Palo Alto, Kalifornien – Sun Microsystems (Börse Frankfurt: SSY) blickt auf ein hartes Jahr zurück. Die Rezession hat die Nachfrage nach den teuren Servern des Unternehmens im Business-Sektor stark nach unten gedrückt und viele Kunden mussten sogar den Markt verlassen.
Falls Scott McNealy, seines Zeichens CEO, jedoch besorgt ist, lässt er es sich nicht anmerken. Kürzlich strahlte der 47-jährige Mitbegründer im Interview mit CNET News.com die zum Markenzeichen gewordene Großspurigkeit aus. „Wir befinden uns nicht in einem Tief. Eine Menge Firmen wären glücklich darüber, in unserem Tief zu sitzen.“, sagte er.
Mehr als wahrscheinlich jeder andere Vorstandsvorsitzende in der Industrie hat McNealy jede Menge kostenlose Publicity für sein Unternehmen erreicht; all das aufgrund seiner gegensätzlichen Meinungen, seiner frechen Art und seiner öffentlichen Seitenhiebe auf Mitbewerber. McNealy hat eine Vielzahl von Freunden und Feinden und beide Lager bestätigen, dass es der hartnäckigen PR-Kampagne zu verdanken ist, dass Suns Ansehen gewachsen und geschäftspolitische Debatten zugunsten des Unternehmens geführt wurden.
„Wenn wir über Sun reden, steht das im Unverhältnis zu Suns Einnahmen“, bewunderte Illuminata-Analyst Jonathan Eunice das Geschick der Geschäftsleitung, Bedenken der Kunden vorwegzunehmen. „Sie sind wirklich wahre Meister dieser Kunst.“
Rhetorik ist aber auch kein Allheilmittel. Die Härte des heutigen Wirtschaftslebens vergibt nicht und McNealys Alleingang wird auf eine härtere Probe gestellt, als es jemals im nahezu 20-jährigen Bestehen von Sun der Fall war. Das Ergebnis wird zeigen, ob er ein Steuermann mit eigener, unabhängiger Meinung ist, der erfolgreich aufs richtige Pferd setzt oder ein Don Quixote der High-Tech-Industrie, dessen Kurs sein Unternehmen vom Rest des Marktes abschneidet.
Der überaus ehrgeizige McNealy, der als Amateur-Hockeyspieler einst zu den besten Golfspielern unter den CEOs gehörte, gefällt sich in seiner Rolle als inoffizielles Gewissen des Silicon Valley. Obwohl er im Mittleren Westen aufgewachsen ist und an einer der amerikanischen Eliteuniversitäten studiert hat, ist der Harvard-Absolvent doch fest in der Gegend verwurzelt: Sun ist ursprünglich ein Akronym für Stanford University Network, ein Tribut an die Einrichtung in Kalifornien, an der er seinen Betriebswirt gemacht hat. Trotzdem hat er sich seine Überlebensinstinkte bewahrt. Seine Jugend verbrachte er in der Nähe von Detroit an seines Vaters Seite, der als Vizevorsitzender der nicht mehr existierenden American Motors Corp. während der turbulentesten Periode der US-Automobilindustrie diente. Heute steht McNealy vor der Aufgabe, sein eigenes Unternehmen durch ähnlich stürmische Wasser zu führen.
Auf dem Höhepunkt vor etwa einem Jahr wuchs Suns Quartalsumsatz um 60 Prozent auf fünf Milliarden Dollar. Seitdem musste das Unternehmen sehr viel Kurzarbeit fahren und Zwangsurlaub verordnen, während es das erste unprofitable Quartal in zwölf Jahren hatte. Auch ist keine einfache Lösung in Sicht. Meridien Research prognostiziert, das Finanzdienstleistungsunternehmen, eine von Suns Hauptzielgruppen, Technologieausgaben von 36 Milliarden Dollar im Jahr 2001 auf 33,8 Milliarden Dollar für das Jahr 2002 reduzieren werden. Der Marktforscher Salomon Smith Barney erwartet, das Sun im zweiten Quartal des neuen Jahres wieder in die Profitzone zurückkehrt. Zudem weht Sun auch der scharfe Wind des Mitbewerbs ins Gesicht. Die Führungsposition im mit 29 Milliarden Dollar bewerteten Unix-Servermarktes schmilzt dahin, während IBM (Börse Frankfurt: IBM) erwacht ist und Hewlett-Packard (HP; Börse Frankfurt: HWP) nur eine Haaresbreite entfernt heraneilt.
Kursänderung
Sun vollzieht einen langsamen Wandel, um mehr Gewicht auf Software, Dienstleistungen und Speicher zu legen. Dieser Wandel kann die Gewinne des Unternehmens für harte Zeiten besser umverteilen und diversifizieren. Einige fragen sich jedoch, ob diese Kursänderung nicht zu gering ist und zu spät kommt. „Sun riskiert mehr und mehr, sich völlig zu isolieren“, urteilte Toni Sacconaghi, Analyst bei Sanford Bernstein und warnt vor den Folgen der Unternehmensphilosophie. „Alle für Sun und Sun für alle“.
Viele große Firmen können sich mit Suns Faible für die einfache Formel „Alles Sun“ nicht anfreunden. Es müssen neue Server in bestehende Computernetze aus von Sun verschmähten PCs, IBM Mainframes und Servern mit Microsoft-Betriebssystemen (Börse Frankfurt: MSF) und Intel-Prozessoren (Börse Frankfurt: INL) eingebunden werden. Michael Dell, Rivale und Kopf von Dell Computer (Börse Frankfurt: DLC), vergleicht Suns Dilemma mit Apples (Börse Frankfurt: APC) Situation in den 1980ern. Damals verlor der Mac-Hersteller an Boden gegenüber den PC-Herstellern, da ein Großteil der Technik nicht zu anderer Hard- und Software kompatibel war. „Sie sind eine isolierte Insel, ein abgeschottetes Prozessor- und Software-Reich“, so Dell, der Sun „den Apple des Servermarktes“ nennt. Dell belagert den Low-end-Bereich von Suns Servergeschäft, aber die größere Bedrohung stellt Big Blue dar.
Nehmen wir einmal das Beispiel E-Health Insurance, ein Unternehmen das Krankenversicherungen von mehr als 70 Versicherungsgesellschaften im Internet vertreibt. Die Sun E4500-Server des Unternehmens verarbeiten ungefähr 100 Millionen Datenbanktransaktion pro Tag ohne Probleme, gibt Chief Technology Officer Sheldon Wang zu, der sich aus Gründen der Zuverlässigkeit für dieses Produkt entschieden hat. Kurz vor dem Kauf weiterer Server für ein neues Projekt bei E-Health Insurance will Wang sich jetzt jedoch noch einmal mit IBM beschäftigen, da er dort ein umfassenderes Paket an Hardware, Software und Dienstleistungen erhält. „Wenn man uns von dort dieselbe Zuverlässigkeit bietet, die wir momentan haben, dann wird der Deal wohl dorthin gehen“, stellte Wang klar.
Sun gegen Wintel und die Zukunft
Trotz solcher Hindernisse bleibt McNealy unbeirrt auf seinem eingeschlagenen Kurs und weigert sich, Technologien von anderen Firmen einzukaufen. Stattdessen hat Sun sich entschieden, eigene Prozessoren, Computer, Betriebssysteme und hochwertige Software zu entwickeln. „Man sollte dieses geistige Eigentum besitzen“, urteilte Suns Chief Technology Officer, Greg Papadopoulos.
Wohl das beste Marktbeispiel für Suns hartnäckiges Streben nach Unabhängigkeit ist Itanium, die Highend-Baureihe von 64-Bit-Prozessoren, die HP ins Leben rief und mit Intel gemeinsam entwickelte (ZDNet berichtete). Die ersten Computer mit Itanium kamen Ende 2001 auf den Markt, Jahre später als geplant. Analysten gehen nichtsdestotrotz von einer steigenden Nachfrage aus. Dieses Potential juckt Sun jedoch nicht. Dort sieht man die Itanium-Familie wie alle anderen technologischen Verwandten bei Intel-Prozessoren und Windows-Software an. McNealy reduziert HP als Ausverkäufer und bezeichnet das Unternehmen als „Gemüseladen für Wintel-Computer“. Einer der Gründe für Suns Widerstand gegen den Itanium könnte darin liegen, dass die Trauben sauer sind.
Das Unternehmen machte nämlich einen (fehlgeschlagenen) Versuch, eine Partnerschaft mit Intel einzugehen und das eigene Unix-Betriebssystem, Solaris, auf den neuen Chip zu portieren. „Wir haben uns gedacht, dass die armen Intel-Nutzer vielleicht ein richtiges Betriebssystem brauchen könnten“, stellte McNealy es dar. Der ehemalige Intel-CEO Andy Grove „hat uns zwar nicht vertraut, wollte uns aber eine Chance geben. Sobald Craig Barrett das Steuer übernahm, hat (Intel) das Projekt abgeblasen. Ganz offensichtlich ist Microsoft dazwischen gegangen, um die Partnerschaft zu beenden.“
Intel seinerseits behauptet, dass Sun einfach nicht zur Kooperation fähig war. „In einer Partnerschaft müssen beide Seiten einen Vorteil haben“, begründet Barrett den Ausgang der Verhandlungen. „Sun macht seinen Hauptumsatz mit dem Verkauf von Hardware. In einer Beziehung zwischen Intel und Sun kann Intel nicht nur als Einstieg zum Verkauf von Sun dienen.“
Suns Wintel-Mitbewerber rühmen sich derweil, dass sie gemeinsam mehr Forschungsgelder auf die Waage bringen und deshalb ein harter Brocken für Sun sind. Bisher ist Microsoft jedoch am unteren Ende des Servermarktes platziert und Intel-Server für 100.000 Dollar sind rar gesät. Im dritten Quartal 2001 wurden Itanium-Server für lediglich 12,7 Millionen Dollar verkauft. Dem stehen Unix-Serverumsätze von 4,6 Milliarden Dollar gegenüber (Quelle: IDC).
McNealys Vision ist eine Ansammlung von Servern, Netzwerkgeräten, Speichersystemen und Software, die alle zusammen arbeiten und Computerdienstleistungen liefern, die genauso zuverlässig arbeiten, wie der Wählton am Telefon. Theoretisch könnten Produkte anderer Unternehmen in diesem Netzwerk arbeiten aber Sun hofft natürlich, dass die eigenen Module am besten funktionieren.
Interessanterweise ist eine der größten Erfolge Suns eine Programmiersprache, deren offenes Konzept Suns Alleingang-Philosophie gänzlich entgegensteht: Java. Mit Java müssen Programmierer (in der Theorie) nicht mehr darüber nachdenken, ob sie für einen Windows PC oder einen Apple Macintosh, auf einem Nokia (Börse Frankfurt: NOA3) oder Motorola (Börse Frankfurt: MTL) Mobiltelefon oder einem IBM Mainframe oder einem Sun Unix Server schreiben. Java konnte zwar Microsofts Vorherrschaft im Desktop-Betriebssystemmarkt nicht lösen, aber ist auf Unternehmensservern weit verbreitet. Java trug zu dem Ansehen Suns in der Industrie bei und brachte wichtige Verbündete – obwohl die Technologie die Rolle von Solaris herunterspielt. Allerdings ist nach wie vor nicht klar, wie die Popularität Javas, das von Entwicklern kostenfrei genutzt wird, sich in Profite für Sun umwandeln lässt.
Sun rühmt die Vorzüge, die sich ergeben, wenn Programme auf mächtigen Zentralrechnern anstelle von weniger verlässlichen und schlecht zu verwaltenden PCs laufen. Gleichzeitig wünscht man sich mehr Bekanntheit im Endkundenmarkt, was durch den Einstieg in den Markt für TV Set Top-Boxen bewiesen wird. Nach mehreren Anpassungen und Startversuchen scheint Sun endlich einen Weg gefunden zu haben, seine Technologie an Otto Normalverbraucher zu bringen: Lassen wir das doch jemand anders erledigen. Microsofts „Stinger“-Initiative für Mobiltelefone hinkt weit zurück, während die sechs größten Hersteller von Mobiltelefonen Java integrieren, um so Internet-fähige Software anbieten zu können. Die Nummer 1, Nokia, rechnet mit mindestens 50 Millionen verkauften Java-Telefonen im Jahr 2002.
„Motorola, Nokia und Sony übernehmen diesen Bereich“, informierte McNealy. „Wir sind unterstützend tätig und arbeiten im Hintergrund.“ Zusammenarbeit und die Rolle im Hintergrund erscheinen für McNealy ungewöhnlich, aber er erkennt, dass Teamwork und Cleverness nötig sind, um die aktuellen Klippen auf dem Gebiet der Wirtschaft und Industrie sicher zu umschiffen. Trotz allem ist der CEO mehr denn je motiviert, Suns Eigenständigkeit zu erhalten: „Wir überlassen den Sieg nicht dem Monopol.“ „Ich kann es nicht verantworten, dass meine Kinder in einer von Microsoft beherrschten Welt aufwachsen.“
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