Verfassungsgericht verhandelt über Vorratsdatenspeicherung

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt heute in Karlsruhe drei Verfassungsbeschwerden gegen das umstrittene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Unter den Beschwerdeführern sind die heutige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sowie die Bundestagsabgeordneten Hermann Otto Solms und Gisela Piltz (alle FDP). Sie sehen durch das noch vom letzten Bundestag verabschiedete Gesetz zur Telekommunikationsüberwachung das Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.

An der mündlichen Anhörung vor dem Ersten Senat nehmen auch die Branchenverbände Bitkom und Eco teil. Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien will sich dabei für einen besseren Schutz der Privatsphäre und eine umfassende Entschädigung der Wirtschaft für angeforderte Sicherheitsmaßnahmen einsetzen. Der Verband der deutschen Internetwirtschaft kritisiert zudem die Unverhältnismäßigkeit eines so weitgehenden Eingriffs in die Grundrechte vieler Betroffener.

„Bei der generellen Speicherung von Internet- und Telefonverbindungsdaten sind wichtige Fragen noch offen. Die Politik ist gefordert, die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit im Internet zu definieren“, sagte Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer. „Kriminelle müssen auch im Internet effektiv verfolgt werden, aber dafür darf die Privatsphäre unbescholtener Nutzer nicht geopfert werden.“

Eco-Vorstand Michael Rotert sieht das ähnlich: „Die Vorratsdatenspeicherung beschädigt das Vertrauen in die Vertraulichkeit der Kommunikation. Sie schadet damit nicht nur der Internetwirtschaft, sondern uns allen. Niemand hat bisher nachweisen können, dass es ein Mehr an Sicherheit schafft, wenn Unternehmen gezwungen werden, Datenfriedhöfe anzuhäufen. Wir hoffen sehr, dass das Bundesverfassungsgericht diesen Irrweg des Gesetzgebers korrigiert.“

Der Bitkom plädiert für möglichst hohe Hürden im Umgang mit den gespeicherten Daten. Scheer: „Es muss heißen: So viel Überwachung wie nötig, so wenig wie möglich.“ Selbst reine Verbindungsdaten von Telefonaten und Internetsitzungen ermöglichten Persönlichkeitsprofile, von Handynutzern könnten sogar Bewegungsprofile erstellt werden. Bei der Vorratsdatenspeicherung werde auch ganz legales Verhalten vorbeugend registriert. Das betreffe insbesondere Berufsgruppen, die mit besonders vertraulichen Informationen umgehen müssen, beispielsweise Ärzte, Anwälte, Journalisten und Steuerberater.

„Die gewaltige Datensammlung weckt Begehrlichkeiten – nicht nur des Staates“, so Rotert. „Wenn die Strafverfolgungsbehörden effizienter arbeiten, dann braucht es keine verdachtsunabhängige und flächendeckende Aufzeichnung aller Kommunikationsverbindungen sämtlicher Bürgerinnen und Bürger. Es würde völlig ausreichen, nur im Verdachtsfall gezielt Daten zu erheben.“

Durch das Gesetz sind Telekommunikationsanbieter seit Januar 2008 dazu verpflichtet, Daten von Telefonverbindungen, beispielsweise die Rufnummern des Anrufenden und des angerufenen Anschlusses sowie Beginn und Ende des Gesprächs, sechs Monate lang zu speichern. Auch Verkehrsdaten von Internetanbietern und E-Mail-Diensten mussten für diesen Zeitraum gespeichert werden.

Das Telekommunikationsgesetz sieht vor, dass die gesammelten Daten auf Anfrage den Behörden zur Strafverfolgung, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes, des Bundesnachrichtendiensts und des militärischen Abschirmdiensts übergeben werden müssen. Im März 2008 hatte das Bundesverfassungsgericht die Übermittlung der Vorratsdaten zu Strafverfolgungszwecken bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden außer Kraft gesetzt. Im November 2008 schränkte es das Gesetz nach einem Eilantrag zum zweiten Mal ein.

Telekommunikationsunternehmen dürfen seither gespeicherte Verbindungsdaten bis zu der endgültigen Entscheidung nur noch bei dringender Gefahr für Leib und Leben einer Person, oder wenn es um die Sicherheit des Bundes oder eines Landes geht, an die Polizei übermitteln. „Diese richtigen Einschränkungen, die in der Praxis schon gelten, müssen nun in den Gesetzen festgeschrieben werden“, fordert Bitkom-Präsident Scheer.

ZDNet.de Redaktion

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