Mobile ERP-Projekte: Anwender in der Warteschleife

Mit dem Siegeszug von Smartphones und Tablets steigt das Interesse an mobilen ERP-Systemen. Allerdings müssen Firmen die richtige Strategie haben und gründlich planen, um die Vorteile zu nutzen. ZDNet fasst Tipps von Experten zusammen.

Laut dem berühmten „Hype Cycle“des Marktforschungsunternehmens Gartner vom Sommer 2011 werden mobile ERP-Lösungen in zwei Jahren so weit sein, den Anwenderunternehmen deutliche Vorteile zu bescheren. Dabei ist das Thema nicht ganz neu, wie PAC-Analyst Frank Niemann betont. Schon seit einigen Jahren habe es spezielle Geräte etwa für mobile Betriebsdatenerfassung und Kommissionierung gegeben. Aber: „Der Smartphone-Tablet-Trend hat diesen Markt belebt“, stellt Niemann fest – mit der Folge, dass die Anwender mobile Unterstützung jetzt einfordern.

Das beschränkt sich natürlich nicht nur auf betriebswirtschaftliche Standardsoftware: Mobilität gehört 2011 zu den wichtigsten drei technologischen Prioritäten der meisten Branchen überhaupt, hat Gartner festgestellt. Und so war es naheliegend, dass der diesjährige ERP-Kongress des Center for Enterprise Research (CER) an der Universität Potsdam dem Thema „Wirtschaftliche Geschäftsprozesse durch mobile ERP-Systeme“ gewidmet war.

Die Vorteile mobiler Standardsoftware liegen auf der Hand: Der Datenzugriff ist unabhängig von Zeit und Ort möglich, Abläufe wie die Bearbeitung von Angeboten und Aufträgen werden beschleunigt und Reaktionszeiten etwa in Workflows verkürzen sich, wie Niemann betont. Außerdem kann zum Beispiel Zeit, die auf Reisen verbracht wird, produktiv genutzt werden. Und nicht zuletzt ist der Coolness-Faktor im Kundengespräch nicht zu vernachlässigen, vor allem, wenn man mit angesagten Endgeräten wie einem iPad Geschäftsprozesse direkt vor Ort anstößt.

Frank Niemann
Frank Niemann, Analyst beim Beratungsunternehmen Piere Audoin Consultants (Bild: PAC)

Für diese Geschäftsprozesse heißt das: „Sie werden durch mobile ERP-Systeme schneller, effizienter und produktiver“, sagt Professor Norbert Gronau, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik und Electronic Government an der Uni Potsdam, an dem das CER und der ERP-Kongress angesiedelt sind. „Gleichzeitig gelingt es den Mitarbeitern, den Spaß an der Arbeit mit dem ERP-System zurückzugeben und so eine höhere Benutzerzufriedenheit zu erreichen, wenn die richtige Kombination aus Software und Hardware verwendet wird.“ PAC-Analyst Niemann ergänzt, dass sich bestehende Prozesse nicht grundsätzlich ändern, wenn sie um eine mobile Komponente erweitert werden. „Viel interessanter ist, dass die Mobilität Potenzial für neue Geschäftsprozesse bietet, die heute in den IT-Systemen noch nicht abgebildet werden.“

In mobilen Kunden- und Service-Prozessen spielen mobile ERP-Systeme laut PAC ihre Vorteile besonders deutlich aus. Das umfasst neben dem Zugriff auf die Kundendaten und die lokale Datenerfassung etwa auch den Abruf von Projekt- und Produktinformationen. Das Berichtswesen im Unternehmen profitiert ebenfalls von der drahtlosen Unterstützung, zum Beispiel durch den Zugriff auf Reports und Kennzahlen. Ähnliches gilt für das mobile Lager, wo Wareneingang oder Kommissionierung mobil direkt ins ERP-System verlängert werden sowie die mobile Produktion. Und das ist nicht nur auf bestimmte Bereiche der Wirtschaft beschränkt, wie Gronau hervorhebt: „In nahezu allen Branchen sind Vorteile beim Einsatz mobiler Lösungen mit ERP-Anbindung zu erkennen, im beratungsintensiven Handel ebenso wie in der zukünftig viel transparenteren Produktion oder in Dienstleistungsbereichen, in denen die Leistungserfassung direkt mobil vor Ort erfolgen kann.“

Anbieter verfolgen verschiedene Produktstrategien

Im Mittelpunkt stehen laut Gronau nicht komplett mobile ERP-Systeme, von denen es derzeit ohnehin nur sehr wenige gebe. „Dafür ist der Bedarf auch nicht sehr groß, jede Funktion eines ERP-Systems auf mobilen Geräten wie iPhone oder iPad laufen zu lassen.“ Das wird auch am Produktangebot von SAP deutlich.

Die Softwareschmiede bietet nach eigener Aussage eine Vielzahl von mobilen ERP-Anwendungen für alle Branchen. „Die Roadmap der mobilen Anwendungen fokussiert sich in erster Linie auf die Bereiche Mitarbeiterproduktivität und Analytics“, sagt Unternehmenssprecherin Iris Eidling-Kaspar. „Für 2012 werden wir dieses Portfolio in Richtung Customer Relationship Management (CRM), Human Resources, Workflows und Approvals sowie Analytics für diverse Industrien ausbauen, wie auch um Lösungen für die Fachbereiche.“

Professor Norbert Gronau von der Universität Potsdam (Bild: Privat)
Professor Norbert Gronau von der Universität Potsdam (Bild: Privat).

Auch der eher am Mittelstand orientierte Softwarehersteller Sage bietet mobile Module für unterscheidliche ERP-Lösungen und Bereiche. Stark gefragt sei beispielsweise die mobile Lagerlogistik von Sage ERP b7 (früher Bäurer Industry und Bäurer Trade). Diese schaffe die Integration von Lagerbewegungen und ERP-Daten, ohne dass noch manuelle Aufwände nötig würden. „Zudem gibt es für Sage ERP b7 ein mobiles Dashboard, mit dem Geschäftsführer auf wichtige Unternehmenskennzahlen zugreifen und so ihre Firmendaten stets im Blick behalten können“, so Unternehmenssprecher Jörg Wassink. Die Handwerker-Anwendung von Sage, HWP, verfügt über einen mobilen Auftragserfassungsservice. Aktuell bringt Sage das mobile Zusatzmodul für die Standardsoftware Office Line Evolution heraus. Dies könne als mobiles Control-Center und Kommunikationserweiterung für unterwegs genutzt werden.

Eine andere Produkt-Philosophie verfolgt Godesys dagegen mit dem mobilen Client für seine Standardsoftware. „Über eine eigenentwickelte, serverbasierte Replikationsplattform können User auf sämtliche Funktionen von Godesys ERP mithilfe von Webservices kontrolliert zugreifen“, sagt Godelef Kühl, Gründer und Vorstand von Godesys. Das ermögliche eine nahtlos durchgängige Prozesskette. „Wir sagen ganz klar, dass sich mobile ERP-Lösungen nicht von stationären unterscheiden sollen. ERP muss vielmehr geräteunabhängig funktionieren – egal ob ich die Lösung zu Hause über einen Browser auf meinem Privatrechner nutze, im Büro vom Desktop-PC aus zugreife oder unterwegs mit meinem Smartphone oder Tablet arbeite.“

Auf die richtige Planung kommt es an

Der Weg dorthin kann allerdings mitunter recht holprig sein, berichtet Professor Gronau: „Wesentliche Hinderungsgründe liegen derzeit noch in der Unsicherheit der Unternehmen, welche Tablet-PCs tatsächlich verwendet werden sollen. Hier kann ich vor dem Irrweg, die oben genannten Vorteile mit Windows-basierten Tablet-PCs konventioneller Bauart erreichen zu wollen, nur warnen.“ Versäumnisse gebe es aber auch auf Seiten der Hersteller von Standardsoftware: „Bei weitem noch nicht alle ERP-Anbieter haben erkannt, welche Funktionen in welcher Usability auf mobilen Endgeräten zur Verfügung gestellt werden müssen.“

Niemann ergänzt, dass auch Sicherheitsbedenken in Unternehmen gegen mobile ERP-Systeme sprechen können. Der PAC-Analyst rät daher zu einem gut vorbereiteten Einstieg für die mobile Erweiterung von ERP-Systemen. „Wichtig ist bei allen Vorhaben in Richtung Enterprise Mobility, sich eine Strategie zurechtzulegen. Welche Mitarbeiter sollen welche Prozesse auf welche Weise nutzen?“ Einfach Geräte anschaffen und irgendwie mit dem System zu verbinden führe zu einem Wildwuchs an Geräten, Betriebssystemplattformen und Systemverbindungen, die dann nur mit hohen Kosten und hohem Aufwand verwaltet werden könnten. „Jede IT-Erweiterung – Mobility ist eine solche – zieht neben Anschaffungs- auch Folgekosten nach sich. Ich denke, Firmen können beim mobilen ERP schnell viel Geld verschwenden, wenn sie nicht gut planen“, so Niemann.

Auch für Gronau ist die richtige Vorbereitung und Planung das A und O: „Aus unserer Beratungspraxis weiß ich, dass im Wesentlichen die Prozesseffizienz für den Einsatz mobiler ERP-Lösungen ausschlaggebend sein muss. Es ist daher unbedingt zu empfehlen, eine Prozessanalyse geeigneter Prozesse vorzunehmen, um Vorteile, Anforderungen und auch den Return-on-Investment des Einsatzes mobiler Lösungen herausfinden zu können.“

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