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Die Autoindustrie entdeckt die Cloud und IIoT

„In der Automobilindustrie gibt es dringenden Transformationsbedarf“, sagt Robert Gögele, General Manager für den deutschsprachigen Bereich beim Beratungsunternehmen Avanade. An dem Joint Venture Avanade sind Accenture und Microsoft beteiligt. Es soll die Industrie branchenübergreifend von den Segnungen innovativer, IT-gestützter Technologien überzeugen.

Gerade die Automobilindustrie brauche dringend einen digitalen Sinneswandel, meint Gögele. „Bisher hat sie sich über Engineering differenziert, in Zukunft geht das über Software, insbesondere für die Nutzererfahrung“, sagt Gögele, selbst Fahrer eines Tesla. Das E-Car aus den USA ist der Nachfolger eines in Deutschland gebauten Hybridfahrzeugs. Dessen Bediensoftware, so Gögele, sei einfach zu schlecht gewesen. „Im Tesla kommen acht Prozent der Wertschöpfung durch Software zustande, normal ist ein Prozent“, sagt der Manager. Daher brauche die deutsche Fahrzeugindustrie dringend Software-Know-how.

Das System von MackeVision trainiert einen Kamerasensor anhand einer im „Real Life“ aufgenommenen Kreuzung auf komplexe Verkehrssituationen – hier der Alptraum jedes Autofahrers: Ein Kind läuft bei Grün für den fahrenden Verkehr auf den beampelten Übergang (Bild: Ariane Rüdiger)

Deutlich zu erkennen ist der Ort des Lochs im Reifen (farbiger Fleck), das die Mikrofone des Noiseless-Systems detektiert haben. Daneben das aufgenommene Schallprofil und die Kalkulation der entstehenden Kosten, wenn nicht nachgebessert wird (Bild: Ariane Rüdiger)[/caption]

Wie dringend, zeigt sich daran, dass beispielsweise VW nun in Redmond selbst Software-Labs aufbaut – unmittelbar neben den Firmengebäuden von Microsoft. Der Softwareriese soll VW dabei helfen, geeignete Mitarbeiter für diese Einrichtung zu finden. Das ist nicht einfach, da Microsoft und AWS am neuen Standort den Entwicklermarkt leerkaufen. Einige Hundert programmierkundige Mitarbeiter würden von VW gesucht, so Gögele.

Deutsche Autoindustrie leidet an fehlendem Software-Know-how

Um wie üblich auch beim autonomen Fahren und Elektroautos alles selbst zu machen, fehle der deutschen Autoindustrie und auch ihren großen Zulieferern schlicht das Know-how. Deshalb hätten die großen Autofirmen in Deutschland samt und sonders ihre Bestrebungen, eigene Clouds zu bauen, aufgegeben, und arbeiten nun mit den Hyperscalern, insbesondere mit Microsoft Azure und AWS, zusammen. „Auf selbstgebauten Clouds dauert es Jahre, bis die ersten Services kommen, auf Azure gibt es jeden Monat 200 neue Apps“, sagt Gögele. Das sei attraktiv für Anwender und für Entwickler. Microsoft erfreue sich im Kreis der Autoindustrie großer Beliebtheit bei datensensibleren Themen, da der Anbieter schon seit Jahren die Datensouveränität seiner Kunden betone und auch die Absicht, sich nicht in deren Kerngeschäfte einzumischen, wie dies AWS gern tut, erklärt Gögele.

Was digitale Innovation praktisch bedeuten kann, lässt sich im Industrial IoT Innovation Center von Accenture in Garching bei München beobachten. Das Center in einer umgebauten Lagerhalle an einer der großen Ausfallstraßen Münchens gibt es seit rund 18 Monaten. Seitdem wurden dort über 500 Workshops mit Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen durchgeführt. Die Autoindustrie ist vorn mit dabei.

Die Exponate im Center werden alle paar Monate erneuert und umgebaut, um sie den aktuellen technologischen Entwicklungen anzupassen. Dabei sind die Exponate so geordnet, dass sie dem Produktleben von der Kreation respektive dem Kundenwunsch bis zur Auslieferung und Reparatur folgen. Integriert in sie werden in der Regel nur Produkte, die man tatsächlich kaufen und einsetzen kann. „Wir verfolgen hier den Out-of-the-Box-Ansatz“, sagt Christian Findeisen, der als Shopfloor-Lead bei Accenture für die Gestaltung des Showrooms zuständig ist.

Sensorensimulation mit MackeVision

Es folgen einige Beispiele für Exponate, die erst vor kurzem in den Showroom integriert wurden. Viele davon haben direkt oder indirekt mit Mobilität zu tun. Da gäbe es beispielsweise die Simulationslösung von MackeVision, einem Simulationsanbieter, der ursprünglich aus der Filmindustrie kommt und der 2018 von Accenture aufgekauft wurde. Die Lösung hilft beim Training autonomer Fahrzeuge. „Um voll autonom auf der Straße fahren zu dürfen, muss für jeden Sensor eine dreistellige Millionenzahl Testkilometer und das Anlernen jeder denkbaren Verkehrssituation nachgewiesen werden“, erklärt Findeisen. Ohne Simulation würde das schlicht zu lange dauern. Die Software von MackeVision simuliert mittlerweile nicht nur lebensecht jede denkbare Verkehrssituation bei jeder Wetterlage und allen vorstellbaren Lichtverhältnissen. Sie mimt auch gleich das Sensorverhalten selbst, was die Testdurchgänge erheblich vereinfacht und beschleunigt.

Gleich daneben druckt ein FDM-Drucker von Ultimaker vor sich hin. Der Hersteller aus den Niederlanden gehört in diesem Bereich zu den führenden weltweit. Auf einem Ständer kann man sehen, welche exotischen Formen durch 3D-Druck möglich werden. Die Technologie eröffnet nicht nur neue Freiheitsgrade bei der Gestaltung von Komponenten, sondern optimiert auch den Materialverbrauch. Der Großteil des sonst üblichen Verschnitts entfällt schlicht und einfach. Auch die Transporte von Ersatzteilen dürften abnehmen, wenn ein 3D-Drucker zur Standardausrüstung von Werkstätten gehört. Hier hat die Zukunft gerade erst begonnen.

Deutlich zu erkennen ist der Ort des Lochs im Reifen (farbiger Fleck), das die Mikrofone des Noiseless-Systems detektiert haben. Daneben das aufgenommene Schallprofil und die Kalkulation der entstehenden Kosten, wenn nicht nachgebessert wird (Bild: Ariane Rüdiger)

Im Motor piept es

Ein ebenfalls noch recht unerschlossenes Gebiet ist die Analyse von Geräuschen. Hier macht sich gerade das finnische Startup Noiseless einen Namen. Sein System kombiniert 128 Mikrofone auf der einen mit einem Bildschirm auf der anderen Seite. Geräusche nimmt das System noch aus einer Entfernung von 100 Metern wahr, analysiert sie und setzt sie in ein Bild um, das die Geräuschquelle punktgenau markiert, erklärt Findeisen.

So hat jeder „gesunde“ Motor ein charakteristisches Laufgeräusch, das sich verändert, wenn etwas nicht stimmt. Wird ein Noiseless-System mit auf gesunde Motorgeräusche angelernten Algorithmen gefüttert, kann es vor Ort detektieren, ob, wo und inwiefern der Motor anders klingt als üblich. Vor Ort lokalisierte das Gerät ein stecknadelkopfgroßes Loch in einem Fahrradschlauch, das sich auf dessen zum Boden gewandter Seite befand, aus circa einem Meter Entfernung sicher. Das funktioniert auch abgekoppelt von der Cloud im Hintergrund. Allerdings lassen sich die in jedem Testfall gewonnenen Daten und Bilder durchaus in eine private oder öffentliche Cloud hochladen und dort einem bereits vorhandenen Algorithmus als neues Lernmaterial hinzufügen.

Auch komplexeste Formen lassen sich mittels 3D-Druck mit geringem Materialverschleiß und Zeitaufwand erstellen – sogar dezentral, wenn die digitalen Baupläne zum Drucker geschickt werden (Bild: Ariane Rüdiger)

Eine praktische Anwendung aus dem Bereich Automotive ist der Test von Benzinfiltern. Bisher wurden dabei die Filter unter Wasser gedrückt, und ein menschlicher Mitarbeiter schaute nach Luftblasen. „Er oder sie musste dann unterscheiden, ob es sich bei der Ursache für die Blasen tatsächlich um eine undichte Stelle handelte“, erklärt Findeisen. Mit dem System von Noiseless sei es nun möglich, einen Luftstrom durch den Filter zu leiten und an dessen Klang sicher zu erkennen, ob und wo ein Filter gegebenenfalls undicht ist.

Fehlerfreier Lieferverkehr

Schließlich sei noch ein Exponat zum digitalen Asset-Management erwähnt. Hier geht es darum, einen sicheren und zuverlässigen Lieferverkehr zu ermöglichen, bei dem Frachten nicht mehr verwechselt und gleich das richtige Tor zum Fabrikgelände oder Lager angefahren wird. Die Lösung besteht darin, jedem Gegenstand eine digitale Identität zu verleihen. Erst wenn sich ein Fahrer in seinem Fahrzeug mit dem richtigen Token anmeldet, kann er es starten. Erreicht der Truck das Fabrikgelände, das zu beliefern ist, wird das Fahrzeug anhand des Tokens am Eingang eindeutig identifiziert und einem Lager-Gate zugewiesen. Nur an diesem Gate kann das Fahrzeug bis zur Laderampe vorfahren und dort abkoppeln. Auch das Ankoppeln falscher Lasten wird durch digitale Identitäten verhindert. Früher, so Alexander Growald, der das Exponat präsentierte, sei es häufig vorgekommen, dass LKW-Frachtcontainer verwechselt wurden und die falsche Fracht am Ziel ankam. Das gehöre mit dieser Lösung der Vergangenheit an.

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Kai Schmerer

Kai ist seit 2000 Mitglied der ZDNet-Redaktion, wo er zunächst den Bereich TechExpert leitete und 2005 zum Stellvertretenden Chefredakteur befördert wurde. Als Chefredakteur von ZDNet.de ist er seit 2008 tätig.

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