Die Helm-Sensorik misst die gesundheitsschädlichen Vibrationen der Baumaschinen, die auf den menschlichen Körper treffen. Die Sensorsignale werden analysiert, eine Software zeigt die Belastung für den Menschen an.
Dementsprechend lassen sich entlastende Maßnahmen treffen. Als Sensor dient eine flexible Piezo-Elektret-Folie. Ein Demonstrator für das Projekt »Flexeras« wird auf dem Fraunhofer-Gemeinschaftsstand auf der diesjährigen Hannover Messe präsentiert (Halle 2, Stand B24).
Wer schwere Baumaschinen fährt, ist fast pausenlos heftigen Schwingungen ausgesetzt. Bagger, Radlader oder Planierraupen erzeugen niederfrequente Vibrationen, die sich im Körper des Menschen fortpflanzen und auf Dauer Gesundheitsschäden verursachen können. Dazu zählen beispielsweise Sehstörungen oder Schäden an Wirbelsäule und Gehirn.
Forschende am Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF in Darmstadt haben sich an eine Lösung des Problems gemacht: Ein Schutzhelm mit integriertem Beschleunigungssensor registriert die auf den Körper treffenden Schwingungen und leitet diese über einen Sender an einen externen Rechner weiter. Dort werden sie analysiert und visualisiert.
Auf diese Weise soll sich jederzeit erkennen lassen, wenn Belastungsgrenzen für den Menschen auf dem Fahrersitz erreicht sind. Dementsprechend können Maßnahmen zur Entlastung des Baggerführers oder der Baggerführerin getroffen werden, also etwa eine bessere Dämpfung des Sitzes – oder das rechtzeitige Einlegen einer Pause.
Björn Seipel, Experte für Elektromechanik und Automatisierung am Fraunhofer LBF, sagt dazu: »Die Ganzkörperschwingungen, denen die Führer von Baumaschinen ausgesetzt sind, erreichen im Durchschnitt Beschleunigungswerte von 0,2 m/s² bis 1,5 m/s², Spitzenwerte können deutlich höher liegen. Mit unserer Helm-Sensorik ist es auf einfache Art möglich, die Vibrationsbelastung im täglichen Betrieb exakt zu messen. Auf der Basis lässt sich der Gesundheitsschutz deutlich verbessern.«
Herzstück der Technologie ist ein Piezo-Elektret-Wandler, der als unscheinbare flexible Polypropylen-Folie ausgeführt ist und als Sensor dient. Die Folie ist im Inneren des Helms an der Kopfoberseite in einen Befestigungsriemen eingearbeitet. Schwingungen, die von der Baumaschine ausgehen und sich über den Körper fortpflanzen, treffen als Beschleunigungskräfte auf die Folie und verformen diese.
Je nach Grad der Verformung erzeugt die Piezo-Elektret-Folie eine Spannung. Diese wird als Signal an das Elektronikmodul weitergegeben. Dort werden die Signale aufbereitet, an eine am Körper befestigte Sendeeinheit geleitet und von da drahtlos an den empfangenden Rechner geschickt.
Die darauf installierte Software zeichnet die Signale auf und zeigt in Echtzeit die Vibrationen aus ausgewählten Frequenzbereichen an. »Frequenzen zwischen 4 und 6 Hertz sind beispielsweise kritisch für die Wirbelsäule, im Bereich zwischen 20 und 30 Hertz sind Kopf und Augen besonders betroffen. Die Software lässt sich beispielsweise so konfigurieren, dass sie bei bestimmten Grenzwerten eine Warnmeldung ausgibt«, erklärt Fraunhofer-LBF-Experte Denis Becker aus dem Bereich Experimentelle Analyse und Elektromechanik.
Bei der Auswertung der Daten brachten Expertinnen und Experten des Fraunhofer IIS ihre Expertise im Bereich der Datenanalyse für medizinische Sensorsysteme ein. Mithilfe der Datenanalyse können sie auch feststellen, in welchem der relevanten Frequenzbereiche die Schwingungen besonders stark sind, und für jede Baumaschine eine Art Schwingungsprofil erstellen.
Die Fraunhofer-Technologie soll eine Grundlage schaffen, um Menschen bei der Arbeit mit Baggern, Traktoren oder anderer Baumaschinen wirksam zu schützen. So könnte beispielsweise der Sitz mit zusätzlichen Dämpfungselementen ausgestattet werden. Oder der Mensch wird daran erinnert, eine Pause einzulegen, wenn die Software erkennt, dass eine Belastungsgrenze erreicht wird. Die Empfangseinheit mit Software könnte zukünftig auch in die Bordelektronik der jeweiligen Baumaschinen integriert sein.
»Bei der Entwicklung neuer Baumaschinen hilft die Technik, schon bei frühen Prototypen das Niveau der Vibrationen zu messen und anschließend durch gezielte Maßnahmen zu reduzieren«, ergänzt Becker. Das Institut brachte bei Flexeras sein Know-how im Bereich von Wandlersystemen ein. Die Expertinnen und Experten entwickeln unter anderem Konzepte und Ideen, um vorhandene Wandlersysteme wie etwa Piezo-Elektret-Folien in neue Anwendungen zu überführen.
Das Interesse der Branche an dieser Technik sei groß, so Fraunhofer weiter. Schließlich seien Mitarbeitende, die nach langer Arbeit auf der Baumaschine krank werden und ausfallen, für die Unternehmen nicht nur in Bezug auf ihre Fürsorgepflicht ein Problem, sondern würden zudem auch zu einem erheblichen Kostenfaktor.
Medizinerverbände und Berufsgenossenschaften erhalten mit der Helm-Sensorik eine Hilfe für eine datenbasierte und differenzierte Bewertung der realen Belastung für die Menschen. Weitere Anwendungen sind denkbar. »Die Technik eignet sich generell für alle Menschen und Berufsgruppen, die häufig hohen biomechanischen Belastungen ausgesetzt sind«, erklärt Seipel.
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