Junge Leute haben mit Verdi, Mozart oder Bach oft wenig im Sinn – zu wenig, um der lahmenden Klassik- Branche auf die Beine helfen zu können. Christina Aguilera, Robbie Williams oder die RTL-«Superstars» sind gefragt, klassischer Musik geht offenbar der Hörer-Nachwuchs aus. Doch künftig sollen junge Leute mittels moderner Technik gelockt werden: Das Klassik-Label Naxos bringt sein Programm im Frühjahr 2004 in elektronischer Form heraus – 6000 Stunden Musik und Literatur auf einer Festplatte, kaum größer als ein Taschenbuch.
Zunächst soll die neu entwickelte Festplatte allerdings dem Handel angeboten werden. «Wir wollen erst einmal versuchen, den ziemlich flauen Verkauf von Tonträgern anzukurbeln», sagt Naxos-Chef Klaus Heymann (67) am Firmensitz in Hongkong. Musikgeschäfte könnten Kunden bald Hörstationen anbieten oder ausgewählte Werke auf Abspielgeräte mit eingebauter Festplatte laden. Und auch Fluggesellschaften oder «Hotels der höchsten Preisklasse» seien mit Naxos im Gespräch.
Die «Blue Box» solle außerdem als musikalisch-literarische Bildungshilfe eingesetzt werden und gehe an Schulen, Universitäten und Bibliotheken. «Junge Leute sind auf jeden Fall ganz wichtige Adressaten», betont der Sprecher von Naxos Deutschland (Münster), Christoph Hüsing. «Wir wollen junge Leute mit der ganzen Breite klassischer Musik vertraut machen.» Dazu werden unter anderem «Gespräche mit einem Lehrstuhl für Musikgeschichte in Nordrhein- Westfalen» geführt. «Das ist natürlich nicht ganz uneigennützig: Wir hoffen, neues Publikum heranzuziehen und CD’s zu verkaufen.»
Doch demnächst könnte die elektronische Wundertüte, deren Klang fast CD-Qualität erreiche, auch Sammler und Musikfreunde beglücken, orakelt Heymann. Nicht unbedingt die Gesamtausgabe, aber: «Man kann eine Basis-Discothek verkaufen, das ist gar kein Problem», sagt der 67-Jährige. Ein Paradies für Sammler, deren Regale überquellen. Auch Editionen mit dem Gesamtwerk einzelner Komponisten könnten angeboten werden, ergänzt Hüsing. «Was wir uns vorstellen können, ist, Bausteine zu verkaufen.» Mehr aber wohl kaum. Denn: «Es mag weltweit eine Handvoll Sammler geben, die sagen, wir wollen das ganze Programm», erklärt Hüsing.
Die «Blue Box» soll es in zwei Versionen geben: Für Computernutzer mit Modem-Anschluss wurde die 250-Gigabyte-Festplatte entwickelt. Enthalten sind Symphonien, Kammer- und Klaviermusik, historische Aufnahmen, Opern, Jazzplatten und Hörbücher. Damit die Anwender sich zwischen Tausenden von Titeln zurechtfinden, kommt eine Internet- Suchmaschine zum Einsatz: «Auf der Festplatte selber ist keine Suchmaschine, um Kopien auszuschließen», sagt Heymann. Bei Breitbandanschluss könne auf das Speichermedium verzichtet und die Naxos Music Library (NML) als Datenbank im Internet abgerufen werden.
Die neue Festplatte ist nicht der erste musikalische Coup des 67- Jährigen: 1987 gründete Heymann das Label mit dem Ziel, klassische Musik auf CD zum LP-Preis anzubieten. Das irritierte die Marktführer, kaum aber die Kunden. Heute ist der Billiganbieter selbst zum Branchen-Riesen geworden – mit rund 50 Millionen US-Dollar (knapp 43 Millionen Euro) Umsatz und sechs bis sieben Millionen verkauften CD’s im Jahr. «Heute ist mit Aufnahmen kein Geld mehr zu verdienen», sagt Heymann. «Viele Künstler der großen Firmen klopfen bei uns an.» Und anders als Naxos besitze die Konkurrenz oft keine Internetrechte an den Künstlern.
Der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft (Berlin) warnt jedoch vor zu großem Vertrauen in die Technik: «Ein Allheilmittel ist das nicht», sagt Verbandssprecher Hartmut Spiesecke. «Ich glaube offen gestanden nicht, dass mehr junge Leute Klassik hören, nur weil man sie downloaden kann.» Es gebe im Internet einen Markt für das Repertoire, «die Frage ist, wie groß ist dieser Markt». Seit 1998 sei der Klassik-Anteil am Tonträgermarkt von 9,6 Prozent auf 7,2 Prozent im vergangenen Jahr gesunken. Und nur jeder zwanzigste Klassikkäufer sei unter 20 Jahre alt, fast 60 Prozent dagegen älter als 50.
«Wenn mir einer sagt, du hast den Klassikmarkt kaputt gemacht, dann halte ich mir zugute, mehr zur Verbreitung der Musik beigetragen zu haben als alle großen Marken», sagt Heymann dagegen stolz. «Wir sind heute vielleicht die bekannteste Klassikmarke.»
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