„Die Bundesregierung muss ihre Digitalpolitik mit sehr viel mehr Nachdruck betreiben, wenn sie ihre selbstgesteckten Ziele vor den nächsten Wahlen noch erreichen will“, diese Zwischenbilanz zieht Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst ein Jahr nach Veröffentlichung der Digitalstrategie der Bundesregierung.
Der Digitalverband Bitkom hat die digitalpolitischen Vorhaben der Bundesregierung analysiert und sieht bei vielen Themen dringenden Handlungsbedarf. So sind nach knapp der Hälfte der aktuellen Legislaturperiode lediglich 38 der insgesamt 334 digitalpolitischen Vorhaben abgeschlossen. Das entspricht einem Anteil von 11 Prozent. 219 Vorhaben (66 Prozent) befinden sich in Umsetzung, 77 Vorhaben und damit knapp jedes vierte (23 Prozent) wurden noch nicht begonnen.
Das zeigt der „Monitor Digitalpolitik“, den Bitkom am heutigen Montag vorgestellt hat und der künftig regelmäßig aktualisiert wird. Der Monitor kann hier abgerufen werden. „Die Bundesregierung hat sich ein ambitioniertes Programm gegeben, kommt allerdings mit der Umsetzung nicht hinterher“, ordnet Wintergerst die Ergebnisse der Untersuchung ein.
Großbaustellen sind aus Sicht von Wintergerst die Digitalisierung der Verwaltungen und der Schulen sowie die Datenpolitik. Große Fortschritte seien hingegen beim Ausbau der Breitband- und Mobilfunknetze gemacht worden und auch bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens käme man inzwischen gut voran.
Für den „Monitor Digitalpolitik“ hat Bitkom zunächst die im Koalitionsvertrag und der Digitalstrategie verteilten digitalpolitischen Vorhaben identifiziert. Insgesamt handelt es sich um 139 Projekte aus der Digitalstrategie, 193 Projekte aus dem Koalitionsvertrag sowie zwei weitere digitalpolitische Vorhaben, die die Bundesregierung nachträglich aufgegriffen hat. Diese in Summe 334 Digitalprojekte wurden den federführenden Ministerien zugeordnet und dann auf ihren Umsetzungsstand hin geprüft.
Was die schiere Anzahl der digitalpolitischen Vorhaben angeht, steht nicht das Digitalministerium vorne. Mit weitem Abstand auf Rang 1 steht das Bundesinnenministerium mit 80 zu erledigenden Digitalprojekten. Es folgt auf Rang 2 das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 57 Projekten, auf Rang 3 steht das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mit 46 Vorhaben und auf Rang 4 das Bundesministerium für Digitales & Verkehr mit 45 Vorhaben.
Am Ende der Rangliste stehen das Bundesverteidigungsministerium mit 6 Projekten und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit keinem einzigen Digitalprojekt. „Die Zuständigkeiten für die Digitalpolitik sind zwischen den Ressorts extrem breit verteilt – auch das zeigt der Bitkom-Monitor. Ob diese breite Streuung von Zuständigkeiten wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, sollte man nochmals überdenken und gegebenenfalls korrigieren.“
Für den „Monitor Digitalpolitik“ wurde neben dem Umsetzungsstand auch die Bedeutung der Vorhaben für die Digitalisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat untersucht und die Vorhaben wurden hinsichtlich ihrer Komplexität eingeordnet.
Wintergerst: „Wir sehen eine extreme Spannbreite von Vorhaben unterschiedlichster Relevanz und Komplexität. Manches ist kaum der Erwähnung wert, andere Projekte sind richtig dicke Bretter, brauchen viele Ressourcen und erfordern umfassende Abstimmungen mit den Bundesländern oder der EU.“
So finden sich im digitalpolitischen Programm der Bundesregierung Kleinstprojekte wie die „Digitalisierung der Flughafenabfertigungsprozesse“ oder eine „Machbarkeitsstudie zum Grundbuch auf der Blockchain“ neben aufwändigen und hochkomplexen Vorhaben wie der Umsetzung des so genannten „Once Only Prinzips“ in der Verwaltung. Mit diesem Prinzip soll sichergestellt werden, dass Bürgerinnen und Bürger Daten künftig an einer Stelle hinterlegen können und nicht bei jedem Verwaltungsprozess erneut angeben müssen – angesichts der zwischen 11.000 Kommunen, 16 Ländern und dem Bund verteilten Aufgaben kein leichtes Unterfangen.
Negativ sticht in der Untersuchung beispielsweise der Digitalpakt 2.0 heraus, ein Projekt mit gleichermaßen hoher Relevanz und Komplexität. Der Digitalpakt 1.0 war 2019 gestartet und läuft bis Mai 2024, um Schulen mit digitaler Technik auszustatten. Kostenpunkt: 6,5 Milliarden Euro. Die Bundesländer fordern eine Fortsetzung unmittelbar nach Ende des Digitalpakts 1.0, um Schulen Planungssicherheit zu geben – viele könnten ihre eingeführten digitalen Formate ohne weitere Finanzierung durch den Bund nicht mehr fortführen.
„Gemeinsam mit den Ländern werden wir einen Digitalpakt 2.0 für Schulen mit einer Laufzeit bis 2030 auf den Weg bringen“, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Gleichwohl ist im Haushaltsentwurf 2024 bislang keine Anschlussfinanzierung für den Digitalpakt 1.0 vorgesehen. Auch gibt es bislang keinen ersichtlichen Ansatz, wie ein Digitalpakt 2.0 überhaupt ausgestaltet sein könnte. Vor diesem Hintergrund sagt Bitkom-Chef Wintergerst: „Inzwischen hinken unsere Schulen Ländern wie Dänemark 20 Jahre hinterher. Der Digitalpakt 2.0 muss deshalb dringend vereinbart und verabschiedet werden. Bildungsinvestitionen sind immer auch Zukunftsinvestitionen. Wenn wir hier weiter untätig bleiben, geht das nicht nur gegen die Interessen und Wünsche der Schülerinnen und Schüler, sondern schadet auch Wirtschaft und Gesellschaft.“
Große Fortschritte mache demgegenüber die Digitalisierung des Gesundheitswesens, so der Verband weiter. Dazu gehöre die flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte. Sie soll laut Digitalstrategie bis 2025 von mindestens 80 Prozent der Versicherten genutzt werden.
Hierfür ist im Referentenentwurf der Digitalisierungsstrategie des Bundesgesundheitsministeriums das so genannte Opt-out vorgesehen, heißt: Die ePA wird für die Versicherten automatisch freigeschaltet, sofern sie nicht widersprechen. Dieses Vorhaben muss aus Bitkom-Sicht jetzt ebenso konsequent ins Ziel gebracht werden wie die bereits angestoßene Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung für digitale Infrastruktur.
Bereits im vergangenen Jahr habe der Ausbau der Mobilfunk- und Breitbandnetze große Fortschritte gemacht und Deutschland stehe im europäischen Vergleich inzwischen auf Rang 4, was die Versorgung mit Telekommunikationsleistungen angeht. Das TK-Netzausbau-Beschleunigungs-Gesetz des Bundes, das Planungs- und Genehmigungsverfahren modernisieren, entbürokratisieren und vor allem digitalisieren soll, geht voraussichtlich noch im Sommer ins Kabinett.
Die Bundesregierung hat sich weiterhin vorgenommen, Deutschland zu einem globalen Standort für die Halbleiterindustrie zu machen. 90 Prozent der Industrieunternehmen sind auf Halbleiter angewiesen. Aber: Deutschland und Europa sind stark abhängig von Halbleiter-Importen. In kaum einem Bereich war die Bundesregierung so aktiv wie hier und hat durch Beihilfen in Milliardenhöhe für private Großinvestitionen in neue Chipfabriken unter anderem in Dresden, Magdeburg und Saarbrücken gesorgt. Darüber hinaus wurde die milliardenschwere Förderung von 31 weiteren Projekten bestätigt, was die Attraktivität und Innovationskraft des Halbleiterstandorts Deutschland weiter stärkt.
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