Wenn Hollywood-Star Sigourney Weaver über den ehemaligen Indianerpfad plaudert, der heute Broadway heißt, oder über die Trinity-Kirche an der Wall Street, vor deren Pforten sich einst Kaufleute zum Handel trafen, bleibt Sandy Swartz, eine Touristin aus Boston, mit dem Handy am Ohr gebannt mitten auf der Straße stehen. Die Stimme im Handy wechselt plötzlich, als sich Swartz auf ihrem Spaziergang durch das New Yorker Finanzviertel der Börse zuwendet. Statt Filmstar Weaver spricht ein älterer Herr vom Schwarzen Freitag, dem Börsenkrach im Oktober 1929. Er erzählt wie er damals selbst die Panik erlebte und zusehen musste, wie verzweifelte Aktienhändler aus den Fenstern sprangen.
Swartz ist begeistert von Talking Street, einem Service der New Yorker Medienfirma Candide Media. Der Dienst ist der jüngste Trend in New Yorks Reisebranche. Talking Street ist eine Audiotour für Mobiltelefone. Touristen wählen Talking Streets Telefonnummer, tippen ihre Kreditkarteninformationen ein, warten, bis der Tourpreis von vier Euro abgebucht ist, und lassen sich dann eine Stunde lang mit Storys und Zeitzeugenberichten unterhalten. Die Stimmen im Handy führen im Finanzviertel Manhattans zu zwölf Haltepunkten, deren Reihenfolge der Nutzer über ein Menü steuern kann. Jeder, der ein Handy besitzt, kann die Tour abrufen, ganz gleich, welchen Mobilfunkbetreiber er benutzt.
Die Stimme von Filmstar Weaver kommt aus den Büroräumen von Candide Media – aus einem so genannten Interactive Voice Responder (IVR), einem Computer, der dutzende Anrufe zur gleichen Zeit mit Audioinhalten beliefern kann. Talking-Street-Gründer Miles Kronby hält sich mit Angaben über Gewinne und Kundenzahl bedeckt. Das Konzept ist jung, erst seit zwei Jahren gibt es sein Unternehmen und „überall lauern Ideendiebe“.
Obwohl die Audiotouren in den Köpfen findiger Entrepreneure entstehen, also unabhängig von Telefonunternehmen wie T-Mobile, sind sie für die Mobilfunkanbieter eine zusätzliche Umsatzquelle. In diesem Jahr werden Amerikas Handybesitzer nach Schätzungen von Marktforschern knapp eine halbe Milliarde Dollar für Zusatzleistungen ausgeben, vorwiegend für Spiele und für den Transfer von Fotos.
Noch betreibt Kronby die Werbung für seinen Service selbst und verdient an der Tour-Gebühr. Sein Konkurrent Scott Hilton, Chef der Spatial Adventures, eines Handytouranbieters in Ashburn, Virginia, verfolgt ein anderes Geschäftsmodell. Er stellt die Technik und sucht Partner, die die Inhalte liefern.
Bisher benutzen fünf amerikanische Vergnügungsparks Hiltons System, unter anderem der Zoo von Sacramento in Kalifornien. Der Zoo schickt seit August letzten Jahres seine Besucher für drei oder vier Euro auf zwei „Telefonsafaris“. Hinter dem Eingang brüllt Sumatra-Tiger Baha durch das Handy, gefolgt von Plaudereien der Zoologen über die Tiere.
Im historischen Minute Man Park bei Concord in Massachusetts folgt der Besucher in 60 Minuten den Höhen und Tiefen der ersten Schlacht des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und zahlt dafür vier Euro. An Pfählen und Gedenksteinen hängen Schilder mit Nummern, die der Besucher ins Handy eintippt, wenn er etwas über die Geschehnisse am jeweiligen Ort erfahren will. Zukünftig sendet sein System die Tour mit einem Service, der den Standort des Besuchers per Funk ermittelt. Der Inhalt ändert sich je nach der Richtung, die der Besucher bei seinem Spaziergang einschlägt.
In Europa sind Handyführungen noch selten. Seit Dezember 2004 liefert HandHeldHistory, ein Club technikbegeisterter Historiker, sieben Führungen durch London. Der Verein ist gemeinnützig. Jede Tour dauert eine halbe Stunde, wer als Tourist ein Handy mitbringt, zahlt knapp zwei Euro.
In Hongkong arbeiten die Mobilfunkunternehmer David Wong und Stefan White mit einem ähnlichen Konzept. Ihre Firma Mobile Adventures bietet zurzeit zwei Touren durch die südchinesische Hafenmetropole an. Das Geschäftsmodell: Wong und White verkaufen in Hotels und an Zeitungsständen Hongkong-Touren mit Stadtplan, PIN-Nummernkarte und SIM-Karte. Die Karte enthält einen Chip, der eine vorbezahlte Menge Minuten speichert.
In Manhattan träumt Talking-Street-Gründer Kronby bereits davon, seinen Dienst mit Multimediasequenzen anzureichern. Wer ein Multimediahandy hat, dem wird Talking Street zukünftig auch Videoclips von Straßenszenen von vor 60 Jahren zuschicken. Kronby verspricht: „Man steht auf dem Times Square, und auf dem Telefondisplay erscheint Frank Sinatra am Piano und singt ,New York, New York‘.“
Neueste Kommentare
Noch keine Kommentare zu Handy etabliert sich als Stadtführer
Kommentar hinzufügenVielen Dank für Ihren Kommentar.
Ihr Kommentar wurde gespeichert und wartet auf Moderation.