerns wahrscheinlich auch künftig versuchen wird, diese Verpflichtungen zu umgehen, könnte der Gesetzgeber aber auch anderswo ansetzen: Bleibt er dabei, dass Plattformbetreiber erst ab Kenntnis haften, müsst er definieren, ab wann sie ausreichend „in Kenntnis gesetzt“ wurden und die genaue Rechtsfolge konkret ausgestalten. Jun: „So könnten Plattformbetreiber beispielsweise verpflichtet werden, benutzerfreundliche Melde-Tools bereitzuhalten und innerhalb bestimmter Fristen zu reagieren. Auch die Reaktion kann gesetzlich geregelt werden, beispielsweise der Umfang der Löschung oder vorübergehende Sperrungen für die europäische Union oder nur für einzelne Länder.“

Um das Durchzusetzen, könnten Bußgelder angedroht werden, wie sie in der EU-Datenschutzgrundverordnung vorgesehen sind. Effektiver wäre es laut Jun jedoch, über das Steuerrecht vorzugehen. Darüber wurde einst ja auch schon Al Capone das Handwerk gelegt. Beispielsweise schlägt Jun vor, den „Betriebskostenabzug für Werbemaßnahmen auf illegalen Plattformen“ (sprich solchen, die sich nicht an die Regeln halten) zu versagen. „Wer dann auf einem illegalen Portal Werbung schaltet, darf die dabei entstehenden Kosten genauso wenig steuerlich geltend machen wie Bestechungsgelder oder Fahrzeugkosten ohne Fahrtenbuch.“ Sofern das umgesetzt würde, drohten Facebook Werbeinnahmen in empfindlicher Höhe zu entgehen.

Zweites Szenario wäre, Facebook und ähnliche Portale als Medienunternehmen einzustufen und entsprechend zu behandeln – mit noch viel weitreichenderen Verpflichtungen. Wird einer dieser Vorschläge auf EU-Ebene durchgesetzt, dann wird sich Facebook in Zukunft wünschen, es hätte im Herbst 2016 einfach einmal nutzerfreundlich und unbürokratisch auf eine Löschanfrage eines weitgehend Unbekannten Syrers reagiert. Der Erfolg vor dem Landgericht Würzburg ginge dann als klassischer Pyrrhussieg in die Geschichtsbücher ein: Zwar gewonnen, aber durch den Sieg letztlich doch noch verloren.

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ZDNet.de Redaktion

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