Überdies verstößt die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie laut DAV gegen europäisches Recht. „Der Gesetzgeber ist gut beraten, zunächst den Ausgang eines bereits anhängigen Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof abzuwarten“, so Rechtsanwältin Heide Sandkuhl, Vorsitzende des Ausschusses Gefahrenabwehrrecht sowie Mitglied des Strafrechtsausschusses des DAV.
Zudem wird eine Ungleichbehandlung verschiedener Berufsgruppen moniert: „Der Gesetzentwurf sieht eine Differenzierung zwischen den Angehörigen verschiedener zeugnisverweigerungsberechtigter Berufsgruppen vor. Strafverteidiger, Geistliche und Parlamentsabgeordnete auf der einen Seite und alle anderen Mitglieder von Berufsgeheimnisträgern auf der anderen Seite.“ Die in dem Entwurf vorgesehene Differenzierung zwischen verschiedenen Berufsgruppen führe nach Angaben der Berufsverbände aber unweigerlich zu Wertungswidersprüchen zwischen einzelnen Regelungen zum Vertraulichkeitsschutz, wie etwa Zeugnisverweigerungsrechte oder strafbewehrte Schweigepflichten. Hierzu Montgomery: „Warum soll das Verhältnis zwischen Abgeordneten und Wählern schützenswerter sein als das zwischen Patienten und Ärzten?“
Außerdem wendet sich auch der Bundesverband Digitale Wirtschaft gegen das Gesetz, der Ausgaben in dreistelligen Millionenbeträge auf die Provider zukommen sieht und dafür kaum ein Nutzen durch das Gesetz erkennt, was ausgerechnet durch eine Studie des Bundeskriminalamts (BKA) belegt wird. Darin heißt es: „Demnach kann die Vorratsdatenspeicherung die durchschnittliche Aufklärungsquote von derzeit 55 Prozent im besten Fall auf 55,006 Prozent erhöhen“. Das verdeutliche die Unverhältnismäßigkeit, mit der hier zu Werke gegangen werden soll. „Die Diskrepanz zwischen der Schwere des geplanten staatlichen Eingriffs und dem zweifelhaften Nutzen lassen die Einführung der Vorratsdatenspeicherung zu einem willkürlichen Akt staatlicher Regulierung bar jeder Vernunft werden“, so BVDW-Präsident Arndt Groth.
Iren gegen Vorratsdatenspeicherung
Auch in der EU gibt es Widerstände gegen die Vorratsdatenspeicherung. Irland hat gegen die EG-Richtlinie Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht. Nach Ansicht der Iren überschreitet der EU-Minsterrat seine Kompetenz. Auch habe er das Gesetz nicht einstimmig beschlossen, sondern lediglich mit einfacher Mehrheit. Die Iren sehen darin einen Verfahrensfehler.
Fazit
Die Süddeutsche Zeitung nennt das Gesetz einen „Aufklärungsverhinderungsgesetz gegen den Journalismus“ und führt gute Gründe an, warum in der Vergangenheit zahlreiche Regierungen in Deutschland von dem Beschluss von derlei Gesetzen Abstand nahmen. Unter der Regierung Kohl galt beispielsweise eine Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten als mit der Verfassung nicht vereinbar.
Die Auswirkungen des nun beschlossenen Gesetzes sind nach Ansicht vieler Experten als verheerend einzustufen. In Kombination mit den bisher schon umgesetzten Maßnahmen zur Terrorabwehr erzeugt das Gesetz zur Vorratsspeicherung der Verbindungsdaten eine Atmosphäre der Angst unter 82 Millionen Bundesbürger und höhlt grundsätzliche demokratische Werte wie Redefreiheit und Demonstrationsrecht aus. Diese Atmosphäre erinnert eher an längst vergangene Stasi-Zeiten als an das offene Klima einer demokratischen Gesellschaft. Wer geht schon demonstrieren, wenn er weiß, dass er dabei gefilmt wird. Wer redet noch frei, wenn er weiß, dass er dabei abgehört wird. Welcher Informant, der einen Mißstand aufklären will, ruft noch einen Journalisten an, wenn er weiß, dass man ihn anhand der Verbindungsdaten identifizieren oder zumindest in Verdacht bringen kann.
Angesichts der von vielen Experten als grundsätzlich verfassungswidrig eingestuften Gesetzesvorlage zur Datenvorratshaltung, dem schwebenden Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) und der laut BKA für die Bekämpfung schwerer Verbrechen nahezu irrelevanten Datensammlung fragt man sich, warum die Regierung trotzdem für das Gesetz gestimmt hat. Vielleicht kommt man der Wahrheit nahe, wenn man sich ansieht, wer außer Ober-Sheriff Schäuble sich über das Gesetz freut. Und hier muss an erster Stelle die Musikwirtschaft genannt werden, die sich über den ersten Entwurf des Gesetzes noch verärgert zeigte, nun aber hochzufrieden ist. Womöglich lässt sich ja der geheimnisvolle Weg der von der Musikindustrie geforderten Nachbesserungen anhand der Verbindungsdaten von Abgeordneten-Handys herausfinden. Ach ja, Abgeordnete sind ja vom dem neuen Gesetz ausgenommen.
Weitere Infos: www.vorratsdatenpeicherung.de
Neueste Kommentare
7 Kommentare zu Beschlossene Sache: Stasi 2.0 ab 2. Januar 2008
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Vorratsdatenspeicherung und Abgeordnete
Eines ist doch eigentümlich! Warum werden die Daten von Abgeordnete nicht gespeichert? Ganz einfach!
Falls es einem Bürger einfällt einen Abgeordneten wegen Korruption anzuzeigen, kann man dem Abgeordneten nichts nachweisen, auch nicht mit wem der a.. telefoniert hat.
Fazit: —> WIR WERDEN EINFACH ALLE ABGEORDNETE!!!!!!
Stasi 2.0
Wenn sich die Vorratsdatenspeicherung aus Sicherheitsgründen rechtfertigen läßt, wieso gibt es dann Ausnahmen für Strafverteidiger, Priester und Abgeordnete? Sind die Angehörigen dieser Berufsstände gegen Kriminalität gefeit und hat sich das durch geschichtliche Erfahrung bestätigt? Wohl kaum.
AW: Stasi 2.0
Genau, es waren ebenso Abgeordnete, die den Adolf zum Reichskanzler gewählt und für das Ermächtigunggesetz gestimmt haben.
Wieso keine Bürgerentscheide wie in der Schweiz?
Nun ja, unser Land ist vom Land der Dichter und Denker zum Land der Richter und Henker degeneriert…
AW: Wieso keine Bürgerentscheide wie in der Schweiz?
… und Lobbyisten …
Übers Ziel hinausgeschossen
Auch mir geht der Vorschlag zu weit, aber grundsätzlich bin ich für eine – jeden Zugriff scharf richterlich kontrollierende – Vorratsdatenspeicherung zur Verbrechensverfolgung. Die historische Reihung zu den Judenprogromen und zur Stasi gehen mir aber viel zu weit. Sie diskreditieren die sachlichen Inhalte des Artikels.
AW: Übers Ziel hinausgeschossen
Die historische Reihung mit Verfolgung und Überwachung ist doch genau der Kern. Es soll dadurch aufgezeigt werden, wohin diese ‚1984‘-Aktion führt.
Ich bin echt schockiert, daß eine derartiges Gesetz beschlossen wurde.