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Nur nicht zu komplex

Wenn digitale Champions gesucht werden, dann sind deutsche Unternehmen nur selten ganz vorne dabei. Es zählt zu den Schattenseiten unserer so erfolgsgewohnten Wirtschaft, dass die Risikofreude und Investitionsbereitschaft in Bezug auf digitale Innovationen eher verhalten ausgeprägt ist. Wie die Ergebnisse der jüngsten Bitkom-Studie zeigen, haben nur zehn Prozent der befragten Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren neue digitale Produkte auf den Markt gebracht. Und das könnten in Zukunft sogar noch weniger werden. Denn ein weiterer fataler Befund besagt, dass jedes dritte Unternehmen seine Digitalisierungs-Investitionen im kommenden Jahr zurückfahren will.

Ausgerechnet hier sparen zu wollen, kann jedoch teuer werden, weil diese Zurückhaltung der Wettbewerbsfähigkeit nicht gerade zuträglich ist. Die Gründe für die anstehende Digital-Defensive klingen auf den ersten Blick plausibel: Pandemie, Krieg, Inflation, Lieferketten, Energiekrise. Alles zusammen ein brisanter Mix von Problemen und Auslöser für Zukunftsängste. Gleichzeitig sehen paradoxerweise jedoch zwei Drittel der Unternehmen digitale Geschäftsmodelle als Voraussetzung für den zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg. Also doch digital?

Vielleicht liegt der Widerspruch ja in der enormen Bandbreite digitaler Ansätze. In der Praxis erleben wir immer wieder große Visionen, die in überdimensionierte und damit zwangsläufig überteuerte Projekte münden. Deren Erfolgsaussichten sind vergleichsweise gering, vernichten aber oft gut gefüllte Budgettöpfe. Dieses Prinzip scheitert am immer gleichen Muster: zu hohe Ansprüche, zu viele Player, zu viele Planer, zu wenig Macher – und viel zu komplex.

Gerade in Zeiten sinkender Digital-Budgets und latenter Unsicherheit, ist es wichtig, einen schrittweisen Transformationsplan zu entwerfen: überschaubare Vision, konkrete Projekte, beherrschbare Komplexität, geringes Risiko, verschmerzbare Budgets, schnelle Erfolgserlebnisse, messbare Fortschritte. Diese sukzessiv ausgelegte Digitalisierungs-Strategie richtet die Aufmerksamkeit und die organisatorischen Ressourcen zunächst auf die „Quick Wins“. Das sind Bereiche mit relativ geringer Komplexität, aber hoher Wertigkeit.

Die Projektarbeit in diesen Bereichen unterscheidet sich in Bezug auf Umfang, Personal und Transformationsmaßnahmen erheblich von der in Bereichen mit hoher Komplexität. In diesem Fall werden sich die Investitionen in die Digitalisierung wahrscheinlich schneller auszahlen. Dabei ist es wichtig, dass Unternehmen sich auf einen zentralisierten Ansatz für die Entscheidungsfindung, Steuerung und Überwachung konzentrieren, um Risiken zu reduzieren. Neben finanziellen Erwägungen haben Quick Wins auch einen wichtigen psychologischen Effekt.

Erfolgreiche Pilotprojekte in der Anfangsphase sind Orientierungshilfe, die einen schlanken Ansatz für das Transformationsmanagement ermöglichen, der angepasst und verbessert werden kann. Ein typisches Beispiel für Quick Wins ist die Prozessoptimierung zur Automatisierung repetitiver Arbeit. Hier lohnt sich die Digitalisierung besonders und zeigt schnell positive Ergebnisse. Sie hilft, die Arbeit schneller zu erledigen, die Effizienz zu steigern und knappe Ressourcen freizusetzen. Andere Kandidaten für Quick Wins sind die digital gestützte Entscheidungsoptimierung oder die Digitalisierung von Kundenkontakten. Das verbreitert die Erfahrungsbasis und bindet mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein, ohne dass ein teurer Projekt-Overhead mit bremsendem internem Abstimmungsaufwand entsteht.

Solche gezielt an überschaubaren Problemen oder Optimierungskandidaten ansetzenden Digitalisierungs-Maßnahmen haben, sofern sie gut gemacht sind, gleich mehrere positive Konsequenzen: Sie verbessern spürbar die operative Effizienz, steigern die Kundenzufriedenheit und machen sich entlastend in der Kostenbilanz bemerkbar. Darüber hinaus hilft es Unternehmen, Talente zu halten. Unternehmen können sich auf die Weiterbildung und das Reskilling von Mitarbeitern für die neuen Möglichkeiten konzentrieren, die digitale Projekte mit sich bringen. Es muss also nicht gleich die groß angelegte Komplettdigitalisierung ganzer Geschäftsmodelle sein. Wer die Zukunft bauen will, fängt am besten mit kleinen Schritten an.

ZDNet.de Redaktion

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