SAP erlebt eine Transformation der zwei Geschwindigkeiten: Während reine Cloud-Angebote wie die Handelsplattform Ariba das Geschäft der Walldorfer stark treiben, bleibt die Migration klassischer ERP-Anwendungen deutlich dahinter zurück. Doch was genau hält die Kunden davon ab, auch das Prozess-Backbone in die Cloud zu heben?
Die überragende Bedeutung von Cloud-First steht für die meisten CIOs außer Frage. Doch während Unternehmen in den USA oder Asien die Strategie konsequent umsetzen, läuft der Prozess in Europa wesentlich langsamer. Gerade auch Enterprise Resource Planning (ERP) ist dann ein Thema, das auf den Priolisten vieler Cloud-Manager eher unten steht. Dies betrifft vor allem jene Lösungen, die das Kerngeschäft der Unternehmen abbilden und eine entsprechend lange Entwicklungshistorie hinter sich haben. Hier tut sich die Mehrzahl der Unternehmen schwer damit, genug Mehrwerte zu erkennen, die den raschen Umzug in die Cloud rechtfertigen würden.
Doch wie erklärt sich die Zurückhaltung? An einem Mangel an belastbaren Nutzenversprechen kann es nicht liegen. Aus Platzgründen seien hier nur fünf genannt:
Wie kann es sein, dass all diese Argumente im Bereich der betrieblichen Standardsoftware nicht verfangen? Beziehungsweise allenfalls dann verfangen, wenn wir über Commodity-Lösungen sprechen?
Mangel an ökonomischen Anreizen
Mehr denn je gründet sich die Entscheidung für oder gegen die Cloud zuallererst auf rein wirtschaftlichen Erwägungen. Die sich eintrübende Weltkonjunktur zwingt die Unternehmen dazu, die Kosten-Nutzen-Analysen möglicher Migrationsprojekte ins Zentrum der Entscheidungsfindung zu stellen. Viele ERP-Vorhaben haben dann keine allzu guten Karten – vor allem wenn es sich um Anwendungen handelt, die eine Vielzahl unternehmensspezifischer Anpassungen bekommen haben und innerhalb der IT-Landschaft stark vernetzt sind. Eine Cloud-Migration gerät dann schnell zum Großprojekt, bei dem Entwickler und Analysten zusammengezogen werden müssen, die hochspezifische Fähigkeiten mitbringen müssen.
Die Planung einer solchen IaaS-Migration dauert im Schnitt acht bis neun Monate, ihre Durchführung gut 17 Monate. Es gibt zwar eine ganze Reihe von Migrationstools und
-services. Doch nur etwa die Hälfte der Unternehmen hält die verfügbare Unterstützung für effektiv genug. Die übrigen wünschen sich mehr und vor allem auch bessere Hilfe. Insbesondere sind profundes Erfahrungswissen in der Ausgestaltung von Kundenprozessen sowie Know-how in SAPs proprietärer Programmiersprache Abap gefragt. Unweigerlich führt dieser Anforderungsmix zu Honorarkosten, die zu den höchsten im Markt zählen. Insbesondere bei Legacy-Landschaften, die mittelfristig vor der Ablösung stehen, muss die Investition daher gut überlegt sein.
Mit schöner Regelmäßigkeit zeigen Machbarkeitskonzepte dann allerdings auf, dass die finanziellen Ersparnisse des Cloud-Betriebs nicht groß genug sind, um die Kosten in absehbarer Zeit wieder hereinzuholen. Der Grund dafür liegt in der Natur der Anwendungen: Die wichtigste Aufgabe einer Business-Software wie SAP ECC oder S/4HANA liegt nun einmal darin, die Wertschöpfungsprozesse der Unternehmen stabil abzubilden. Die meisten dieser Abläufe arbeiten jedoch rund um die Uhr – mit festen Userzahlen und einem entsprechend gleichmäßigen Transaktionsaufkommen. Vor diesem Hintergrund unterliegt der Bedarf an produktiven Rechen-, Speicher- und Netzwerkressourcen eher geringen Schwankungen. Entsprechend gering ist die Notwendigkeit, große Mengen an IT-Leistungen in kürzester Zeit flexibel zubuchen oder abbestellen zu können.
In der Domäne der Business-Software läuft das ökonomische Nutzenversprechen des Cloud Computing damit weitgehend ins Leere. Es fehlt an der erforderlichen Volatilität, um die Flexibilität der Cloud wirklich ausschöpfen zu können. Der Knackpunkt besteht nun allerdings darin, dass Cloud-Kunden für die Flexibilitätszusicherung trotzdem einen Grundpreis zahlen. Im Echtbetrieb müssen viele dann feststellen, dass die Schwankungen ihres Ressourcenbedarfs nicht groß genug sind, um die Preisvorteile des Cloud-Betriebs ausreichend nutzen zu können.
Weitere Risiken
Oft genug geht der Schuss sogar noch nach hinten los und die Gesamtkosten steigen im Vergleich zur Situation vor der Cloud-Umstellung. Doch damit nicht genug. Zusätzliche Kostenrisiken entstehen, wenn der Cloud-Betrieb dazu führt, dass Synergien übersehen werden. Vor allem in größeren Unternehmen ergibt sich immer wieder die Gefahr, dass einzelne Business Units unabhängig voneinander handeln und ihre Anwendungen im Alleingang in die Cloud schieben. Gerade in der Private Cloud ist der Anreiz zu einem solchen Handeln groß, da der Umzug der Applikationen vergleichsweise leicht erscheint. Dass aber auch dieser Komfort seinen Preis hat, realisieren viele dann erst im Nachhinein. Denn wenn ähnliche Aufträge nicht mehr stark genug gebündelt werden, resultiert dies in Losgrößen, die zu klein sind, um von den Rabattstaffeln der Cloud-Anbieter in ausreichendem Maße profitieren zu können.
Zusätzliche Risiken ergeben sich in der Providersteuerung und im Controlling. Viele haben das Gefühl, durch die Auslagerung insbesondere in die Public Cloud Kontrolle über die IT-Umgebungen zu verlieren und regulatorische Vorschriften durch IaaS-Anbieter nicht konsequent genug umgesetzt zu haben. Hier sind hoch dotierte Experten gefragt, die eine kapazitätsgerechte Cloud-Nutzung überwachen und managen können. Zumal auch das Innovationsmanagement in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Gerade auch im Hinblick auf die Legacy-Anwendungen. Unseren Beobachtungen zufolge wollen drei von vier Unternehmen die nativen Cloud-Funktionen ihrer IaaS-Anbieter nutzen, um neue Funktionen um ihr Kern-SAP-ERP herum aufbauen.
Fazit
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Unsicherheiten in der Weltwirtschaft ist davon auszugehen, dass Wirtschaftlichkeitsüberlegungen die Migration von Business-Software auch weiterhin stark ausbremsen werden. Daher gehören viele ERP-Lösungen auch weiterhin zu den Applikationen, die eher als letzte in die Cloud gehoben werden. Dies gilt insbesondere für den Umzug in die Public Cloud. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Bereitschaft, größere Transformationen mit Nachdruck durchzuführen, nachlässt. Die Notwendigkeit eines umfangreichen Change- und Risikomanagements schreckt viele Unternehmen ab. Auch das Angebot der SAP, mit SAP RISE eine schlanke Vertragsstruktur einzuführen und damit die Migration zu beschleunigen, fällt nur bedingt auf fruchtbaren Boden.
Demgegenüber erweisen sich Private-Cloud-Modelle als prüfenswerte Alternative. Software Defined Data Center (SDDC) mit all ihren Automatisierungsoptionen (allen voran die Virtualisierung des Netzwerk-Layers) gibt es schließlich auch in der Private Cloud. Dass es in der Praxis dann mehrere Tage (und nicht etwa nur wenige Sekunden wie in der Public Cloud) dauert, bis zusätzliche Kapazitäten freigeschaltet werden, stellt im ERP-Umfeld kein wirkliches Problem dar. Zudem ein wichtiger Zusatznutzen der Private Cloud darin liegt, dass sich diese mit Edge-Computing-Konzepten verbinden lässt. Gerade für Produktionsunternehmen wird es damit möglich, auch solche Wertschöpfungsprozesse in die Cloud zu heben, die extrem hohe Latenzanforderungen aufweisen.
Die Mehrzahl der Unternehmen fährt daher mehrgleisig und setzt auf einen wirtschaftlich, technologisch und geografisch passenden Mix aus Private-, Hybrid- und Public-Cloud-Lösungen. Während die Public Cloud dann vor allem bei hochdynamischen Anwendungsszenarien zum Tragen kommt, großen Marketingkampagnen oder leistungshungrigen Engineering-Vorhaben zum Beispiel, gewinnt das Private-Cloud-Hosting bei den klassischen Business-Applikationen an Bedeutung. Zentraler Treiber sind dabei nicht so sehr die Applikationen als vielmehr der Wunsch, den Betrieb der eigenen Rechenzentren auszulagern. Mit jedem auslaufenden Infrastrukturvertrag wächst dann der Anteil der Systems of Record, die in ein Private-Cloud-Hosting übergehen. Im Großkundenbereich betrifft dies bereits ein Fünftel der Anwendungen. Bis zum Jahr 2025 wird sich dieser Wert mindestens verdoppeln. Tendenz: weiter steigend.
Anna Medkouri
verantwortet als Head of EMEA Technology Modernization die Versicherungssparte von ISG in Europa, dem Nahen Osten und Afrika. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Digital- und IT-Strategie, IT-Portfoliomanagement, Anwendungsstrategie und -transformation, Cloud-Einführung sowie Entwicklung von Zielbetriebsmodellen.
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