ZDNet: Lassen Sie uns das Thema wechseln. Sie sind langjähriger Linux-Kernel-Entwickler. Welche Veränderungen am Entwicklungsprozess des Kernels konnten Sie in den letzten Jahren beobachten, wo das Betriebssystem immer mehr kommerzialisiert wurde?
Cox: Nun, zum Beispiel werden inzwischen mehr Patches unter der Woche als am Wochenende veröffentlicht. Aber die größte Veränderung ist nicht die Kommerzialisierung, sondern die Qualität. In den Pioniertagen ging es um den Aufbau von Linux. Inzwischen erledigt Linux alle erforderlichen Aufgaben weitgehend zur Zufriedenheit der Nutzer, daher versuchen alle weiteren Veränderungen hauptsächlich, schnellere, elegantere und bessere Verfahren zu finden. Heute geht darum, Linux zwei Prozent schneller machen oder ein neues Peripherie-Gerät hinzuzufügen.
Es ist die Summe aller Dinge, die alle Benutzer von Linux erwarten, die wirklich gut ist und überrascht. Wenn man ganz am Anfang gesagt hätte, man will ein Betriebssystem, das auf Mainframes, PCs und Palm Pilots läuft, dann hätte man zu hören bekommen, dass das unmöglich sei. Wenn wir nun etwas ändern und etwas anderes deshalb nicht mehr funktioniert, dann setzen wir uns dran, das Problem für alle Plattformen zu beheben.
Der Kernel ist sehr modular aufgebaut, daher beeinträchtigen sich die einzelnen Bereiche gegenseitig nur selten. Aber je ausgereifter Linux wird, desto schwieriger wird es, das System noch weiter zu verbessern. Wikipedia wird sich bald vor demselben Problem sehen. Im Moment tragen die Leute neue Dinge bei, daher ist jeder Beitrag eine positive Verbesserung. Aber im Laufe der Zeit kann es sein, das willkürliche Veränderungen das Ganze schlechter machen.
ZDNet: Viele Kernel-Entwickler arbeiten inzwischen für Unternehmen, die führenden Kernel-Entwickler Linus Torvalds und Andrew Morton zum Beispiel für OSDL und Sie für Red Hat. Wie viele unabhängige Kernel-Entwickler gibt es derzeit?
Cox: Wahrscheinlich nicht mehr besonders viele. Es gibt ein paar Studenten, die am Kernel arbeiten. Ein Aspekt, der diese Studenten zu dieser Arbeit motiviert, ist die Aussicht auf einen guten Job. Wenn man ein guter Kernel-Entwickler ist, bekommt man schon bald E-Mails von großen Unternehmen, die einem einen Job anbieten.
ZDNet: Was ich am Kernel-Entwicklungsprozess interessant finde – im Unterschied etwa zu einigen anderen Projekten wie Debian -, ist, dass es kein formales Verfahren zur Aufnahme von Entwicklern gibt. Ist es nicht riskant, dass einfach jeder mitmachen und den Code ändern kann?
Cox: Es gibt eine Menge Kontrollen und Überprüfungen. Jede Änderung oder Erweiterung des Codes wird von mehreren Leuten begutachtet. Wir haben kein formales Verfahren zur Schulung von Entwicklern, aber es gibt schon ein paar Ansätze, zum Beispiel das Kernel-Newbies-Projekt, bei dem man lernen kann, wie die Kernel-Entwicklung funktioniert. Oder das Kernel-Janitors-Projekt, wo man mit kleinen Dingen anfangen kann, wie zum Beispiel mit dem Aufräumen oder Überarbeiten von Code.
Wenn irgendjemand eine Änderung am Kernel vornimmt, wird jemand anderes diese Änderungen auf jeden Fall überprüfen. Es gibt viele Leute, die nur eine einzige Änderung vornehmen, und von denen wir nie wieder etwas hören. Sie installieren zum Beispiel Linux und stellen fest, dass ihr USB-Stick nicht funktioniert, also beheben sie das Problem. Ein formales Verfahren wäre hier kontraproduktiv, denn es würde die Leute an solchen Beiträgen hindern. Diese Leute, die vielleicht nur eine einzige Codezeile beisteuern, sind auf jeden Fall gute Entwickler, sie sind bloß keine Kernel-Entwickler.
ZDNet: Im August 2003 haben Sie ein Sabbatjahr genommen, um Ihren MBA-Abschluss zu machen. Was hat Sie dazu bewogen? Haben Sie den Abschluss inzwischen?
Cox: Ingenieure schauen sich die Vertriebs- und Marketingleute an und fragen sich, was die so tun. Je weiter ich im Unternehmen [Red Hat] aufgestiegen bin, desto häufiger musste ich mit Vertriebs-Menschen sprechen und verstehen, was die so machen.
Ich habe über ein Jahr lang nebenbei an der Abschlussarbeit gesessen, bin damit aber noch nicht fertig. Bisher habe ich nur die Ergebnisse für den Forschungsteil der Arbeit zusammen, bei der es um den Einsatz von Linux auf dem Desktop geht, und die werde ich demnächst veröffentlichen.
ZDNet: Was haben Sie herausgefunden?
Cox: Linux setzt sich durch. Es kommt immer häufiger zum Einsatz, und zwar besonders in Umgebungen, in denen Computer nur für die einfache Textverarbeitung eingesetzt werden. Thin-Client-Linux wird häufig eingesetzt, zum Beispiel in Call Centern und Hotels. Großen Unternehmen fällt die Umstellung in mancher Hinsicht leichter, kleinere Unternehmen verfügen über weniger Techniker und neigen dazu, mehrere und unterschiedliche Anwendungen auf einem einzelnen Rechner auszuführen.
ZDNet: Das französische Wirtschafts- und Finanzministerium plant den Einsatz von Openoffice.org auf 80.000 PCs, hat sich aber noch nicht entschieden, danach auch zu Linux zu wechseln. Für wie wichtig halten Sie Openoffice zur Förderung des Einsatzes von Linux auf dem Desktop?
Cox: Eine Menge Leute, die zu Linux migriert sind und mit denen ich gesprochen habe, haben mit Openoffice unter Windows angefangen. Für einige Anwender ist das schon die ganze Migration, mit Openoffice können sie viel Geld sparen. Das ist allerdings schon ein sehr bedeutender erster Schritt, und eine sehr wichtige Anwendung für Linux auf dem Desktop.
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