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Gegenkultur – Entdigitalisierungsbewegungen nehmen Fahrt auf

Der Digitalisierung kritisch bis ablehnend gegenüber zu stehen ist so alt wie die Digitalisierung selbst. Doch wo es sich in früheren Jahren nur um einzelne Personen und kleine Gruppen handelte, lässt sich mittlerweile von einem unübersehbar starken Trend sprechen.

adobe.stock / Mirko Vitali

“Designed to be used as little as possible” – gemacht, um so wenig wie möglich benutzt zu werden. Hinter diesem Satz verbirgt sich nicht etwa Werbung für einen besonders gründlichen Saugroboter oder ein ungemein umweltschonendes Auto. Nein, es ist das Werbeversprechen des Light Phone.

Ein mittlerweile in zweiter Generation erhältliches Handy, das für sich in Anspruch nimmt, die Antithese zu allem zu sein, was wir mit Smartphones verbinden – mit E-Ink-Screen und einem Funktionsumfang, der sich auf Telefonie, SMS, Musikspieler, Wecker und Taschenrechner beschränkt, nachdem das erste Modell sogar nur telefonieren konnte.

Es wäre leicht, ein derartiges Gerät als vernachlässigbare Randerscheinung der Digitalisierung zu sehen. Allerdings ginge dies an der Realität vorbei. Das zweite Light Phone erreichte nicht nur einfach sein Finanzierungsziel bei Indiegogo, sondern es wurde deutlich mehr als das Doppelte der anvisierten 1,5 Millionen Dollar eingenommen.

Trotz des Preises von 350 Dollar, für den es auch ein mehr als gut ausgestattetes Mittelklasse-Smartphone gibt, wurden binnen kurzer Zeit mehrere zehntausend Einheiten verkauft – mehr als passabel für ein Unternehmen, das nach wie vor ein kleines Startup ist.

Ein Einzelfall, weil das Gerät so unkonventionell aus dem randlosen Einheitsbrei der Smartphones herausragt? Nein, denn das Light Phone zeigt vor allem, wie weit sich die für viele Jahre tatsächlich vernachlässigbare Gegenkultur der Entdigitalisierung längst entwickelt hat.  Dafür gibt es ebenso mehrere Gründe wie Ausprägungen.

  1. Entdigitalisierung: Ein Überblic

adobe.stock / Photocreatif

Was bedeutet Entdigitalisierung? Vor allem bedeutet es nicht, grundsätzlich jeder Form von Digitalisierung ablehnend gegenüber zu stehen. Es umfasst auch nicht Trends wie Digital Detox, bei denen es doch allzu oft nur darum geht, sich darauf zu freuen, seine digitalen Lebensinhalte nach einer selbstauferlegten Zwangspause wieder wie gehabt zu nutzen.

Nein, Entdigitalisierung bzw. Reanalogisierung ist ein Trend, der sich 1:1 mit dem gestiegenen Bewusstsein für regionale und saisonale Lebensmittel, für Bio-Produkte und Ähnliches vergleichen lässt. Kein maximaler Verzicht, sondern eine bewusstere Nutzung. Digitalisierung ja, unhinterfragtes Verlagern sämtlicher Lebensinhalte in den digitalen Raum nein.

Damit lässt sich die Entdigitalisierung auch deutlich von echter Digitalisierungsgegnerschaft abgrenzen. Dieser Lebensstil hat tatsächlich möglichst wenige digitale Inhalte zum Ziel – und verursacht dementsprechend auch viele Schwierigkeiten im Alltag.

Um abermals das Beispiel mit der Ernährung heranzuziehen, wären folgende Erklärungsansätze möglich:

  • Entdigitalisierung/Reanalogisierung entspricht einem normalen Supermarktkunden, der sich nur wenig in seiner generellen Nutzung einschränkt, aber bei jedem Produkt auf die Herkunft achtet, auf Abwesenheit von Geschmacksverstärkern, auf biologisch-kontrollierte Herstellungsbedingungen und dergleichen und der deshalb an manchen Stellen Verzicht übt.
  • Digitalisierungsgegnerschaft wäre hingegen mit einem Verbraucher vergleichbar, der keinerlei Convenience-Food kauft, auf sämtliche tierischen Inhaltsstoffe verzichtet, kategorisch keine an das Original erinnernden Ersatzprodukte erwirbt und möglichst vieles zuhause selbst anbaut. Also eine Person, die ein sehr konsequentes, aber dadurch stark reduziertes Konsumverhalten an den Tag legt.

Natürlich gibt es nicht „den“ Reanalogisierenden. Auch diese Szene ist enorm heterogen. Allen Involvierten ist jedoch gemein, dass sie Digitaltechniken insgesamt kritischer sehen und entsprechend handeln.

Entdigitalisierung: Die Gründe dahinter

Ein Trend mit Ansage

Digitalisierung hat unbestreitbare Vorteile ins Feld zu führen. Allerdings kann Digitalisierung auch nicht verhehlen, es an vielen Punkten übertrieben zu haben. In diesem Sinne ist Reanalogisierung nur eine Reaktion auf vieles, was in den jüngsten Jahrzehnten geschah. Eine Reaktion darauf, dass beispielsweise…

  • …normale Menschen je nach Altersklasse bis zu 257 Minuten (4,28 Stunden) täglich das Internet nutzen (im Schnitt, wohlgemerkt), wodurch viele andere Tätigkeiten brachliegen;
  • …viele analoge Einkaufsmöglichkeiten unter dem Druck des E-Commerce die Segel streichen mussten;
  • …soziale Netzwerke von digitalen Treffpunkten zu Verursachern von Einsamkeit und zum Quell von Hass und Hetze geworden sind;
  • …Berufe sich immer stärker digitalisieren, sodass die Nutzung der dahinterstehenden Techniken für sehr viele Arbeitnehmer nicht mehr optional ist wodurch der Wunsch entsteht, zumindest in der Freizeit die Wahlfreiheit zu haben;
  • …die Entwicklungszyklen digitaler Hardware (speziell Smartphones) weiterhin rasant sind, obwohl die Leistungszuwächse vielen Verbrauchern keinen echten Mehrwert bieten, stattdessen jedoch für steigende Mengen E-Waste sorgen;
  • …Digitale Kommunikation zu vielfältig und allgegenwärtig geworden ist, sodass ein Gefühl entsteht, der dauernden Erreichbarkeit kaum entrinnen zu können;
  • …Digitaltechnik immer häufiger missbräuchlich genutzt wird. Sei es zur Überwachung, aber auch als Weg und Einfallstor von Kriminellen;
  • …die Welt immer stärker von einigen wenigen Tech-Giganten beherrscht wird, deren Macht so groß ist, wie noch nie zuvor in der Geschichte der Industrialisierung.
  • …die gesamte Branche immer wieder von Skandalen erschüttert wird – etwa die Aufdeckung, dass bei vielen digitalen Assistenten Menschen mithörten.
  • …sich Digitaltechnik in vielerlei Hinsicht vom positiven Helfer zu einem Zwang entwickelt hat, der vielfach keine Alternative mehr zulässt.

Typische Anhänger der Entdigitalisierung möchten kein gänzlich durchdigitalisiertes Smart Home; möchten nicht alles im Netz bestellen, dauernd das neueste Handy besitzen oder zwischen Autoversicherung und Zwischenmenschlichem alles nur noch auf digitalem Weg erledigen.

Solche Menschen erkennen zwar den Nutzen der Digitalisierung, aber sie prüfen bei allem, ob sie ihnen persönlich tatsächlich nützt oder ob es sich nur um eine Digitalisierung um der Digitalisierung Willen handelt. Und sie hinterfragen das branchenübliche, grundsätzlich positive Versprechen der Digitalisierung äußerst kritisch.

Berechtigte Sorgen vor zu großer Transparenz

Wohl jeder Leser dürfte zumindest schon einmal davon gelesen haben: Jemand unterhält sich über irgendein konkretes Thema. Kurz darauf wird in Apps und im Browser zum Gesprächsthema passende Werbung gezeigt. Stichhaltige Beweise, dass es sich dabei nicht nur um Zufälle handelt, gibt es zwar nicht. Aber allein die Häufigkeit derartiger Zufälle sowie verdächtige Indizien lassen von einer durchaus berechtigten Sorge sprechen.

Hier zeigt sich, dass Digitaltechnik längst für die meisten Verbraucher zu kompliziert geworden ist, als dass sie sie noch völlig (oder auch nur ansatzweise) verstehen könnten. Zumal viele Unternehmen nicht eben dazu beitragen, für mehr Offenheit zu sorgen.

  • Wem gehören eigentlich die Fotos, die man in sein Social-Media-Profil hochlädt?
  • Warum genau warnen Datenschützer vor Cookies?
  • Welche Rechte hat man, wenn das eigene Smartphone entwendet wurde und somit plötzlich das gesamte Leben in den Händen eines Kriminellen liegt?

Viele Menschen wissen darauf keine Antworten, manche stellen sich die Fragen auch erst gar nicht. Viele Anhänger der Entdigitalisierung zeigen jedoch, dass sie zu einem bewusst agierenden, kritischeren Klientel gehören. Sie nehmen sich die Zeit, sich einzulesen. Mit diesem Wissen befinden sie anschließend, dass sie eine Technik oder einen Dienst zumindest nicht wie üblich nutzen möchten.

Mehr Kontrolle über das eigene Leben

Wer im Netz etwas erwirbt, muss darauf vertrauen, dass der Händler mit den Zahlungsinformationen sorgfältig umgeht und liefert. Wer einer Dating-Plattform intimste Details seines Liebeslebens anvertraut, muss darauf vertrauen, dass die Plattform diese sicher verwahrt. Und wer sich im urbanen Raum bewegt, muss darauf vertrauen können, dass die zahllosen Aufnahmen, die Überwachungskameras dort von ihm machen, nicht zur Anlegung von Bewegungsprofilen dienen.

Das Problem hierbei ist: Immer mehr Menschen glauben, dass sie dieses Vertrauen nicht mehr haben können; dass immer stärker die Kontrolle über die eigenen Daten entgleitet. Dabei handelt es sich beileibe nicht nur um Bauchgefühle. Im Gegenteil, auch hier ist die Sorge durchaus berechtigt.

Als vielleicht bestes Beispiel dafür taugt die zunehmende Kameraüberwachung des öffentlichen (urbanen) Raumes. Auch dahinter steckt ein äußerst ambivalentes Verhältnis. Denn einerseits bedeuten mehr Kameras zwar mehr Sicherheit und Aufklärbarkeit, dies bejahen auch Digitalisierungskritiker; andererseits jedoch stehen die Kameramassen für eine wahllose Erfassung aller, die sich hier aufhalten – wozu eine oftmals als intransparent empfundene Weiternutzung kommt: Wer die Aufnahmen betrachten darf, wofür sie genutzt werden dürfen (und tatsächlich genutzt werden), entzieht sich vielfach der Kenntnis des Einzelnen.

In der Folge ist in der Diskussion darum immer stärker zu erkennen, dass für viele Menschen der Scheitelpunkt erreicht ist. Dass sie also empfinden, dass noch mehr Kameras, eine noch stärker digitalisierte Auswertung der Bilder kein Sicherheitsplus mehr bringt, sondern individuelle Freiheit und das Recht auf Anonymisierung immer stärker leiden.

Diese Kritik zieht sich auch in viele andere Bereiche:

  • Wie die sozialen Netze welche Daten welchem Werbetreibenden zugänglich machen ist oft bestenfalls nebulös und kann vom Nutzer vielfach nur unter Schwierigkeiten eingesehen und eingestellt
  • Wie Auskunfteien nicht nur an die Daten von einem Großteil der Bevölkerung gelangen, sondern auch, wie sie ihre Bewertung der Kreditwürdigkeit durchführen, darüber liegt sogar ein weitgehend intransparenter Deckmantel der Geschäftsgeheimnisse.
  • Warum so viele Apps enorm weitreichende Rechte einfordern, erschließt sich angesichts ihres Funktionsumfanges kaum noch – warum möchte beispielsweise die App eines Nachrichtenmagazins den Inhalt der SD-Karte auslesen können?

Die allermeisten Anhänger der Entdigitalisierung sind nicht mehr bereit, derartiges hinzunehmen. Angesichts der dahinterstehenden Gründe handelt es sich dabei auch nicht um eine blindwütige Gegnerschaft, keine moderne Form von Luddismus und auch nicht um haltlose Verschwörungstheorien.

Es ist letzten Endes eine Reaktion darauf, dass die Digitalisierung immer größer, immer übermächtiger, immer intransparenter wird, als eine steigende Zahl von Menschen bereit oder fähig ist, ihr zu folgen.

Damit wird das Thema auch zu etwas, welches sowohl für Konzerne für Regierungen immer unüberhörbarer wird: Was nützt eine beständig in allen Bereichen fortschreitende und sich multiplizierende Digitalisierung, wenn gleichsam immer weniger Menschen bereit sind, dieser wie gehabt zu folgen?

Entdigitalisierung: Ausprägungen eines Trends

Was diesen ständig wachsenden Trend befeuert, wurde damit beleuchtet. Aber wie prägt der Trend sich aus? Welche Merkmale gibt es? Allein diesen beiden Fragen könnten sich ganze Werke widmen. Wir zeigen deshalb beispielhaft vier besonders sichtbare Ausprägungen.

DeGoogling

Wer diesen Artikel liest, tut es mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einem Produkt mit iOS oder Android. Zwei digitale Systeme, hinter denen vielkritisierte Big-Tech-Unternehmen stehen.

Doch während es sich bei Apple um einen vom User kaum beeinflussbares digitales Ökosystem handelt, ist Android de facto immer noch ein offenes Konzept. Anders formuliert: Es ist durchaus möglich, jene Bausteine zu ersetzen, die genuin zu Google und/oder zum Handyhersteller gehören und damit allem, was diesen Konzernen attestiert wird.

Hier lautet das Schlagwort DeGoogling, also ein „Entgoogeln“ seiner Mobilgeräte. Möglichkeiten gibt es dazu viele. Als Basis wählen viele den Weg eines alternativen Betriebssystems, hier steht vor allem das quelloffene Betriebssystem LineageOS an der Spitze der Verbreitung.

Allerdings ist LineageOS nur ein erster Schritt – das System wird von vielen dennoch mit Programmen wie Google Play Services bzw. darauf angewiesenen Apps betrieben, wodurch sich die Abhängigkeit nur verringert. Allerdings haben sich auch hier bereits Alternativen entwickelt, die immer stärker nachgefragt werden. Dafür steht das project microG, welches es auch als Zusammenarbeit mit LineageOS gibt. Hierbei wird eine Möglichkeit geschaffen, Apps zu nutzen, die auf das Google-Ökosystem angewiesen sind, ohne jedoch dieses Ökosystem zu installieren.

Noch weiter geht das Projekt /e/, welches auf LineageOS mit microG basiert, sich darüber hinaus jedoch primär auf quelloffene Apps stützt. Jüngst gelang der dahinterstehenden Foundation sogar ein großer Erfolg, indem sie eine Zusammenarbeit mit einer weiteren Ausprägung des Trends zur Entdigitalisierung einfädelte: FairPhone.

Alternative Handys

adobe.stock / ascannio

Das im Eingangstext genannte Light Phone 2 ist ein ziemlicher Erfolg. Allerdings geht sein integraler Minimalismus vielen Nutzern zu weit – wie gesagt: vielen geht es um eine bewusstere Nutzung, nicht darum, maximalen Verzicht zu üben.

Hier zeigen sich aktuell jedoch zwei andere interessante Trends:

  • Der gigantische Erfolg des „halb-smarten“ Betriebssystems KaiOS, auf dem beispielsweise die meisten aktuellen Nokia-Handys basieren und welches das drittgrößte mobile Betriebssystem der Welt ist. Dabei handelt es sich um ein im Funktionsumfang stark reduziertes mobiles Betriebssystem, das jedoch deutlich weniger Ressourcen verbraucht. Dies ermöglicht sehr günstige und sparsame Handys.
    Der große Erfolg auch hierzulande basiert darauf, dass KaiOS mittlerweile unter anderem auch WhatsApp und somit einen der beliebtesten Messenger überhaupt unterstützt – für viele Menschen ist der gefühlte Zwang zur Nutzung von Messengern der einzige Grund, warum sie überhaupt auf Smartphones setzen.
  • Das Aufkommen alternativer (vollwertiger) Smartphones. Allen voran das FairPhone sowie das ShiftPhone. Beides sind Smartphones, die sich als nachhaltig begreifen – und dazu auf Modulbauweisen basieren, wodurch sich eine stark vereinfachte Reparierbarkeit ergibt. Beide Hersteller möchten, dass ihre Geräte so lange wie möglich genutzt werden, werben auch aktiv damit.
    Hinzu kommt ein starker Fokus auf Recycling. Beim aktuellen FairPhone 3+ beispielsweise bestehen 40 Prozent der Hülle aus recyceltem Kunststoff, beide Hersteller sorgen zudem für ethisch korrekte Herstellungsbedingungen, nehmen die Handys am Lebensende zurück – und ermuntern auch dazu, alternative Betriebssysteme zu nutzen: Dafür steht auch die Partnerschaft zwischen FairPhone und /e/, wodurch Käufer die Wahl haben, ein mit (Stock-)Android ausgestattetes FP3+ zu erwerben oder eines, bei dem stattdessen /e/ installiert ist.

Beide Trends nehmen derzeit stark an Fahrt auf; die Zahlen der KaiOS-Handys hierzulande wird immer größer und die alternativen Smartphones werden hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit immer weniger ein Kompromiss zu Geräten großer Hersteller.

Abkehr von sozialen Netzen

Soziale Netzwerke entwickelten sich binnen weniger Jahre zum Must-Have für einen Großteil der Erdbevölkerung. Doch schon vor einigen Jahren begann eine Stagnation. Zunächst wendeten sich immer mehr Menschen von Facebook ab, dann auch weitere Nutzer und auch von anderen Anbietern.

Einen Bruch in diesem Abwärtstrend stellte nur das Coronavirus dar, wodurch die Netze neuerdings wieder einen Bedeutungsschub erlebten, um physischen Kontaktmangel zu ersetzen. Langfristig jedoch haben die Dienste nach Ansicht vieler Experten ein Problem – nicht nur wegen ihrer vielkritisierten Intransparenz, sondern auch, weil sie sowohl zu wenig gegen Hass und Hetze tun wie sich nach Ansicht anderer zu sehr in demokratische Prozesse einmischen

Beides war nicht zuletzt im Umfeld der US-Wahl 2020 zu sehen: Das eine Lager warf den Netzwerken vor, Plattform für Hass und Lügen zu sein, während die andere Seite ihnen attestierte, sich durch Markierung bzw. Zensierung von Beiträgen in demokratische Prozesse einzumischen.

Rückkehr zu klassischen Nachrichtenmedien

Dass die Digitalisierung klassischen Medien einen schmerzhaften Wandlungsprozess aufzwang, ist bekannt. Allerdings sorgte das, was viele Medien damit anfingen dafür, dass sich ein weiterer Seitenarm der Entdigitalisierung auftat:

Die digitale Natur von Nachrichten sowie die dahinterstehenden Werbemodelle machen es nötig, Meldungen in enorm hoher Schlagzahl zu liefern – nach Ansicht vieler deutlich zulasten der medialen Qualität. Vor allem die Coronakrise machte dies deutlich: Sehr viele Menschen beklagten und beklagen eine digitalmediale Übersättigung durch die hohen Taktzahlen sowie die oft konträr wirkenden Meldungen.

Allerdings ist die Rückkehr zu klassischen Nachrichten kein so aktuelles Phänomen. Zeigen lässt sich dies an der Anzahl der Zuschauer der (linear ausgestrahlten) Tagesschau. Seit 2012 ist hierbei der lange Abwärtstrend seit der Jahrtausendwende bis auf zwei Ausnahmen gestoppt. 2019 sahen im Schnitt 9,8 Millionen Menschen die Sendung. Tatsächlich sorgte Corona nur für eine weitere Steigerung auf rund 11,8 Millionen Zuschauer im Verlauf des Jahres 2020.

Auch dies ist ein Beweis dafür, dass die Entdigitalisierung längst zu etwas sehr Großem geworden ist, dass kein in die Digitalisierung eingebundenes Unternehmen mehr ignorieren kann: Gesamtgesellschaftlich betrachtet ist der Zenit dessen, was viele Menschen als sinnvoll erachten, längst überschritten. Unternehmen sind deshalb gefragt, zu überprüfen, inwieweit sie die bisherigen Modelle von „Hauptsache noch digitaler“ fortsetzen möchten – damit treffen sie immer seltener den Geschmack der Zielgruppe.

Margot Capó

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