Für Veränderungen gibt es unterschiedliche Auslöser. Dementsprechend werden sie unterschiedlich wahrgenommen und verarbeitet. Was für den einen ein harmloses Ereignis und nicht weiter bemerkenswert ist, ist für den anderen ein großer Druck bzw. ein extremer Antrieb. Nicht der äußere Auslöser oder die „Change-Story“ ist entscheidend für die Art und Weise des Erlebens von Change, sondern der individuelle Empfänger mit seiner spezifischen Art und Weise, die Realität wahrzunehmen, zu bewerten und zu verarbeiten.
Flucht, Abwehr, Blockade, Öffnung oder auch die Umsetzung von Changeanforderungen stellen typische Reaktionen und Verhaltensweisen dar, die jeweils mit positiv oder negativ besetzten Gefühlen einhergehen. Dabei ist es für Führungskräfte wertvoll zu wissen, bei wem welche Gefühle mit welchen Verhaltensmustern verbunden sind. Insgesamt lassen sich vier Kernemotionen unterscheiden: Vergnügen, Schmerz, Wut und Angst. Diese Kernemotionen sind mit Zuständen verbunden, die im Veränderungsprozess typischerweise auftreten: So kann Vergnügen zum Beispiel mit Neugierde verbunden sein, Schmerz mit Ernüchterung, Wut mit Ausdauer, Angst mit Blockade, beziehungsweise Angstfreiheit mit Selbstwert (vgl. Dyckhoff und Grochowiak, 2001). Einige Beispiele können dies illustrieren.
Vergnügen und Neugierde
Ein neues Dienstleistungspaket erzeugt bei der zuständigen Vertriebsmannschaft Neugier auf die erwarteten Erfolge. Es besteht die Zuversicht, dass Verkaufsgespräche einfacher werden und die Abschlussquote steigt. Diese Perspektive wird als Vergnügen erlebt.
Schmerz und Ernüchterung
In einem großen Warenhauskonzern engagieren sich die Verkaufsmitarbeiter über viele Monate lang, besonders im Sinne professionellen Auftretens und abschlussorientierten Verkaufens. Ernüchterung macht sich breit als deutlich wird, dass das durchgehaltene Engagement nicht wie erwartet zu den entsprechenden Umsatzsteigerungen führt. Die Realität wird als schmerzvoll erfahren.
Wut und Ausdauer
Das Management eines Produktionsunternehmens beschließt Standorte auszulagern. Der dafür ursächliche Kostendruck wird als Versagen des Managements bewertet. Teile der Belegschaft reagieren wütend und legen eine enorme Ausdauer an den Tag, die Umsetzung beschlossener Veränderungsmaßnahmen hinauszuzögern und letztlich zu boykottieren.
Angst und Selbstvertrauen
Sanierung, Restrukturierung, Personaleinsatz, bzw. die Einführung neuer Stellenbeschreibungen erzeugen im Kontext von Digitalisierung die Angst vor dem Verlust des eigenen Arbeitsplatzes, bzw. die Sorge unter den neuen Bedingungen nicht weiter zu reüssieren. Gefühle der Angst und Selbstzweifel schränken den Selbstwert ein. Umgekehrt kann die Reduktion von Angst mit dem Abbau von Selbstzweifeln und damit der Steigerung des Selbstvertrauens einhergehen.
Wenn Führungskräfte diese Zusammenhänge kennen und differenziert wahrnehmen, können sie ihr Verhalten im Changeprozess über gefühlsspezifische Interventionen noch wirksamer werden lassen. Blockaden können gelöst und der Fluss der Entwicklung kann in Gang gebracht werden. Grundsätzlich gilt: Jedes Gefühl hat seinen spezifischen Nutzen und Wert. Eine gesunde Person ist in allen Kernemotionen zu Hause. Dies bedeutet, dass sie in der Lage ist, diese Emotionen zu empfinden, zu reflektieren und sich zwischen diesen dynamisch hin und her zu bewegen.
Führungsansätze und Führungsfehler
Gelingende Veränderungsprozesse setzen voraus, dass alle Zustände (Neugier, Ernüchterung, Ausdauer und Selbstvertrauen) bewältigbar und gestaltbar sind. Damit entsteht ein Grundvertrauen. Im Change gilt es insbesondere die negativen Emotionen nicht zu ignorieren oder zu unterdrücken. Die Folge könnte nämlich darin bestehen, dass sich die Gefühle in übersteigerter Form Bahn brechen. So verstärken sich Emotionen, wenn sie nicht gewürdigt werden. Sie wollen sich quasi Gehör schaffen und als „emotionaler Marker“ aufzeigen, dass etwas nicht stimmt. Wenn Menschen in Change für ihre Gefühle keine Resonanz erhalten, suchen sie sich alternative Bewältigungsmechanismen, mit deren Hilfen sie die Spannung reduzieren können. Einer der wirksamsten ist es, den Changeprozess zu leugnen und zu ignorieren bzw. diesen auszusitzen. Besonders fatal ist dabei die Scheinkooperation: Ich signalisiere in allen Meetings Zustimmung, setze mich nach dem Meeting aber nicht für die Umsetzung ein. Auf diese Weise können viele Mitarbeiter über einen langen Zeitraum den Changeprozess sabotieren, ohne dass dies schnell auffällt.
In der Alltagspraxis führen Führungsfehler oft dazu, dass Veränderungsprozesse emotional nicht im Fluss sind. Dabei kommt der emotionale Zustand der Führungskraft, etwa beim Umgang mit Druck, besonders zum Tragen. Wenn Führungskräfte unter Druck stehen, neigen sie dazu einerseits die Kontaktintensität zu ihren Mitarbeitenden zu reduzieren und gleichzeitig aber den Druck durch Appelle oder Vorgaben zu erhöhen. Wenn das Gegenüber bereits im Zustand der Angst ist, kann so aus Angst Panik werden, aus Schmerz Nörgeln und aus Wut Kampf. Oft werden Ängste bei Mitarbeitern durch Beschwichtigung abgetan („Das wird schon werden.“) bzw. schmerzhafte Erfahrungen werden ignoriert („Das müssen die halt aushalten.“). Wut wiederum hat viel mit Engagement, persönlichen Wertvorstellungen und Interessen, denen nicht entsprochen wird, zutun. Wird Wut abgewertet („Die jammern auf hohem Niveau.“), erleben die Betroffenen dieses Gefühl umso stärker.
Vor allem der Schmerz ist eine sehr relevante Emotion im Veränderungsprozess und wird immer wieder von Führungskräften ignoriert, bzw. unterschätzt. Schmerz wird auch in der Wahrnehmung häufig mit Angst verwechselt. Ebenso unterschätzt wird häufig die Tendenz, dass Mitarbeiter dann in die Wut gehen, wenn der Veränderungsprozess als Resultat von Managementfehlern betrachtet wird, noch mehr Distanz entsteht.
Die Vermittlung von „Sense of Urgency“ („Die Wettbewerbssituation zwingt uns dazu.“) wie sie John Kotter als zentralen Ausgangspunkt für die gelegene Changeprozesse darstellt sowie die Vermittlung einer positiven Vision („Die viel zitierte Sehnsucht nach dem Meer.“) greifen emotional häufig zu kurz. Allzu oft werden Gefühle, insbesondere Begeisterungen, als Motivatoren von außen aufgesetzt. Dadurch aber, dass allein der Vorstand begeistert ist, bewegt sich in der Fläche des Unternehmens noch nichts. Ziele und Anforderungen werden dadurch nicht ausreichend in der Einzelperson des Mitarbeiters verankert. Das Verhalten des Vorstandes wird dann als Fremdkörper erlebt: „Ich hätte das ganz anders gemacht.“, „Ich verstehe nicht, warum es nicht vorangeht.“ oder „Das bringt doch eh alles nichts.“ Wenn Führungskräfte hier nun mit Appellen reagieren, kann es im Extremfall zu einer Endsolidarisierung zwischen dem Management und der Belegschaft kommen. Ursächlich ist die fehlende Resonanz für die in der Belegschaft gegebenen Gefühlsmuster. Das Management hat dann oft von sich selbst das Bild schon weiter zu sein als es die Mitarbeiter sind. Aus dieser Erkenntnis ergeben sich jedoch keine Resonanzerfahrungen mit der Folge, dass der Veränderungsprozess stockt, der Druck steigt, was den emotionalen Fluss weiter hemmt.
Gefühlsadäquate Interventionen
Für Führungskräfte ist es wichtig, sich klar zu machen, welches Spektrum an Emotionen es gibt und wie jeweils zu reagieren ist. Zentrale Aspekte sind dabei Empathie (bei Schmerz), Kanalisierung und Lenkung (bei Wut) sowie die Vermittlung von Selbstwirksamkeit (bei Angst vor Scheitern) und schließlich die Stärkung von adäquatem Vergnügen, wenn dieses mit der gewünschten Veränderung im Einklang steht. Konkret bedeutet dies, dass jemand der Ernüchterung darüber erfährt, dass sich eine Hoffnung nicht erfüllt hat (etwa am alten Arbeitsplatz verbleiben zu dürfen), dies als Schmerz als eine Art Trauer erlebt. Hier ist es nicht sinnvoll zu sagen: „Kopf hoch, das wird schon wieder.“
Viel wirksamer ist es einfach zuzuhören und zu bestätigen, dass es in der Tat sehr schmerzhaft ist und es sich um einen schwierigen Prozess handelt (Empathie). Anders ist es bei Angst. Empathie kann Angst noch weiter verstärken. Gleichsam als würden Sie einem Passagier mit Flugangst sagen, dass man dessen Angst sehr gut verstehen könne. Bei Angst gilt es vielmehr Sicherheit auszustrahlen, sich nicht empathisch zu zeigen und die Überzeugung zu vermitteln, dass nichts passieren kann. Bei Angst vor Scheitern gilt es, konkret Zuversicht zu vermitteln und die Angst des Mitarbeiters nicht zu teilen. Im Gegenteil, man darf sich eher erstaunt zeigen und den Zusammenhang von Selbstwirksamkeit des Mitarbeiters und erwünschten Effekt vermitteln.
Bei Wut hingegen, etwa darüber, dass der Veränderungsprozess einfach nicht vorangeht und alles immer schwieriger zu werden scheint, gilt es zunächst zuzuhören und dann gemeinsam zu überlegen, wo tatkräftig agiert werden kann, um doch noch voranzukommen. Damit wird die in der Wut gegebene Ausdauer aktiviert. Auch bei Freude und Vergnügen gilt es, sich zunächst einfach mitzufreuen. Teilweise kann es aber auch darum gehen falsche Freude zu bekämpfen, bzw. umzulenken. Zum Beispiel die Freude an Tätigkeiten, die eigentlich gar nicht mehr erwünscht sind, weil sie zur alten Welt gehören. Hier gilt es ein klares Feedback zu geben. Dazu gehört auch in mancher Hinsicht Spielverderber zu sein. Führungskräfte müssen also alle vier Grundemotionen kennen und jeweils spezifische Interventionen beherrschen.
Einige weitere Beispiele sollen dies verdeutlichen:
Vergnügen
Bei Vergnügen, das in die falsche Richtung geht, muss Klartext gesprochen werden, basierend auf eine wertschätzende Grundbeziehung. Beispiel: Ein Handelsunternehmen steht vor einer neuen Ausrichtung. Es gilt, im Zuge der Digitalisierung, völlig neue Wege zu gehen. Ein junger, besonders leistungsfähiger Mitarbeiter entwickelt dafür ein Konzept. Das sehr harmonieorientierte Managementteam möchte den Leistungsträger durch diese Aufgabe noch stärker an das Unternehmen binden und motivieren. Schritt für Schritt zeigt sich aber, dass dessen Ideen aber viel zu kostenintensiv sind. Wird hier nicht aktiv gegengesteuert, läuft der Mitarbeiter in die völlig falsche Richtung. Eine harte Landung und ein hohes Maß an Ernüchterung werden die Folge sein. Es gilt deshalb, frühzeitig zu intervenieren und mit dem Mitarbeiter gemeinsam überlegen, welche Vorgehensweisen für das Unternehmen passend sind. Auch wenn dies kurzfristig die Freude trübt, so sind doch langfristig der Erfolg und damit auch Freude und Selbstwert gesichert.
Schmerz
Bei Schmerz ist wie gesagt ein hohes Maß an Empathie gefragt. Zunächst ist es wichtig, dass die Unternehmenskultur es zulässt, dass der Schmerz als berechtigte Emotion wahrgenommen wird. Schmerz kann nicht durch vorschnelle sachliche Nutzungsargumente aus der Welt geschaffen werden. Schmerz ist ein Muster, das nicht bagatellisiert und argumentativ behandelt werden kann. Wenn beispielsweise in einem Unternehmen des Öffentlichen Dienstes im Sanierungsprozess Mitarbeiter starke Einschnitte hinnehmen müssen und die Mitarbeiter aber genau wissen, dass ihnen letztlich aufgrund des ausgeprägten Kündigungsstutzes nicht viel passieren kann, dann wird sich der Veränderungsprozess wahrscheinlich in einem deutlich erhöhten Krankenstand entladen. Resignation und Traurigkeit (Abschiedsschmerz) sind aber letztlich die Ursache für den erhöhten Krankenstand. Empathie ist gefragt.
Führungskräfte müssen ihren Mitarbeitern Zeit geben, den Veränderungsprozess auch zu betrauern. Sie sollten bestätigen, dass der Prozess für alle beteiligten schwierig ist und dass es in der Tat auch zu Härten und Ungerechtigkeit kommen kann. Nach einiger Zeit kann es sinnvoll sein, die Gedanken der Mitarbeitenden umzulenken und darauf hinzuweisen, dass es besser ist, bestimmte Dinge einfach abzuhaken und hinter sich zu lassen. Hier muss die Führungskraft jedoch das Gespür haben, wann dieses Argument kommen kann. Die Energie kann nach einiger Zeit somit oft vom ob des Veränderungsprozesses zum wie gedreht werden.
Wut
Bei Wut greifen Kanalisierung oder Funktionalisierung. Eine energievolle Aktivität des Mitarbeiters sollte zunächst gewürdigt werden. Es gilt, die in der Wut steckende Energie und Bereitschaft zum Handeln umzulenken. Hier gilt es, die Mitarbeiter darin zu unterstützen, dass sie ihre Selbstwirksamkeit erleben. Es ist ihnen aufzuzeigen, was sie tun müssen, um selbst vor der Insolvenz bewahrt zu bleiben. Dies muss auf sehr konkret kooperativem Wege geschehen, etwa zum Beispiel bei der Bearbeitung von Reklamationen. Bei der Vermittlung muss die Führungskraft ausgesprochen sicher und zuversichtlich auftreten. Damit wird die emotionale Dynamik gebremst. Selbstverständlich darf die Führungskraft Fragen stellen, um die Sorgen der Mitarbeiter besser zu verstehen und Lösungen mit den Mitarbeitenden gemeinsam zu entwickeln.
Fazit
Im Zuge von Veränderungsprozessen sind Emotionen unvermeidlich. Jede Emotion (Vergnügen, Schmerz, Angst, Wut) erfordert ihre spezifische Antwort. Führungskräfte sollten kompetent sein, diese Emotionen wahrzunehmen und präzise darauf zu reagieren. Insbesondere bei Widerständen sind somit weniger die Argumente ausschlaggebend als vielmehr die passende Reaktionsweise. So ist etwa bei Angst der Appell an die Vernunft völlig wirkungslos und im Gegenteil kontraproduktiv. Bei Wut erzeugt das Angebot von Vergnügen sogar Ekel. Bei Schmerz helfen Rationalisierungen oder Versachlichungen überhaupt nicht, im Gegenteil, die fehlende Resonanz führt zu einem Verlust von Vertrauen und Beziehung. Vergnügen hingegen ist stets von innen heraus zu sehen und nicht von außen zu erzeugen. Erfolgsreiche Veränderungen zeichnen sich somit dadurch aus, dass es gelingt, das Vergnügen beim gewünschten Verhalten zu erhöhen. Umgekehrt gilt es, das mit dem unerwünschten oder zu veränderten Verhalten assoziierte Vergnügen einzuschränken. Wenn dies nicht gelingt, suchen Mitarbeiter das Vergnügen eben in einem anderen Bereich. Folge, die Energie für die Kernaufgabe, sinkt.
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