Ist aus der Perspektive von Red Hat und seinen Kunden und Partnern der Deal mit IBM nun sinnvoll oder nicht? Diese Frage beschäftigte wohl jeden der rund 700 Partner und Kunden, die zum Red-Hat-Forum ins bayerische Unterschleißheim gekommen waren.
Hörte man sich bei Anwendern und Partnern um, gab es wenig extreme Hoffnungen oder Befürchtungen. Zwar erhoffen sich Anwender keine Wunder, doch sehen sie anders als im Markt der proprietären Systeme, in Open Source selbst einen gewissen Schutz vor eventuell vorhandenen IBM-Gelüsten, letztlich Red Hat seine von außen eher bürokratisch anmutenden Prozesse und Managementstrukturen dem Neuling überzustülpen.
Fraglich ist freilich, ob das gelingen kann, wenn das aufgekaufte Unternehmen 13.000 und das kaufende mehrere Hunderttausend Mitarbeiter hat. Es wäre nicht das erste Mal, dass solche Deals am Ende schief gehen. Und IBM hat auch schon Unternehmen vom Markt gekauft, deren Produkte dann sang- und klanglos verschwanden – was freilich bei Open-Source-Lösungen tatsächlich kaum gehen würde.
Kundenseitig kann Red Hat längst Schwergewichte vorweisen, die mit IBMs illustrer Kundschaft mithalten. So die Finanzdienstleister der Sparkassen und der Genossenschaftsbanken, von DHL und der Lufthansa, aber auch das schweizerische Unternehmen Vorwerk. Es ist bekannt durch seine Staubsauger und den Koch-Halbautomaten Thermomix. Mit Hilfe von Cloud-Content und Open-Source-Infrastruktur mit Red-Hat-Produkten hat dieses Unternehmen inzwischen einen dreistelligen Service- zusätzlich zum Produktumsatz. Sie alle präsentierten sich auf dem Red-Hat-Forum.
Gleich in der ersten großen Keynote bemühte sich Werner Knoblich, Senior Vice President und General Manager EMEA, eventuelle Befürchtungen zu zerstreuen. So habe er, 16 Jahre bei Red Hat, selbst zunächst eher skeptisch reagiert, sei aber inzwischen überzeugt, dass positive Aspekte überwiegen. Schließlich habe IBM immerhin 34 Milliarden Dollar aufgeboten.
Das ist knapp die Hälfte des eigenen Umsatzes von Big Blue, der 2017 rund 79 Milliarden Dollar betrug – stetig leicht fallend seit 2014. Der große Watson-Boom jedenfalls ist ausgeblieben. IBM versucht nun wohl, sich nach der längst nicht mehr so bequemen Decke der Anwender zu strecken.
Sie haben genug von Hardwaretürmen mit selbst geschriebenen Softwareknäueln, die kaum noch zu entwirren sind. Agil, schnell, flexibel, intelligent und offen heißen die gängigen Buzzwords bei der Softwareentwicklung. „Bei uns ist alles Open Source“, betonte Knoblich. Und: „90 Prozent der Public Workloads laufen unter Linux.“
Weil Red Hat, seit 66 Quartalen stetig wachsend und profitabel, und seine Produkte für diese Begriffe stehe, sei IBM bereit gewesen, die an sich horrende Summe auszugeben. „Es gibt laut Vereinbarung noch nicht mal ein Integrations-, nur ein Synergieteam“, beteuerte Knoblich. Nur der CEO von Red Hat müsse an den CEO von IBM berichten, ansonsten bleibe Red Hat unabhängig und könne seine Geschäfte weiterführen wie bisher. Versuche IBM dagegen, Red Hats Logo oder Kultur zu ersetzen, zerstöre es genau das, warum die Firma nun übernommen werde. Realistischerweise muss man hier wohl ein „vorerst“ mitdenken.
Das große Plus, das sich Red Hat erhofft, ist laut Rainer Liedtke, Regional Manager DACH Red Hat, die bessere geografische Abdeckung. Red Hat sei schlicht zu klein, um wie IBM mehr oder weniger überall präsent zu sein. Und so entgehe dem Unternehmen so manches Wachstumspotential. Das ließe sich mit Hilfe von IBM heben.
Doch vorläufig stehen noch die Voten der Aktionäre und der Wettbewerbsbehörden aus. Es ist spannend, zu sehen, ob und wenn ja welche Desinvestments sie verlangen werden. Denn in Sachen Business-Software hat Red Hat inzwischen viel, was funktional auch von IBM angeboten wird.
Teilweise ist das Unternehmen aber erfolgreicher. Ein Beispiel ist die Containerplattform OpenShift auf Kubernetes-Basis. Auch bei OpenStack als Cloud-Stack ist Red Hat besonders stark, Enterprise Linux findet viele Abnehmer. Leistungsfähige Middleware bieten beide an – Red Hat von JBoss, IBM unter dem Label Webshphere.
Das zweite wichtige Thema der Veranstaltung war die Digitalisierung und der Aufbau neuer, digitaler Geschäftsmodelle. Hierzu müsse nicht nur die Technologie, sondern auch Prozesse und Kultur angepasst werden. Letzteres sei am schwierigsten.
Red Hat versucht, intern selbst eine innovations- und fehlerfreundliche Kultur zu leben. Auf der Veranstaltung gab es als einen Vortrags-Track auch ein sogenanntes Open Innovation Lab. Es sollte zeigen, wie derlei geht.
Da die Autorin nicht teilnahm, kann sie aus erster Hand nicht berichten, wie es dort zuging. Allerdings war den Ankündigungen auf dem Keynote-Podium zu entnehmen, dass es sich hier um eine Form des kundengesteuerten und auf konkrete Fragen oder Aufgaben zentrierten Diskurses zwischen (potentiellem) Kunden, Unternehmen und Partnern geht.
Anwender stellen ihre Fragen, und die versammelten Experten bringen ihre Lösungsvorschläge in die Diskussion ein. Sie werden dann gemeinsam diskutiert, was irgendwann auch in eine Umsetzung münden kann. Das erinnert an ähnliche Prozesse, wie sie in den vergangenen ein, zwei Jahren auch IBM, Fujitsu oder Teradata vorgestellt haben.
Ein weiteres wichtiges Thema war der Einstieg in den Einsatz „intelligenter“ Algorithmen. Hier, so das Management unisono, hänge Deutschland noch zurück. Man müsse sich aber beeilen, wenn nicht andere, aktivere Länder wie China oder die USA einen uneinholbaren Vorsprung gewinnen sollten.
Den Leitvortrag zum Thema KI hielt die HPE-Abspaltung DXC Technologies, ein reines Beratungs- und Servicehaus und Platinsponsor der Veranstaltung. Gold-Sponsoren waren Atos, Microsoft, ein Computacenter, Cancom Pironet, Devoteam, Viada und Couchbase.
In dem DXC-Vortrag ging es um ein Projekt für BMW. Die Automobilindustrie ist derzeit besonders offen für externe Beratung. Sie steht massiv unter Druck und digitalisiert sich im Zusammenhang mit dem autonomen Fahren immer mehr, es fehlt aber anscheinend häufig das interne Know-how. Praktisch müssen sich diese Unternehmen komplett neu erfinden, was sie lange hinausgezögert haben.
DXC Technologies präsentierte eine digitale Plattform, mit der sich aus weltweit verteilten Testfahrzeugen für autonomes Fahren laufend Echtzeitdaten gewinnen, zusammenführen und lokal oder zentral auswerten lassen. Diese Plattform soll früher oder später auch anderen Kunden angeboten werden.
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