Virtuelle Telefonanlage – praktisches Tool oder komplizierte Technik?

Entwicklung der Telefonie und Anlagenanschlüsse

Wenn man die historische Entwicklung der Übertragung von Telefongesprächen betrachtet, hat es seit Beginn der analogen Telefonie einige revolutionäre Veränderungen gegeben. Vor rund 100 Jahren war an eine Telefonanlage im heutigen Sinne gar nicht zu denken. Damals wurde der Anrufer durch das „Fräulein vom Amt“ mit dem gewünschten Gesprächspartner verbunden. Hierzu mussten händisch Kabel im Telefonkasten des Amtes umgesteckt werden, sodass das gewünschte Gespräch auf klassischem Weg, nämlich der analogen Übertragungsstrecke, zustande kommen konnte. Der Sprung vom manuellen Umstecken hin zu direkten Anrufen ohne die “Dame vom Amt” wurde durch die automatische Vermittlung von Telefonaten über eine Verteilerstelle möglich. Die analoge Telefonie bestand über einen sehr langen Zeitraum hinweg bis in die 1980er Jahre.

Ab 1989 wurde in Deutschland und anderen Ländern eine neue Technologie zur Übertragung von Telefonaten ausgebaut, mit Namen das ISDN, das automatisierte und digitale Integrated Services Digital Network. Durch diese Neuerung war es fortan möglich, Sprachinformationen nicht mehr als analoge Frequenzen durch das Kabel zu schicken sondern als digitale Datenpakete. Dies sorgte auch dafür, dass eine höhere Übertragungsgeschwindigkeit und Anrufererkennung auf beiden Seiten zur Verfügung standen. Außerdem konnte man über einen ISDN-Anschluss nebst einem Telefon auch einen Computer anschließen und sich über den sogenannten D-Kanal mit dem Internet verbinden. Diese gravierende Neuerung legte den Grundstein einer neuen Kommunikationstechnologie, welche auch die Anlagenanschlüsse von Unternehmen revolutionierte und bis heute einen zuverlässigen Standard bietet.

Ein paar Jahre nach der Einführung des ISDN, Beginn bis Mitte der 1990er Jahre, wurden bereits die ersten Telefonate über VoIP (voice over IP) geführt. Jedoch waren die individuellen Lösungen von verschiedenen Software-Herstellern alles andere als marktreif. Da die Datenübertragungsraten noch gering waren, konnte oft ausschließlich im Halbduplexbetrieb übertragen werden, wodurch beide Gesprächsteilnehmer nur abwechselnd sprechen konnten und das Gesprochene nur mit schlechter Sprachqualität am anderen Ende ankam. Die Übertragungsgeschwindigkeit lag damals nur bei 56 Kilobits pro Sekunde. Im Vergleich dazu liegen die “langsamen” Internetanschlüsse heutzutage bei einer Geschwindigkeit von circa 16.000 Kilobits pro Sekunde und sind fast dreihundertmal schneller. Ein weiteres Problem bestand in dieser Zeit auch darin, dass das Datennetz nicht stark genug war. Wenn das Datennetz stabil ist, dann ist die Gesprächsqualität auch mit einer sehr geringen Bandbreite zu schaffen. Hierzu reichen unter der Verwendung des richtigen Codecs bereits zirka 15 Kilobits pro Sekunde inklusive Overhead. 1998, wurde erstmals ein Standard eingeführt, mit dem die Lösungen der unterschiedlichen Entwickler miteinander kompatibel gemacht werden sollten. Der SIP-Standard (Session Initiation Protocol), der auch in vielen aktuellen cloudbasierten Telefonie genutzt wird, war geboren.

Doch nun zurück zum ISDN: Eine gewöhnliche ISDN Leitung bietet eine Sprach-, eine Daten- und eine Nebenleitung. Da in großen Unternehmen gleichzeitig mehrere Gespräche geführt werden müssen reicht der gewöhnliche ISDN-Anschluss für geschäftliche Anforderungen oft nicht aus. Für die Zwecke von großen Unternehmen eignet sich dafür der Primärmultiplexanschluss (PMX). Pro PMX-Anschluss haben die Mitarbeiter mindestens 16 und maximal 30 Sprachkanäle zur Verfügung. Somit konnte ein Vielzahl von Mitarbeitern gleichzeitig Telefonate führen. Jedoch ist diese Form des Anschlusses sehr kostenintensiv. Die Preise bei verschiedenen Anbietern reichen heutzutage bis zu 260 Euro.

Eine Telefonanlage in Unternehmen mit der zugrundeliegenden ISDN-Technologie war immer ein isoliertes, von anderen Infrastrukturen abgeschirmtes System. Im Jahr 2019 handelt es sich jedoch um Server, die mit anderen IP-basierten Diensten verbunden werden können. Somit wurde die Lücke zwischen der IT- und Telefoninfrastruktur verkleinert. Was zuvor parallel stattfand, sollte fortan über einen Kanal laufen, eine gemeinsame Übertragungsstrecke von Daten und Telefonie.

Mit der Vereinigung von IT und Telefonie schlug die Geburtsstunde der virtuellen Telefonie. Zu den weitverbreiteten On-Premise-Telefonanlagen, sprich Anlagen, welche in der jeweiligen Firma in Form eines Anlagenkastens stehen, stellen nun virtuelle Telefonanlagen eine Alternative dar, welche in den letzten Jahren immer stärker an Popularität dazugewonnen haben. Eine virtuelle Telefonanlage ist nichts weiter als ein Server in einem Rechenzentrum, welcher über einen Anbieter zu Verfügung gestellt und vom Anbieter betreut wird. Über diesen Server lassen sich alle benötigten Telefoniefunktionen abrufen. Dies bedeutet in erster Linie, dass der Anlagenkasten verschwindet und trotz Entfallen von Wartung, Updates und Strom dennoch telefoniert werden kann. Dazu müssen die Endgeräte im Unternehmen über das Internet mit dem Server des Anbieters verbunden werden.

Ferner wird es durch virtuelle Telefonanlagen ermöglicht, dass Mitarbeiter standortunabhängig werden, da sie sich nur über das Internet mit der Telefonanlage zu verbinden brauchen und so unter ihrer geschäftlichen Telefonnummer nach außen auftreten können.

Die Frage, ob eine klassische – nicht über IP betriebene ISDN-Telefonanlage – als Auslaufmodell betrachtet werden kann, ist für die meisten klein- und mittelständischen Firmen zu bejahen. Denn durch die wiederholte Abkündigung des alten ISDN-Netzes durch die Telekom ist eine baldige Unwirtschaftlichkeit bestehender Anlagen gegeben. Eine Umstellung auf einen All-IP Anschluss ist durch die geplante Abschaltung des ISDN-Netzes in 2019 nicht nur unumgänglich sondern lohnenswert. Zwar verläuft diese Abschaltung schrittweise, dennoch ist die komplette Abschaltung des alten ISDN-Netzes für 2019 geplant. Betroffene Firmen sollten sich rechtzeitig nach einer Alternative umsehen, da die All-IP-Umstellung nur noch eine Frage der Zeit ist. Doch die Umstellung ist nicht das einzige Argument, welches für die Zukunft der virtuellen Telefonie spricht. Ebenso wichtig sind die Anforderungen an einen modernen Arbeitsplatz und Integrierbarkeit der Telefonanlage mit weiteren unternehmensrelevanten Systemen wie wie ERP oder CRM. Die virtuellen Telefonanlagen von heute liefern bereits Komponenten wie Video-, Chat- oder Konferenzfunktionen, die man früher nur über externe Anbieter hätte nutzen können.

Zwar macht die klassische Telefonanlage nach wie vor einen großen Teil des Gesamtmarktes der Telefonanlage für Unternehmen aus, wird aber mit der Zeit zurückgedrängt werden.

Was momentan noch für die On-Premise-Lösung spricht, ist beispielsweise die in vielen Jahren erprobte Appliance. Die Hardware ist in der Regel optimal auf die Anlage abgestimmt und Updates speziell auf das vorliegende System zugeschnitten. Außerdem ist die klassische Telefonanlage durch ihre isolierte Infrastruktur von einem externen Techniker vergleichsweise einfach zu betreuen, da es keine Konflikte auf Netzwerkebene, wie zum Beispiel durch eine Firewall, gibt.

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ZDNet.de Redaktion

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