Eines der strukturellen Probleme der deutschen Wirtschaft liegt nach Ansicht vieler Experten darin, dass keine zugkräftige und innovative Branche existiert. Hatte in den neunziger Jahren die TK-Branche und in deren Fahrwasser auch die IT-Branche als das Zukunftssegment schlechthin gegolten, ist heute davon in Deutschland nicht viel übrig geblieben.
Als große ITK-Markteilnehmer existieren in Deutschland noch der Ex-Monopolist Telekom, Siemens, Infineon und SAP. Nach diesen Schwergewichten kommt lange gar nichts. Auf Service konzentrierte IT-Dienstleister sind meist ausgegliederte Tochterunternehmen von großen Konzernen. Ganz offensichtlich gibt es einen eklatanten Bruch in dem, was als „Lebenszyklus“ von Unternehmen bezeichnen wird, da Cash-Cows aber keine Rising Stars auf dem Markt agieren. Die schon jetzt feststellbare Lücke wird sich in den nächsten Jahren vergrößern: der Nachwuchs an potenzialträchtigen ITK-Unternehmen fehlt in der deutschen Wirtschaft.
Die aktuellen Diskussionen und Statements zur IP-Telefonie zeigen, dass das Zusammenspiel zwischen der schleppenden Politik, der Regulierungsbehörde (RegTP) und der dominierenden Marktmacht der Deutschen Telekom ein massives Hemmnis darstellt. Dass die IP-Telefonie in den kommenden Jahren die klassische Telefonie ablösen wird, wissen die Markteilnehmer. Das wäre eine zweite Chance für neue Impulse, nach sieben Jahren bescheidenem Wettbewerb im Festnetz. Hier setzt die Politik der RegTP an. Beim VoIP-Forum der Behörde im Oktober wurde das Thema „Rufnummern“ diskutiert. Die Auflage, dass Festnetz-Rufnummern nur für Anschlüsse innerhalb des Ortsnetzes ihrer Vorwahl benutzt werden dürfen, steht dem Erfolg von neuen Anbietern im Weg.
Viel hemmender ist die Bündelung von DSL und Telefonanschluss der Telekom, die über rund 90 Prozent der circa vier Millionen DSL-Anschlüsse in Deutschland verfügt und so den Markt blockiert. Der mangelnde Infrastrukturwettbewerb in Deutschland ist das Kernproblem aller höherwertigen Dienste, die darauf aufsetzen. Digitales, bidirektionales Kabelfernsehen als Breitbandzugang ist in Deutschland völlig unterentwickelt, und bei der Alternative WLAN versucht die Telekom bereits, sich als Nummer Eins im Markt auszubreiten um Wettbewerb von vorneherein zu ersticken.
„Als Konsequenz auf die unzulänglichen Erfolgsaussichten im deutschen Telekommunikationsmarkt haben die großen nationalen und auch die internationalen Investoren in den sieben Jahren seit Januar 1998 das Handtuch geworfen“, erklärt Omar Khorshed, Vorstandsvorsitzender der Düsseldorfer acoreus AG. Als Dienstleister für Anbieter von Sprach- und Mehrwertdiensten kennt die Firma die Probleme der Telekom-Wettbewerber aus den täglichen Kundenkontakten: zu hohe Preise für Vorprodukte der Telekom, unzulässige Bündelprodukte, überzogene Auflagen der Regulierungsbehörde, extrem langwierige Prozesse der Behörde bei Einsprüchen, Anträgen oder Entscheidungen.
In vielen Bereichen wird die Behörde RegTP erst dann aktiv, wenn offizielle Klagen anstehen. Die regulatorische Praxis zeigt eine aktuelle Entscheidung des europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur „Rufnummernvergabe“. Der Mobilfunknetzbetreiber O2 und die Isis Multimedia Net hatten das Bundesverwaltungsgericht angerufen, um gegen die Gebühren der RegTP für die Verteilung von Rufnummern in den Jahren 1999 und 2000 zu klagen. Im gleichen Zeitraum hatte die Deutsche Telekom hingegen 400 Millionen Rufnummern von der Behörde umsonst erhalten. EuGH-Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer hob in seinem Schlussplädoyer hervor, dass diese Praxis der Regulierungsbehörde eine Diskriminierung von Neuanbietern und eine Verletzung der EU-Gesetze darstelle.
Die Strategie der Behörde zur IP-Telefonie hatte RegTP-Chef Matthias Kurth bereits auf dem Forum seiner Behörde im Herbst mit den Worten umschrieben: „Wildwuchs vermeiden“. Aus dieser Perspektive wären innovative Angebote für IP-Telefonie mit niedrigen Flat Rate-Tarifen und frei wählbaren Rufnummern Wildwuchs, der den Telekommunikationsmarkt in Deutschland verändern würde. Auch eine schnelle Verbreitung von WiMAX-Zugängen mit der Aussicht, über Distanzen von 20 bis 30 Kilometern IP-Telefonie zu ermöglichen, wäre eine Bedrohung für die heutige Verteilung des Marktes. „Die Politik des Ausbremsens von Innovationen schadet den eigenen Wirtschaftstandort“, meint dagegen Omar Khorshed.
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