Auf der Konferenz WinHEC 2002 flehte Microsoft seine Partner fast an, IPv6 anzunehmen. Und Microsoft hat allen Grund, die Werbetrommel für die Unterstützung von IPv6 zu rühren. Microsoft benötigt IPv6 für seine zukünftigen Peer-to-Peer-Pläne, Netzwerk-Unternehmen und LAN-Administratoren nehmen das Protokoll jedoch einfach nicht an.
Danny Councell, der Präsident von NetLert Communications, Hersteller von Instant-Messaging-Software für Unternehmen, sagt darüber: „Zum jetzigen Zeitpunkt hat unser Unternehmen keinerlei Pläne für IPv6. Es ist im Moment einfach überhaupt kein Thema.“
CTO Dave Juitt von der Firma Bluesocket, einem Unternehmen für das Management drahtloser LANs, kommentiert dies so: „Ich werde es nicht mehr erleben.“ An der vordersten Front der Netzwerk-Profis sieht es auch nicht anders aus. René Beltran, Vizepräsident für den Vertrieb bei DTR Business Systems, ein auf die Unterstützung von Value Added Resellers (VAR) und Netzwerkintegratoren spezialisierter Anbieter von Unix- und Windows-Lösungen, stellt fest, dass seine Kunden einfach kein Interesse an IPv6 haben.
IPv6, das Billionen neuer IP-Adressen und integrierte Netzwerksicherheit mit IPSec verspricht, schien eine natürliche Weiterentwicklung zu sein. Was also ist passiert?
Zum einen, so erklärte Ralph Droms, ein führender Techniker von Cisco Systems, Vorstandsmitglied der IETF Dynamic Host Configuration Working Group und Mitglied der IPv6-Gruppe, „existieren die grundlegenden Spezifikationen für IPv6 zwar bereits seit langer Zeit (August 1998), einige Teile sind aber noch nicht abgeschlossen. Ich bin beispielsweise der Autor des Dynamic Host Configuration Protocol (DHCP) für IPv6 und ich werde gerade erst jetzt damit fertig.“
Jake Khuon, früher Netzwerkarchitekt für das Design und den Einsatz von IPv6-Netzwerken bei Global Crossing und heute als Berater tätig, sagt: „Die Stolpersteine sind derzeit 1. die fehlende Einführung von Netzwerkinfrastruktur im großen Stil und, 2. das Fehlen von „Killer-Anwendungen“, die die Funktionen von IPv6 benötigen. Momentan gibt es nur einander ähnliche Anwendungen, die in der Welt von IPv6 fast genauso funktionieren wie unter IPv4 und die keine klaren Vorteile bieten. Das meiste davon geschieht entweder im Rahmen der Forschung oder auf der Grundlage von „Wow, schau mal, es funktioniert auch unter v6!“ und ist damit nicht sonderlich aufregend für den durchschnittlichen Anwender.“
Weiterhin weist Droms darauf hin, dass „neue Technologien wie Classless Inter-Domain Routing (CIDR) und Network Address Translation (NAT) dazu beigetragen haben, den unter IPv4 möglichen Adressbereich zu erweitern und damit auch seine effektive Lebensdauer zuverlängern.“ Trotz langsamer Netzwerk-Performance und Management-Problemen stellen CIDR und NAT Netzwerkadministratoren und ISPs ausreichend Adressen bereit, um ihre Anwender zufrieden zu halten.
Ein weiteres Problem, so Khuon, besteht darin, dass „die wichtigsten mit der Entwicklung der Implementierung von IPv6 beschäftigten Hersteller immer noch nicht so umfangreiche Funktionen wie unter IPv4 anbieten. Ein Beispiel dafür ist Ciscos IOS (Inter-Network Operating System), das, als es in den Produktbeschreibungen als ,IPv6 enabled‘ angekündigt wurde, zunächst nicht über ein modernes IPv6 Interior Gateway Protocol (IGP) verfügte.“ Seit dieser Zeit hat Cisco einige dieser Probleme verbessert, aber IPv6 auf IOS ist immer noch in der Entwicklung.
Einige Hersteller unterstützen jedoch IPv6 überhaupt noch nicht. Zum Beispiel gibt es keine kommerzielle Version von MacOS, die IPv6 unterstützt, während Linux es zwar unterstützt, aber immer noch auf experimenteller Basis. Selbst in Windows XP ist IPv6 eine „Vorschau“-Technologie, die sich eher an Entwickler als an Anwender wendet.
Einige Leute gehen aber immer noch davon aus, dass der Durchbruch von IPv6 bevorsteht. Neben Microsofts Unterstützungsaufruf prognostiziert das Forschungsunternehmen The Yankee Group, dass Japan im vierten Quartal 2002 das erste Land sein wird, das IPv6 in Produktionsumgebungen einsetzt. Der Grund dafür? Der asiatisch-pazifische Raum leidet unter dem Mangel an verfügbaren IPv4-Adressen, und Japan wird eine Führungsrolle bei der Implementierung dieser Technologie in Produktionsumgebungen übernehmen.
Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass Japan bereits Mobiltelefone der dritten Generation (3G) eingeführt hat, welche IPv6 für die Netzwerkarbeit benötigen. Droms glaubt, dass dies auch in den USA geschehen wird. „Die drahtlose Technik wird die Adressverfügbarkeit von IPv4 überfordern“, sagte er. „Wir sind an einem Punkt angelangt, wo es nicht mehr möglich ist, den Adressbereich mit NAT weiter zu vergrößern und gleichzeitig die Funktionalität für drahtlose Geräte zu erhalten.“
Khuon stimmt dem zu. „Ich glaube, dass der Mobilfunkbereich der größte Förderer von IPv6 sein wird,“ sagte er. „IPv6 wurde mit dem Gedanken an IP-Mobilität geschaffen. Man kann IP-Mobilität heute auch mit IPv4 erreichen, es ist aber extrem umständlich. IPv6 macht dies viel einfacher.“
Und gegebenenfalls – wohl aber nicht so früh wie viele vorhersagten – auch den Rest der derzeitigen IPv4-Netzwerkinfrastruktur.
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