Big Brother is watching you!

Rohleder und seinem Verband geht es jedoch weniger um den Schutz der Bürgerrechte als schlicht darum, seiner Klientel die Kosten vom Hals zu schaffen, die das Speichern von Verbindungsdaten verursacht. So hat man bisher noch nicht gehört, dass sich Bitkom gegen RFID, Kundenkarten oder gegen Data-Warehousing wehrt. Mit diesen Techniken nämlich sammeln und die Unternehmen weit mehr Daten von Bürgern und Kunden als von der Polizei gefordert. Der Grund: Die Wirtschaft möchte, was sie für unser Bestes hält: unser Geld. Und wir helfen gerne dabei.

Anno 1987 haben viele Bundesbürger durch falsche Angaben die damalige Volkszählung nahezu unbrauchbar gemacht und eine Karte verhindert mit der beim Einkauf direkt vom Bankkonto abgebucht werden konnte. Viele Menschen befürchteten Bank und Staat könnten so Kauf- und Bewegungsprofile erstellen. Heute stört diese Aussicht offensichtlich niemanden mehr – zumal sich bereits Handy-Nutzer jederzeit lokalisieren lassen.

Endgültig untergraben wurde der Datenschutz von Schnäppchenjägern: Rund 70 Millionen Mal haben laut „Spiegel“ deutsche Konsumenten ihre Kaufhäuser oder Organisationen wie Payback mit ihren persönlichen Daten versorgt, ohne dafür viel mehr zu bekommen als das Versprechen: „Wenn Sie bei uns hundert Bleistifte kaufen, bekommen sie zwei umsonst.“ Denn bei knapp zwei Prozent liegt derzeit der Rabatt der auf Kundenkarten gegeben werden. Im Gegenwert erhalten die Unternehmen genaueste Informationen über das Einkaufsverhalten der Karteninhaber.

Richtig spannend wird Kundenkarte aber erst in Kombination mit den RFIDs, die jetzt vor allem bei Handel und Logistik eingeführt werden. Es handelt sich dabei um kleine Billigchips, die als elektronischer Strichcodes an Handelsgüter angebracht werden. Kommen derart gekennzeichnete Waren in die Nähe eines entsprechenden Funkempfängers, dann identifizieren sie sich und – falls per Kundenkarte gekauft wurde – auch gleich den Käufer. Kurz: Theoretisch ist jederzeit feststellbar wo der Kunde ist, was er anhat, in welchem Auto er sitzt und was er gerade isst. Derzeit ist das allerdings noch eine Vision, wenn auch eine der Lieblingsperspektiven von Marketiers. Derzeit wird das Verfahren von Handelskonzernen wie Metro oder Wall Mart jedoch vor allem zur Optimierung der Lieferkette genutzt, sprich: um festzustellen, wo sich ein bestellter Artikel momentan befindet. Außerdem versprechen die RFID-Nutzer derzeit unisono, dass der Chip an der Kasse unbrauchbar gemacht wird.

Kundenkarten und RFID sind jedoch nur Sammelstellen für die Informationen. Die gewaltigen Datenmengen, die sie in die Speichersysteme der Handelshäuser oder Geheimdienste spülen wären nutzlos, gäbe es nicht Software, mit der sich diese Daten auswerten ließen. Tatsächlich bekommt heute kaum mehr ein Bank- oder Versandhauskunde bekommt Geld oder Ware, bevor er nicht durch ein so genanntes Data-Warehouse überprüft wurde. Diese Systeme existieren bereits seit über zehn Jahren, aber erst die Leistungssteigerungen von Rechnern, Datenbanken, Speichersystemen und nicht zuletzt der Algorithmen zur Erkennung von Mustern in den gesammelten Daten haben sie zu einer Technik gemacht, auf die heute kaum mehr ein Großunternehmen verzichten möchte.

Gesetze verpflichten die Data-Warehouse-Anwender dazu, die gesammelten Information für die Weiterverwendung zu anonymisieren – falls die Kunden das wünschen. Tatsächlich, siehe Kundenkarte, wünschen viele es heute offensichtlich nicht mehr. Und selbst Menschen, die Wert auf ihre Intimsphäre legen, hinterlassen derart viele Datenspuren, dass es heute für die Data-Warehouse-Agenturen der Handelshäuser ein leichtes ist, herauszufinden, welche Kaufgewohnheiten zu der Email-Adresse 1233@company.com gehören und wie genau sie zu denen des Bewohners der Mansardenwohnung in der Münchner Soundso-Straße 37, fünfter Stock, links, passen. Wer braucht da noch den Namen?

Kurz: Big Brother sieht uns überall, nicht erst seit gestern – und in vielen Fällen sind wir selbst schuld daran, weil es uns nicht mehr stört.

Themenseiten: Analysen & Kommentare, Echelon, IT-Business, National Security Agency

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2 Kommentare zu Big Brother is watching you!

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  • Am 23. Dezember 2003 um 8:49 von Anonym (besser ist das)

    Amerika und Echolon
    Allem Gejammer zum Trotz habe ich im alten Europa noch nicht das Big-Brother-Feeling. Ganz im Gegensatz zu den "guten" Amis. Ich möchte nicht in den populistischen Antiamerikanismus einstimmen. Aber dass unsere "Freunde" uns so offensichtlich und teilweise sogar offiziell ausspionieren ist schon ein starkes Stück. Und dann passiert das ja nicht nur zum Selbstschutz sondern auch zur Wirtschaftsspionage. Relevante Informationen werden an die amerikanische Wirtschaft weitergegeben.
    Man überlege sich mal, was George, der alte Cowboy, machen würde, wenn das alte Europa eine Lauschzentrale mitten in Texas (oder sonstwo in den USA) istallieren würde.
    Vor langer Zeit, vor der Verbreitung des Internet war es schon üblich, die Amerikaner ein wenig zu stören. So haben Viele in den Maus- und Fido-Netzen (Vorläufer der heutigen Chatrooms und Diskussionsforen) ein paar Begriffe in ihre Signatur aufgenommen (bspw. Ausschreibung, Gebot, Auftrag, Siemens, Linde, Bayer, Geheim, – aber auch – Anschlag, Atom, Bombe, Präsident, Amerika, USA, Waffe, Sprengstoff etc.). Leider ist das wieder völlig in Vergesseneheit geraten. Und inzwischen traut sich wohl auch keiner mehr – ich bin ernsthaft der Meinung, dass man tatsächlich schnell auf einer schwarzen Liste steht und dann weltweit mit Problemen zu rechnen hat, weil einen der große Ami-Bruder nicht mehr aus den Augen lässt…

    Dennoch schöne Weihnachten – und New-York ist einfach eine tolle Stadt ;-)

  • Am 16. Dezember 2003 um 1:46 von expocityvoice

    Es ist schon ein Problem . .
    Es ist schon eine gewisse Problematik mit diesem Thema verbunden; und das größte Problem ist eigentlich die oft mangelhafte Qualität der Dienste und die politischen Ambitionen mancher Diensteführer. Der bekannteste, um nicht zu sagen berüchtigste, unter diesen war sicher J.E. Hoover. Aber auch im Nachkriegsdeutschland gab es ähnliche Herren, auf beiden Seiten.
    Ich möchte gar nicht wissen, wieviele unbekannte Akten sich noch in irgendwelchen Privathänden befinden und noch irgendeiner Nutzung dienen??
    Ich kann mir leider wirklich keine so integre Person in Deutschland vorstellen, der ich in solch einem Amte uneingeschränktes Vertrauen schenken könnte; mit dieser Meinung stehe ich sicher nicht allein, nachdem dieses Land von immer neuen Korruptionsaffairen heimgesucht wird.
    Nachdem sich im Laufe der Zeit der sogenannte Untertanengeist bei den meisten Bürgern verloren hat und die Bevölkerungszahlen angestiegen sind, ist es natürlich auch für die Politik schwieriger geworden zu regieren. Daher möchte der Staat auch über mehr Informationen verfügen und ist leider in der Mittel seiner Wahl nicht sehr wählerisch. So lässt er Erhebungen durch die Privatwirtschaft vollziehen. Diese lassen uns in dem trügerischen Glauben, daß die erhobenen Daten danach vernichtet würden. Glauben Sie´s??
    Der Handel mit Adressen ist inzwischen zu einem millonenschweren Mark angewachsen, den sich die betroffenen Firmen nicht mehr aus der Hand nehmen lassen. So gibt es bei ebay schon sogenannte Powerseller, die mit dem Adressenhandel nebenbei noch Geld verdienen.
    Aber wenn dann ein Preisauschreiben mit wertvollen Preisen lockt, sind bei den meisten alle guten Vorsätze bezüglich ihrer Adresse wieder vergessen und sie tragen sich mit ihren Daten gierig wieder in die Listen ein, die nur einem Zwecke dienen, an neue Adressen zu gelangen!

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