Semantic Web: Eine Vision sucht ihren Markt

Ein Beispiel: Das Semantic Web könnte die Treffergenauigkeit von Suchmaschinen deutlich verbessern: Zu diesem Zweck werden Begriffe in Web-Dokumenten über URIs mit Informationen versehen, die sie eindeutig charakterisieren sollen. So wird etwa das Wort „Strauß“ in einem Dokument als Vogel, in einem anderen als Blumenarrangement, in einem dritten als ehemaliger bayerischer Politiker definiert und so weiter. Sucht man nun nach dem Politiker, sorgen die URIs dafür, dass weder Blumen noch Vögel aufgelistet werden. Ein geübter Surfer hätte wahrscheinlich statt „Strauß“ „Franz-Joseph Strauß“ eingegeben und wäre ohne zusätzliche Technik zum selben Ergebnis gekommen.

Ein anderes Beispiel ist die Integration der Informationen, die zwischen Lieferant und Kunde fließen. Für solchen Beziehungen ist die Eindeutigkeit der Bezeichnungen von zentraler Bedeutung, weil hier nicht Menschen, sondern Maschinen kommunizieren. Doch die Standards sind längst geschaffen, der elektronische Austausch von Bestellformularen via Electronic Data Interchange (EDI) ist längst Alltag. Selbst für elektronische Marktplätze haben sich die Hersteller zusammen getan, um Kataloge mit eindeutigen Produkt-Definitionen aufzustellen. Der Vorteil des semantischen Webs läge hier lediglich in der Standardisierung des Verfahrens.

Tatsächlich fragt sich jedoch, ob eine solche Standardisierung gewünscht ist. In Zeiten des Internet-Hypes machten Portale von sich reden, auf denen man Preise verschiedener Hersteller vergleichen konnte. Diese Portale – sofern sie noch existieren – ließen sich vom Semantic Web vom Markt fegen. Doch tatsächlich hassen Anbieter nichts mehr, als vergleichbar zu sein. Ein Mercedes mag teurer sein als ein BMW derselben Klasse, dafür wird er als stabiler und zuverlässiger beworben. Umgekehrt werden die Bayern damit argumentieren, dass das Fahrgefühl in ihren Autos weit sportlicher ist, als in den schweren Limousinen aus Stuttgart.

Was also bringt das semantische Web unter dem Strich: Es standardisiert und optimiert auf elegante, aber aufwändige Weise den Informationsaustausch zwischen Mensch und Maschine sowie zwischen Maschinen. Damit eröffnet es Möglichkeiten vor allem für die Automatisierung von Datenaustausch mit unstrukturierten Daten (Texte, Bilder, Film- und Tonsequenzen) zwischen im Prinzip beliebigen Web-basierten Systemen. Tatsächlich lohnt sich der zu erwartende Aufwand nur bei klar definierten Geschäftsmodellen, vor allem in geschlossenen Benutzergruppen. Hier aber existieren oft schon funktionierende Lösungen. Insofern hat Berners-Lee Recht, wenn er schreibt: „Das Faszinierendste am semantischen Web sind nicht die Anwendungen, die wir uns vorstellen können, sondern die, die wir uns noch nicht vorstellen können.“

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2 Kommentare zu Semantic Web: Eine Vision sucht ihren Markt

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  • Am 16. August 2003 um 14:07 von Achim Bode

    die halbe Wahrheit
    wenn ich das richtig verstanden habe, sind die zwei wesentlichen Argumente, die Sie bedenklich stimmen:
    1. Diejenigen, die den Großteil des Contents stellen, nämlich Firmen, haben kein Interesse daran, da sie damit vergleichbar würden und
    2. Es wird schwer fallen, *allgemein verbindliche* Definitionen zu finden.

    Zu 1.:
    Da haben Sie leider zu einem guten Teil recht – gott sei dank besteht das Web aber nicht nur aus Anbietern, sondern auch aus Nutzern. Und die haben immerhin dafür gesorgt, dass sich so sinnvolle Einrichtungen wie Google etabliert haben, die im Endeffekt ebenfalls darauf hinauslaufen, dass man Vergleiche – etwa bei Preisen – anstellen kann.

    Zu 2.:
    Ich hatte RDF und OWL anders verstanden: Der Vorteil besteht doch gerade darin, dass das Web durch diese dezentralen Definitionen *keine* einheitlichen Definitionen braucht, da sie sich auf einen bestimmten Namensraum beziehen und beschränken lassen. Das Semantic Web ermöglicht es also gerade, die Heterogenität von Begriffen in Bezug auf einzelne Felder, Nationalitäten und Meinungsbilder zu erhalten!
    Es wird eine interessante Aufgabe für die Kulturwissenschaftler der nächsten Generation sein, die angesprochenen Begrifflichkeiten für Sitzgelegenheiten im asiatischen und europäische Raum zu vergleichen.

    • Am 16. August 2003 um 15:07 von Achim Bode

      Ergänzung: die halbe Wahrheit
      noch eine Ergänzung zu Punkt 1:

      ich denke, die vorherrschende Art des Marketings, wie sie heute betrieben wird, stammt noch aus den Zeiten der Printwerbung. Sie versucht, die – nach dieser alten Denkweise – negativen Seiten des Webs zu vermeiden und ignoriert damit die Potentiale, die es auch für Marketingfachleute zu bieten hätte.

      Denn Marketing als Konditionierung von pavlovschen Kunden funktioniert nur, wenn man bereits zu einem der marktführenden Anbieter gehört. Nach dieser Logik wird derjenige beim Kunden das Rennen machen, der ihm mit der geballtesten Marktmacht seine Meinung vermitteln kann.

      Das macht sinnvolle Vergleiche für viele kleine Anbieter interessant, die – in einer bestimmten Kategorie – bessere Argumente haben. Das war doch mal der große Vorteil und der Grund, warum wir den Kapitalismus eingeführt hatten, richtig?

      Diese sinnvollen Vergleiche haben nur ein Problem: sie müssen gefunden werden. Die Tatsache, dass einige große Anbieter das Internet mit "Informationen" zu einem bestimmten Thema zuschütten, macht dieses Unterfangen nicht gerade leichter. Denn diese "Informationen" – verteilt auf eine ganze Reihe verschiedener URLs, aus der der Anbieter nicht immer sofort hervorgeht – bestehen sowieso immer nur aus einem Gesichtspunkt, der dem Netznutzer ohnehin bekannt ist: dass der Anbieter seine Produkte ganz toll findet. Das degradiert das Netz zu einem Branchenverzeichnis, in dem man immer die Nummer anruft, die am dicksten gedruckt ist.

      Hier können die neuen Instrumente des Semantic Web sinnvoll eingesetzt werden: eine heterogene, aber für Software verständliche Verschlagwortung, die es den Nutzern ermöglicht, sich mit Hilfe von personalisierten Agents auf die Inhalte zu konzentrieren, die sie wirklich sehen wollen.

      Wenn sich die "Großen" diesen Bestrebungen zunächst verweigern, wird das die Enwicklung zwar möglicherweise verlangsamen, aber kaum aufhalten. Ab einer bestimmten Schwelle werden sie ein eigenes Interesse daran entwickeln, hier ebenfalls mit einer guten Verschlagwortung vertreten zu sein. Schließlich legen heute auch internationale Konzerne Wert auf ein gutes "Announcing", also die Anmeldung und Verschlagwortung bei Suchmaschinen, obwohl sie gerade dadurch vergleichbar werden.

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