Eine tragende Rolle als Enabler für Hyperautomatisierung kommt der künstlichen Intelligenz zu. Mit KI lassen sich Aufgaben automatisieren, bei denen dies vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. So ist es beispielweise möglich, Unterschriften einer Person vollautomatisch abzugleichen, was es erlaubt, diese Person mit hoher Wahrscheinlichkeit zu authentifizieren. Solche und ähnliche neue KI-Services ermöglichen es, unterschiedlichste repetitive Tätigkeiten auf allen Unternehmensebenen zu automatisieren.
Chatbots liefern ein weiters Beispiel für KI-gestützte Automatisierung. Nicht selten sind sie heute bereits so gut trainiert, dass es einem mitunter schwerfällt, zu identifizieren, ob es sich bei dem Partner im digitalen Chat um eine echte Person oder doch um einen Robot handelt. Das Prinzip von Hyperautomatisierung ist, dass sie diese technischen Features in einen Businesskontext rückt. So gelingt es ihr, im Rahmen von kundenzentrierten Prozessen Mehrwerte zu schaffen – für interne und externe Kunden eines Unternehmens. Weitere Dynamik erfährt das Thema durch den mittlerweile etablierten Ansatz, über Low- bzw. No-Code-Plattformen die Hürde für die Automatisierung deutlich zu senken.
Der grundsätzliche Business Case
Der Business Case hinter der Automatisierung eines Geschäftsprozesses ist relativ einfach zu berechnen: Das Investment in den Geschäftsprozess muss durch die Einsparungen, die dadurch über die Zeit entstehen, gedeckt sein. Deswegen empfiehlt es sich meist, Prozesse mit hohem Durchsatz zu priorisieren. Dies können beispielsweise Kontoeröffnungen in der Finanzindustrie, Kundenanfragen im Servicebereich oder Prozesse in Feldern wie Datenstrukturierung und Governance sein.
Mitunter können geeignete Softwarelösungen – unter Einsatz von Self-Services mit KI-basiertem Dokumenten-, E-Mail-, Telefonie- und Chat-Routing – einen fast vollständig hyperautomatisierten Geschäftszweig schaffen, zum Beispiel indem basierend auf Prozessdurchsätzen automatisch Werbung geschaltet wird oder Cloud-Ressourcen hinzugebucht oder verringert werden. Nicht zuletzt in Branchen wie Finanzdienstleistung, Hotellerie und Tourismus sowie im öffentlichen Sektor ist das Nutzenpotenzial grundsätzlich groß, da Entscheidungen hier nach klaren Regeln und Mustern getroffen werden.
Hyperautomatisierung in der Praxis
Das Nutzenversprechen von Hyperautomatisierung ist in vielen Fällen hoch, aber der Weg zu einer erfolgreichen Einführung ist alles andere als trivial. Marketingtexte der beteiligten Akteure preisen Hyperautomatisierung gern als direkt verfügbares Allheilmittel für ineffiziente Prozesse und gegen die Überlastung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an. In der Praxis wird jedoch schnell klar, dass Unternehmen, die keine digitale DNA mitbringen, vor einer enormen Transformationsaufgabe stünden, bis sie Hyperautomatisierung flächendeckend und wirtschaftlich einsetzen könnten. Oft bietet es sich an, zunächst nur bestimmte Prozesse mit überschaubarem Aufwand weiterzuentwickeln.
Wer ein Hyperautomationsprojekt zum Erfolg führen will, sollte es also sorgfältig auswählen und bei der Umsetzung klar strukturiert vorgehen. Sonst ist die Gefahr zu scheitern erheblich. So konstatiert etwa eine Studie von McKinsey (Driving impact at scale from automation and AI | McKinsey Digital | McKinsey & Company), dass die Verantwortlichen in mehr als der Hälfte ihrer Automatisierungsprojekte mit deren Resultaten nicht zufrieden sind. Dies hat schon damit zu tun, dass die Projekte deutlich länger dauern als zu Beginn geplant.
Dafür gibt es Gründe: Entweder priorisiert die Hyperautomationsstrategie die falschen Geschäftsprozesse, oder die Anforderungen der Fachbereiche haben nicht den Detailgrad, der nötig wäre, um Automatisierungsprojekte anzustoßen. Zudem verlangt Hyperautomatisierung von der Organisation die Bereitschaft, Unternehmensprozesse komplett umzubauen. Auch muss die Datenbasis eines Unternehmens über den Reifegrad verfügen, der für eine auf KI-Analysen gestützte Hyperautomatisierung unabdingbar ist. Herkömmliche Reportingstandards sind da unzureichend.
Das Beispiel Callcenter-Prozess
Eine gute Hyperautomationsstrategie beginnt also damit, zu priorisieren, welche Prozesse relevant sind. In der Regel empfiehlt es sich, zunächst den Backbone des Geschäftsmodells zu bauen. Denn Automatisierung ist dann besonders lohnend, wenn sie Funktionalitäten adressiert, die in zahlreichen Prozessen des Unternehmens wiederverwendet werden. So entsteht der erforderliche Impact auf die Projektziele. Wählen wir Callcenter-Prozesse als Beispiel, wären in deren Umfeld, im Bereich der Telefonie, vor allem das Telefonrouting (IVR) und die stabile Anbindung an den Telefonprovider mögliche Einsatzfelder. Erst im nächsten Schritt wird die Hyperautomationsstrategie dann Services betrachten, die einen höheren Grad an Komplexität aufweisen, stärker fachspezifisch sind und einen signifikanten Impact auf die Projektziele haben.
Um im Callcenter-Beispiel zu bleiben: Hier wäre ein lohnendes nächstes Projekt etwa die KI-gestützte, automatische und eindeutige Identifikation eines Kunden oder einer Kundin bereits anhand der Stimme. Diese automatische Stimmerkennung ermöglicht es, im Folgenden noch weitere Services zu implementieren: beispielsweise die Visualisierung der Kontakthistorie und die KI-gestützte Bestimmung der Next Best Action (NBA). Das Resultat dieser Automatisierung: Die Callcenter-Agenten und -Agentinnen könnten ihre First Resolution Rate steigern. Hyperautomation in diesem Zusammenhang wäre dann die komplette Vermeidung des Anrufs durch proaktives Anbieten von Self-Services mithilfe von Mustererkennung oder eben eine komplett automatisierte Next Best Action mit entsprechendem Abschluss.
Anforderungen an die digitale Reife
Nicht nur eine falsche Priorisierung kann sich als Show-Stopper bei der Hyperautomatisierung von Geschäftsprozessen erweisen, sondern auch die Unkenntnis über die digitalen Reifegrade von Prozessen und Anforderungen. So ist es wichtig, im Detail zu beschreiben, welche Schritte die automatisierte Software bzw. der Roboter sequenziell, parallel oder rekursiv abarbeiten muss. Zur digitalen Reife sind noch etliche weitere Fragen zu stellen: Welche Umsysteme sind an den Prozessen beteiligt, und was ist die Aufgabe der Systeme in den Prozessabschnitten? In welchem Teil des Produktlebenszyklus befindet sich das System, und wird es zukünftig eventuell abgelöst? Welchen Einfluss haben fachliche und technische Anpassungen auf Vorgänger- und Folgeprozesse? Gegebenenfalls ist auch noch wichtig, welche regulatorischen Anforderungen an einen Prozess bestehen.