Microsoft behauptet, dass der Linux-Kernel 42 Microsoft-Patente verletze. Torvalds gehört zu denjenigen, die sich weigern, diesen Anschuldigungen nachzugehen.
„Es gibt eine Reihe von Gründen, warum Ingenieure nicht anderer Leute Patente lesen sollten, nur ihre eigenen. Das heißt nicht, den Kopf in den Sand zu stecken, sondern es geht schlicht und einfach darum, dass das Zeitverschwendung wäre“, so Torvalds.
Weiter sagt er: „Wenn jemand eine Technologie entwickelt, ohne einen Blick auf Patente geworfen zu haben, kann er aufrichtig behaupten, er habe diese Technologie unabhängig entwickelt. Damit kann man gegebenenfalls auch belegen, dass das fragliche Patent nicht die Anforderung erfüllt, eine Technologie zu beschreiben, die nicht offensichtlich ist. Und Ingenieure dürften die meisten Patente sowieso überhaupt nicht verstehen: Wenn man nicht gerade einen Patentanwalt zur Seite hat, wird man der in Patenten üblichen Sprache nicht viel entnehmen können.“
Seiner Meinung nach verbreitet Microsoft nur Angst und Schrecken, statt das Problem ernsthaft anzugehen. „Wenn Microsoft tatsächlich damit herausrücken würde, welche Patente wir angeblich verletzen, könnten wir ihnen entweder mit dem Konzept von Prior Art den Wind aus den Segeln nehmen, oder wir würden nachweisen, dass es sich um eine offensichtliche Technologie handelt. Im schlimmsten Fall könnten wir die Sache ganz einfach technisch anders realisieren“, sagte er.
Es gibt aber auch Fachleute wie David Jenkins, Patentanwalt bei Eckert Seamans, die an eine aktivere Suche nach Patenten glauben. So solle Motorola besser nach möglichen Patentverletzungen von Linux Ausschau halten, ehe das Unternehmen ein linuxbasiertes Mobiltelefon ausliefere. Aber das sei kein leichtes Unterfangen: „Die meisten Leute sollten besser die Finger von einer Patentsuche lassen.“
„Auf der Website des U.S. Patent and Trademark Office ein Patent zu finden, besonders ein Softwarepatent, ist sehr schwierig“, so Jenkins. „Fast niemand verwendet identische Begriffe für eine Sache. Entweder man verwendet einen Suchbegriff, der so allgemein ist, dass man 1000 Treffer erzielt, oder man engt ihn so weit ein, dass man höchstwahrscheinlich eine Reihe relevanter Patente übersieht.“
Jenkins‘ Firma berechnet etwa 1000 Dollar für eine Suche nach einer Patentverletzung, aber die Preise ziehen stark an, wenn die Suche viele Patente ergibt, die genauer unter die Lupe genommen werden müssen.
Ein weiterer Aspekt, der Microsofts Anliegen verkompliziert, ist die weit verbreitete Überzeugung, dass Patentverletzungen eher die Regel denn die Ausnahme sind. „Die Leute verletzen andauernd die Patentrechte von anderen, ohne dafür zu bezahlen“, behauptet Mark Radcliffe, Patentanwalt bei DLA Piper.
„Allein durch die Tatsache, dass ich hier auf meinem Stuhl sitze, verletze ich wahrscheinlich das Patent von irgendjemandem“, sagt auch Matt Asay, Vice President of Business Development beim Open-Source-Dokumentenmanagement-Unternehmen Alfresco und Konkurrent von Microsofts Sharepoint-Software. Asay, ebenfalls Anwalt, möchte zwar nicht das geistige Eigentum von Microsoft verletzen, aber auch er ist der Meinung, Microsoft müsse die Initiative ergreifen und klar sagen, welche Patente Alfresco seiner Meinung nach verletzt. „Aber was sollen wir tun, ehe wir – und IBM und Red Hat – Genaueres wissen?“
Eine Stellungnahme zu der Aussage, eigene Produkte würden die Patentrechte anderer Firmen verletzen, mit denen keine Lizenzvereinbarungen geschlossen wurden, gab Microsoft nicht ab. Auch hinsichtlich der Frage, ob es von den eigenen Programmierern verlange, zu überprüfen, ob ihre Software fremde Patente verletzt, hielt sich das Unternehmen bedeckt.
Horatio Gutierrez, Microsofts Vice President of Licensing, sagte in einem Interview, dass die vorgeblichen Patentverletzungen durch Open-Source-Software „nicht zufällig“ erfolgt sind. Als Beleg dafür, dass diese Verletzungen absichtlich geschehen sind, verweist Microsoft auf einen 2006 gehaltenen Vortrag von Richard Stallman, der quasi im Alleingang einen Großteil des geistigen und rechtlichen Rahmens für die Free- und Open-Source-Softwarebewegung entwickelt hat.
Stallman hatte allerdings keine detaillierte Analyse geliefert, wo die Probleme liegen könnten – und schon gar kein Geständnis. In dem erwähnten Vortrag bezieht sich Stallman auf eine Studie aus dem Jahr 2004, die von Open Source Risk Management in Auftrag gegeben worden war, einem Startup-Unternehmen, das Versicherungen für geistiges Eigentum in Zusammenhang mit Open-Source-Software anbot. „Vor zwei Jahren hat eine gründliche Untersuchung ergeben, dass der Linux-Kernel 283 unterschiedliche Softwarepatente verletzt, und das nur in den USA. Natürlich wird diese Zahl inzwischen ganz anders aussehen und wahrscheinlich höher liegen“, sagte Stallman.
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