KOMMENTAR – „Schlau aus der Affäre gezogen“, kann man den Richtern des US-Berufungsgerichts nur zurufen. Indem sie den Kartellrechtsprozess gegen Microsoft (Börse Frankfurt: MSF) an die niedrigere Instanz zurück verweisen, verbrennen sie sich nicht die Finger an diesem politisch brisanten Fall. Dafür müssen sie sich aber Feiglinge nennen lassen, denn sie hätten den Spuk dieses Anachronismus des US-Kartellrechts beenden können. Chance vertan. Wenn es in dem Tempo weitergeht, können wir irgendwann unseren Enkeln zum Einschlafen das Märchen vom Kartellrechtsprozess gegen Microsoft erzählen.
Richter Thomas Penfield Jackson hatte da ein anderes Kaliber. Zwar müssen selbst Microsoft-Kritiker wohl oder übel zugeben, dass es mit seiner Unparteilichkeit nicht allzu weit her war: Schon während des Prozesses gab er Interviews, in denen er den Sachverhalt eindeutig kommentierte. Kein guter Stil. Dafür hatte er den Mumm, ein eindeutiges Urteil zu sprechen und es gegen die überaus reichliche Kritik zu verteidigen. Diesen Mut hätte ich auch den Richtern im Berufungsverfahren gewünscht. Statt dessen ist ihr Urteil eine Ohrfeige für den Kollegen: Jeder darf den Fall wieder verhandeln, aber bitte nicht mehr Jackson.
Viel Neues kann bei der Erläuterung der Fakten nicht ans Tageslicht gekommen sein. Und auch die in den USA so beliebten Stellungnahmen von allen, die glauben, betroffen zu sein („friend-of-the-court-briefs“), dürften keine Überraschungen geboten haben. Wieso fiel dann der Schiedsspruch so mau aus? Für ein Urteil – egal ob schuldig oder nicht – hätten die Richter richtig Prügel bezogen. Da war es doch bequemer, den Fall nochmal an die niedrigere Instanz zu verweisen.
Was aber bringt das Urteil? Zunächst: Geld in die Kassen der Anwälte. Ansonsten? Wenig, was man nicht an zwei Fingern abzählen könnte. Gerade weil alles so absehbar ist, wäre es für alle Beteiligten das Beste, wenn es die nächsten Richter Microsoft nicht durchgehen lassen, den Prozess in die Länge zu ziehen. Dadurch werden nur unumkehrbare Fakten geschaffen, die keine Justiz der Welt mehr rückgängig machen kann.
Der Browser-Krieg Internet Explorer gegen Netscape Navigator ist vorbei. Niemand außer Netscape hat nach so langer Zeit noch Verständnis für ein Verfahren, dessen Sinn mittlerweile bezweifelt werden darf. Aber selbst wenn Bill Gates‘ Konzern aufgespalten werden sollte, bringt das dem Navigator keine Marktanteile zurück. Wie wir heute gesehen haben, hat aber momentan noch niemand den Mut, das Verfahren abzublasen.
Denn: Der Schlachtplatz hat sich verlagert. Das haben Technologien wie die – jetzt doch verbannten – Smart Tags gezeigt. Was die „.Net“-Strategie noch so alles bringen wird, weiß bisher nur Chef-Technologe Bill Gates. Und einen neuen Gegner in Form der Open Source-Gemeinde hat die Firma längst gefunden. Dass der Konzern seit Beginn des Kartellrechtsprozesses im Mai 1998 bis jetzt immer mit offenem Visier gekämpft und seine Geschäftspartner mit Samthandschuhen angefasst hat, darf bezweifelt werden. Das belegen die Gedanken zweier US-Bundesstaatsanwälte, die bereits laut über ein neues Kartell-Verfahren sinnieren.
Insofern wäre sinnvoller, Microsoft für die Ausnutzung seines Monopols unmittelbar nach der belegten Verfehlung zu bestrafen. Wie sich jetzt wieder zeigt, können Gerichtsverfahren so lange hingeschleppt werden, bis die passende Regierung am Ruder ist.
Bleibt nur zu hoffen, dass die neuen Richter wenigstens Rückgrat zeigen und kurzen Prozess machen. Egal, wie das Urteil ausfällt.
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